Ein Ring sie zu einen

Von meiner kleinen Schwester hoch über dem Fluss und der Stadt - seltsamerweise wohnen wir beide hoch droben, vielleicht Zufall, vielleicht auch nur der Wunsch, drüber zu sein - führt der Weg in die Provinz entlang der Isar nach Norden zum Mittleren Ring. Für mich war diese dreispurige Stadtautobahn eines der ersten Erlebnisse einer Grossstadt. Manchmal packte uns mein Vater in den Firmenwagen, knallte über die Autobahn rauf zu einem Termin in einem der dortigen Bürokomplexe und schickte uns so lange in eine Ausstellung oder zum Bücher kaufen. Im Winter, wenn es dan später wurde, holte er uns in einem Cafe ab, und dann ging es zurück über den im warmen Gelb hell erleuchteten Ring nach Hause.



Später dann, als ich mit Vollgas die falsche Abzweigung in meinem Leben nahm, als ich die Gedanken nicht abschalten konnte und der Schlaf auch nach der zweiten durchgearbeiteten Nacht nicht kam, bin ich oft hier rausgefahren, auf die lange, immer leicht gebogene Strasse ohne Kreuzungen, nicht um zu rasen, sondern einfach nur um zu fahren, Musik zu hören und den Kopf frei zu bekommen.

Meistens hat es geholfen. Es war vielleicht nicht umweltfreundlich, andere haben einfach die passenden Pillen eingeworfen, eine für den Schlaf und dann am Morgen eine für das Lächeln, aber zum Glück war ich nie so drauf. Manchmal hatte ich auch ein paar gute Ideen auf dem Asphaltband, auf dem die Lastwägenzu ihren Zielen donnerten, Italien vielleicht, ein Grossmarkt oder auch eines der Bordelle, die sich hier wie rote Granate an einer Silberkette entlang zogen.

Weil der Mittlere Ring nicht das Ende der besseren Viertel, sondern eher der Anfang des Speckgürtels ist, ist die Aussicht angenehm; es geht entlang an Friedhöfen, dem Wald des englischen Gartens hinauf zu den Metasthasen der Büroarchitektur, die man 99 für Menschen wie mich geplant und gebaut hat, ohne zu ahnen, dass es diese Menschen nicht mehr gab, wenn noch nicht mal das Fundament fertig sein würden. Es ist der seltene Fall einer Stadtautobahn, die die Stadt mehr eint als zerschneidet, an ihr ist alles, was die Stadt ausmacht, und trotz allem ist sie irgendwie bei aller technischen Kälte schön, was man vom Berliner Ring nicht sagen kann, den ich noch heute Nacht unter die Räder nehmen werde.

Freitag, 9. Dezember 2005, 12:28, von donalphons | |comment

 
Meines Wissens war der Berliner Ring mal als Innenstadtring geplant. Du mußt Dir also hinzudenken, was sich dort noch in den restlichen 928 Jahren seit Baubeginn entwickeln wird. Auch so eine Art Geisterstadt.

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Gut zu wissen - ich werde ein wenig schaudern, wenn ich da langfahre.

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Vielleicht sollte man ihn ob dieser Geschichte auch einfach teilweise "Ahmadinedschad-Ring" taufen.

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