1848

Dass der Italiener so dumm war, sich den Berlusconi zu wählen, muss man ihm als Bayer nachsehen, dessen Artgenossen seit Dekaden einer rechtspopulistischen, korrupten Staatspartei mit all ihren Auswüchsen zujubeln. Ja, man muss sogar neidvoll anerkennen, dass sie den Tyrannen in den Arsch getreten haben, während es nördlich der Alpen nicht gelungen ist, das Joch abzuschütteln und Gestalten vom Typ des Strauss zu Lebzeiten mit dem Staatsanwalt zu konfrontieren.

Auch eine Mahnmaldebatte kann man sich hier sparen. An den meisten Rathäusern, im Zentrum der Stadt, erinnern Marmorplatten an das Geschehene. Italiener haben ohnehin eine grosse Freude daran, mit weissen Marmorplatten an die guten und schlechten Tage der Geschichte zu erinnern. Deutsche Besatzung und italienische Faschisten werden mit dem einen Wort "Nazifascista" im selben Topf gegart, und wer seine Jungen bei den Partisanen verlor, konnte schon bald nach dem Krieg mit ehrender Erwähnung rechnen.

Aber noch ein Unterschied zu Deutschland ist zu sehen: Die vielen Denkmäler für den Aufstand 1848/49, in dem Oberitalien versuchte, das österreichische Joch und die Unterdrückung durch das System Metternich abzuschütteln. Man weiss, wie es ausgegangen ist, Österreich und seinen Mördern Hayenau und Radetzky gelang es mit roher Gewalt und Bombardierung der Zivilbevölkerung noch ein Mal, Italien zu unterdrücken - wie es auch in Deutschland den Fürstentümern gelang, die freiheitlichen Bestrebungen zu unterdrücken. Für Italien wie Deutschland ging es um die Einheit, die Freiheit und ein Ende des Absolutismus, gegen die erbärmlichen Potentaten, die Stendhal in der Karthause von Parma schildert, und für die Ideale der Menschenrechte, für die Heine in Deutschland verboten wurde. Auf den Barrikaden in Brescia und Württemberg ging es um die gleichen Werte, in Berlin, Wien und Verona starben die Bürger für das, was für uns heute als moderner Staat selbstverständlich ist.



In Italien wird man an jedem Flussübergang, in jedem Dorf, an vielen Strassen in den Städten daran erinnert. In Italien bekennt sich der Staat zu denen, die für ihn 1848 aufgestanden sind. Und Deutschland? Wo sind in Berlin die Marmortafeln, die die Barrikaden kennzeichnen? Was hat Frankfurt mehr als die Paulskirche, die nicht mehr ist als ein Zeichen der Unterordnung der Feigen unter die Obrigkeit? Wo wird denn gefeiert, dass der Bürger mit Flinte, Stein und Säbel gegen die Machthaber revoltierte, wo ehrt unsere Demokratie diejenigen, die sich dem Geist der Gegenaufklärung widersetzten, vom Handwerker über den Bürger bis zum jungen Marx?

Es gibt der feinen Stunden so wenige in Deutschland, dieser Heimstatt des Untertanentums, und weil so ein Aufstand nicht zum Spiesser passen mag, weil man lieber Biedersinn beschwört als sich all der Grausamkeiten erinnert, bei den hungrigen Webern beginnend über die Kehrseiten des technischen Fortschritts bis zu den Familien, die vor weniger als 100 Jahren allesamt in den schlecht geheizten Dachstuben an Tuberkolose verendeten, weil man hierzulande lieber stirbt, als die Klappe aufzureissen, weil es sich auf Knien gut vegetieren lässt - darum haben wir so wenige dieser Tafeln. In den Schulen ist 48 die Vorstufe zu Bismarcks Sozialgesetzen, man sagt uns nicht, dass hier mehr erreicht wurde als ein Scheitern, dass in den Gassen der Städte für die Menschenwürde gefochten wurde, dass Demonstration ein Grundrecht ist, das nur lebt, wenn man es nutzt. 1848 passt nicht in die Ideologie der Herrschenden, es passt nicht zur Verblödung unserer Medien, kein Kranz, kein Marmor, eine Fussnote der Geschichte, so wird das öffentlich umgesetzt, eine Beleidigung für die, die unter heute unvorstellbarfen Zwängen ihren Mut bewiesen - die bigotten Bayern einmal ausgenommen, ich weiss.

Italien aber zeigt, dass man keinen Place da la Bastille braucht und keinen Winterpalast, keinen Ort und keinen symbolhaften Moment, um derer zu gedenken, die sich nicht abfinden wollten mit Tyrannei. Vieles mag hier geschichtlich verklittert sein, Italien scheiterte 1849 auch an sich selbst, die Geschichte ist voller Verrat, Uneinigkeit und Dummheit, auch Nationalstolz spielt eine grosse Rolle, aber warum auch nicht? Wenn im rechten Schweinekoben der Republik schon von Patriotismus gegrunzt wird, dann eben solchen wie der von 1848, mit dem Bajonett an der Gurgel der Obrigkeit. Es ist ja nicht so, dass in der Folgezeit viel Ruhmvolles aus diesem Begriff, zwischen Wagnergefurz und Hitlergeschrei, entstanden wäre.

Freitag, 19. Mai 2006, 12:38, von donalphons | |comment

 
Eisenguss
anstatt Marmor ist in Berlin der Gedenktafelstandard.

www.luise-berlin.de/Gedenktafeln/mit/1/18_maerz_1848_zwei_opfer.htm

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1848 ging es in Frankreich bereits um den Sozialismus.

Und Richard Wagner kämpfte in Leipzig unter dem Hauptmann Michael Bakunin auf der Barrikade.

Im Grunde war die deutsche und italieunische Situation in Frankreich schon 1830 gegeben, die französische 48er-Revolution war die Zuglokomotive für eine Reihe weiterer Revolutionen, die Europa fast umgekrempelt hätten. Es gibt nicht nur dieses Bild:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Eug%C3%A8ne_Delacroix_-_La_libert%C3%A9_guidant_le_peuple.jpg

sondern auch das hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Maerz1848_berlin.jpg

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Dummerweise ist Wagner aus 48er-Sicht ein erbärmliches, protofaschistisches, antisemitisches, völkisches Renegatenschwein, was noch übler als die Musik ist.

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Ja mei, auch diese Zeit hatte schon ihre Horst Mahlers und Bernd Rabehls. Es ist nicht alles glatt und gerade: Balzac blieb der Revolution fern, weil er zu arbeiten hatte (!)

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Den Tyrannen in den Arsch getreten?
Leider wohl eher nicht. Prodi hat bekanntlich eine Mehrheit von 0.07 Prozent errungen. In den Arsch treten geht anders. Oder wir einigen uns darauf, dass sich die Lager gegenseitig in den Arsch getreten haben....

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Wenn es auch nur von einer einzigen Stimme abhaengt, so bleibt es dennoch ein Arschtritt.

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Es waren keine 0,07 Prozent, die da feste zutraten, sondern ein paar mehr. Immerhin drang der zigmillionenfache Arschtritt spürbar durch die dicken Klamotten aus Mediendominanz und Korruption.

Auch darum: bemerkenswert.

Und dass die Auslandsitaliener, welche von der Propaganda des Herrn B. verschont blieben, die Wahl entschieden, das ist mindestens so köstlich wie gut gereifter Gorgonzola Erborinato.

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na ja, eigentlich nicht von nachteil, dass uns so erspart bleibt, miterleben zu müssen, wie guido w. den geist von hecker und struve *) für sich bemüht.

andererseits war es g. heinemann (so einer täte uns heute not) der die 48er als positives beispiel für den bewussten staatsbürger verstanden haben wollte, und das zu recht.

*) Heckerlied
Schmiert die Guillotine / Mit Tyrannenfett
Reißt die Konkubine / Aus dem Pfaffenbett
|: Ja 33 Jahre / Währt die Knechtschaft schon
Nieder mit den Hunden / Von der Reaktion. :|

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