Die Brücke über den Abgrund zwischen den Sümpfen

Ein Nachtrag zu diesem Text hier. Ich bin in einer sehr komfortablen Lage. Rebellen ohne Markt ist ein prima laufendes Blog, das sehr viel Spass macht, die Blogbar auch, und mein journalistisches Wirken findet in fast wissenschaftlichen Nischen statt, wo der Markt für Bedrucktes noch lange existieren wird und niemand auf 5 Euro schaut.

Wer meine Blogs kennt, weiss, dass ich von Web 2.0 und vielen seiner Vertretern gar nichts halte. Typen wie Sixtus, Eck und Turi haben zwas so eine Klappe, wenn es um das Definieren der megageilen Zukunft geht, haben in der Realität aber so gut wie nichts vorzuweisen - es ist ja nicht so, dass ihre Web 2.0 Aktivitäten jetzt bombenmässig einschlagen würden. Wer sich deutsche Projekte wie Qype, Germanblogs oder Plazes anschaut, wird schnell den morastigen Boden der Tatsachen erkennen: Da geht nichts richtig vorwärts, oben wird vulgär Dampf geplaudert und unten blubbert es ein wenig im stehenden Wasser. Dass einer ihrer Kongresse in Berlin von einer Glücksspielfirma präsentiert wird - wo das eines der ältesten Geschäftsmodelle überhaupt, der Beschiss ist - spricht Bände. Unterstützt von VC-Gebern mit miserablem Track Record aus der New Economy.

Dabei gibt es durchaus Punkte, wo diese Leute recht haben. Die meisten sind durchaus in der Lage, die Veränderungen durch rückkanalfähige Netzwerkstrukturen zu erkennen, die Blogs mehr zufällig denn bewusst zu einem Parallelraum zu den herkömmlichen, vertikal und mit "Fences" abgegrenzten Medien bilden. Auch wenn man in der Interpretation vom Wachsen der Blogs und Schrumpfen der Medien die Zahlen sehr vorsichtig beurteilen muss, ist doch offensichtlich, dass etwas Neues entsteht, das völlig anders funktioniert als alles, was man die letzten 500 Jahre als Medium kannte.

Das sehen auch manche meiner Berufskollegen. Es gibt da grob gesagt drei Haltungen. Die einen sagen, es ist nur ein Modetrend und eine neue New Economy. Tatsächlich hat das Geschrei mancher das Potenzial, an unschöne Zeiten zu erinnern, und der Glaube, dass es Web 2.o mit Ajax, permanent Beta und user generated content schon schaffen wird, ist ausgesprochen naiv - so kann man eine Studentenbutze machen, aber keine Firma. An solche Extrembeispiele klammert sich aber der verstockte Teil der Johurnaille. Sie haben die erste Runde tatsächlich überstanden, was viele andere nicht überlebt haben, jetzt fühlen sie sich sicher. Spassigerweise argumentieren Web 2.0er und Totalverstockte bis auf die persönlichen Schlussfolgerungen weitgehend identisch: Die miese New Economy hat die Spreu vom Weizen getrennt, jetzt wissen wir, wie es wirklich geht, wir sind immer noch da, und heute ist wieder Geld im Internet, das wird super.

Die zweite Gruppe macht ihre Ablehnung an den Bloginhalten fest. Ist doch nichts, taugt nichts, ich hab da mal reingeschaut, was soll das denn bitte sein. Das ist keine Information und keine Nachricht, das brauchen die Leute aber, also wird man uns immer brauchen. Was diese Gruppe nicht erkennt, ist das kleine Problem, dass diese Theorie völlig am Blogger und seinen Lesern vorbei geht. Blogger und Leser wissen überhaupt nichts von der Wichtigkeit des Journalisten. Sie brauchen sicher Informationen, aber nicht aus eine Quelle und schon gar nicht von einem Journalisten. Und die ihnen unterstellte Belanglosigkeit bekommen sie noch nicht mal mit, weil sie nie auf die Kongresse gehen, wo ihre Texte leicht angewidert vorgelesen werden und dann die Frage kommt: Was soll das?

Die dritte Gruppe ist immerhin so weit, die Veränderung wahrzunehmen. Sie versucht, teilweise auch in Anlehnung an die Blogprojekte von Google und Microsoft, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und die Nutzer zu halten oder zu sich umzuleiten. Gleichzeitig wird mit einer Aufweichung der ohnehin schon matschigen Trennung der Formate, Sonderwerbeformen, Qualitätsabbau und Einsparungen experimentiert. Und diese meist jung-dynamische Klientel ist dann ganz entsetzt, wenn sie bei aller Medienmacht und Einbindung in redaktionelle Strukturen die keinen Fuss auf den Boden bekommt. Weil Bloggen etwas anderes ist als täglich eine hirnlose Bleiwüste von oben nach unten zu den Lesern zu fabrizieren.

Zwischen den beiden Positionen der Journalismus-Brontosaurier und den verstrahlten Web 2.0 Fehlentwicklungen ist ein Abgrund, den man vielleicht ermessen kann, wenn man die Reaktionen auf meine Person sieht: Für die Medienvertreter bin ich ein Spinner und Panikmacher, ein Krawallero, der wegen der paar komischen Blogs da glaubt, eine Bedrohung für die zu sehen, die schon immer da waren und immer da sein werden. Auf der anderen Seite sind die dummdreisten Schwätzer vom Web 2.0, die in mir einen reaktionären Tattergreis sehen, der sich immer noch an New Economy und am Verhältnis der Blogs zu den Medien abarbeitet. Ist doch alles durch, hey, here we go again, und es wäre wirklich nett, wenn ich mal das Maul halten könnte, weil es ja irgendwie scheisse ist, dass jemand mit so einer Meinung trotzdem gut laufende Blogs betreibt, besser jedenfalls als ihre finsteren Internetlöcher, wo sie Beschwörungsformeln murmeln.

Und ich stehe auf der schwankenden Brücke dazwischen und weiss auch nicht, wie lange sie hält. Was ich aber weiss ist, dass sie mir weitaus besser gefällt als der Sumpf auf den anderen Seiten. Weil ich mir sicher bin, dass es hüben wie drüben viele Verlierer geben wird, während unten im Abgrund ein ansteigender Strom gurgelt, von dem niemand weiss, was er in ein, zwei Jahren wirklich anrichtet.

Dienstag, 30. Mai 2006, 12:28, von donalphons | |comment

 
Und wenn auch die Karawane bellt, der Hund zieht weiter!

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robert jungk 1961
'Die Zukunft hat schon begonnen' - das gilt ganz sicher auch für das Thema 'Deutsche Medien 2010'. Man muss aber mehrfach hinschaun, um ein klares Bild zu gewinnen. Wer schiebt die Entwicklung an? Aus welchen Gründen? Welche neuen Faktoren kommen ins Spiel? War das mit dem Internet, aus Sicht der traditionellen Meinungsmacher, alles so gedacht? Verteidigungslinien? - Das Spannende ist, dass die Zielgruppen noch nicht alle verteilt, zu- und abgerichtet sind. Und: Die Qualität folgt nicht allein dem Kapitaleinsatz und die Quantität (Umsätze, Auflagen, Einschaltzahlen) ist nicht für alle Zeiten garantiert. - Die Konsequenzen: Muss sich jemand ändern? Die Leser, die Journalisten, die Themen, die Preise...

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Die Journalisten müssten sich ändern. Jedenfalls der Typus Journalist, der immer noch meint, es wäre seine Aufgabe, dem Leser die Welt zu erklären. Wer das denkt, der denkt das nicht, weil sich die Arbeitsbedingungen für Journalisten sich so verschlechtert haben, sondern weil er basisarrogant ist. Ich hab leider mit vielen dieser Sorte zu tun, die von mir erwarten, dass ich ihnen die Welt erkläre, damit sie im Blatt (auffem Sender) so tun können, als wüssten sie wie die Welt funktioniert. Das funktioniert nicht mehr. Journalismus hat eine Existenzberechtigung im investigativen Bereich - aber das konkurriert er mit einer gewissen Kategorie Blogs. Der Journalist hat eine Existenzberechtigung als Ereignisarchäologe, Ausgräber von Vergessenem - da konkurriert er aber auch mit Blogs und Foren. Der Journalist hat eine Existenzberechtigung als Textentertainer - na, mit wem konkurriert er da?

Summasummarum: Der Journalist existiert nur noch, weil es Menschen da draußen gibt, die in Sachen Information und Meinungsbildung von den alten Medien abhängig sind. Sobald sich auch diese Konsumenten mit den neuen Möglichkeiten vertraut gemacht haben und sie nutzen, hat er ausgeschissen, der Journalist.

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Journalisten werden sich nicht ändern. Sie halten sich für die Fusstruppen der Medienhäuser. Sie tun, was von oben vorgegeben wird. Kaum einer versucht, selbst was aufzuziehen. Die, die es versuchen, können es nicht, und ab einem gewissen Alter sind die Jungs ohnehin sehr unflexibel und hoffen geradezu auf einen Job im Lokalteil. Dass die von dem Gewusel angewidert sind, ist klar. Dass es nicht von heute auf morgen passiert, ist auch klar. Es kommt so langsma, dass sie es sicher erst begreifen, wenn alles zu spät ist. Was für Journalisten ohnehin der Normalfall ist.

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Turi Luri La
Zutreffend. Diese grossartigen Propheten, die selber machulle sind und dann tolle theoretische Geschäftsideen konstruieren - da kann man nur schreiend weglaufen. Und die Analyse der Journalisten stimmt - ich habe mich lange genug in diesem Umfeld bewegt. Es gibt kaum eine Versammlung mediokrer Gestalten. Dass sie sich vom BND gegen Einbauküchen und Kühlschränke kufen lassen spricht Bände.

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alles zu spät? (im deutschen journalismus)
...vielleicht ist es ja auch 'zu früh' für alle, deren apparat noch zu funktionieren scheint. - der journalist - eine aussterbende spezies? kleine verteidigungsrede: journalisten sind (viel- oft - manchmal) besser als ihr ruf: * sie protokollieren die gesellschaftlichen veränderungen, * sie schlagen alarm (wenn das feuer nicht zu weit weg ist), * sie erklären den leuten, was wichtig ist und worüber sie sich aufregen sollen, * sie kommentieren für alle die, die sich keine eigene meinung leisten oder BILDen können, * sie dokumentieren alles (was im archiv ist), ... journalisten sind einfach unverzichtbar!

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* sie protokollieren die gesellschaftlichen veränderungen, *

tun Blogger auch und wahrscheinlich ehrlicher

sie schlagen alarm (wenn das feuer nicht zu weit weg ist), *

tun Blogger auch

sie erklären den leuten, was wichtig ist und worüber sie sich aufregen sollen,

tun blogger auch

* sie kommentieren für alle die, die sich keine eigene meinung leisten oder BILDen können,

tun Blogger auch

* sie dokumentieren alles (was im archiv ist), ...

Warte mal 10 Jahre und schau Dir dann Blogarchive an.

journalisten sind einfach unverzichtbar!

Journalisten sind wie langweillig schreibende, gekaufte Blogger mit DPA-Zugang.

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Blogger sind Journalisten!
Meint zumindest ein kalifornisches Gericht.

"Journalisten sind wie langweillig schreibende, gekaufte Blogger mit DPA-Zugang."

Das "wie" kannste in zehn Jahren bestimmt weglassen

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kalifornien die haben keine ahnung
den spruch hat sich bestiemt der schwarzene**er ausgedacht. und der kann nicht bloggen

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Mit den Klickquoten der Toppblogs erreichen Blogger sogar eine den Zeitungen vergleichbare Leserzahl. Ich meine jetzt nicht Titelseite oder Sportteil, but: Wieviele Zeitungsleser lesen denn wirklich die anspruchsvolleren Artikel im Wirtschaftsteil oder Feuilleton? Das aber ist der Vergleichsmaßstab.

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Aus der Ferne...
sie schlagen alarm (wenn das feuer nicht zu weit weg ist)

Im Gegenteil: Leider schlagen Journalisten oft nicht Alarm, wenn das Feuer ganz nahe ist. (Das allerdings gilt für die meisten Blogger auch.) An fernen Feuern verbrennt man sich halt nicht so leicht.

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Meine Meinung geht dahin, dass sich Blogs als Geschäftsmodell per se gar nicht etablieren werden, ausser für die Plattformanbieter. Der Grossteil der guten Blogs entsteht aus Spass an der Freude und allenfalls die Webspacegebühren, Onlinekosten und evtl. ein paar Euronen extra mag der Einzelne mit Adsense und Ähnlichem hereinverdienen. Genau das macht die Brillanz der Szene für mich aus. Geld ist nachrangig. Viele haben einen ganz anderern Broterwerb, oder betreiben Ihr Blog allenfalls als Nebensparte, wo es um immaterielle Werte aber nicht um die Knete an sich geht. Dazu kommt die persönliche Seite durch Lesungen, Treffen etc. In ihrer Gesamtheit werden Blogs allerdings zu Orten der gesellschaftlichen Kritik, zu einem Megatrendscout oder aber auch zu einer Medienkonkurrenz ganz allgemein heranwachsen. Das begreifen die einen noch nicht, die anderen wollen es verhindern. Lernen werden wir alle etwas. Das ist o.k.

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nachtstudio mit experten...
...wer um 23h noch einmal die links von don alphons verfolgt, stellt verblüfft fest, dass seit dem 18. mai alles schon geklärt ist: netzwerk rechreche (zitiert auf netzjournalist) hat zum zweiten mal gesprochen, einen diplom-journalisten als gutachter beauftragt und auch gleich die antwort gegeben: "Weblogs können den Journalismus bereichern, aber niemals ersetzen – Netzwerk Recherche veröffentlicht Studie zu Blogs und Journalismus" und „Journalisten mit eigenem Blog schärfen ihr persönliches Profil, gewinnen an Authentizität und signalisieren Erreichbarkeit“ ... lieber donalphons, dein weblog ist wirklich schön, aber: was lässt du uns hier diskutieren, wenn die kollegen leif, mrazek, armborst ex cathedra schon alles geklärt haben? - man(n) soll sich vor dem schlafengehen ja nicht mehr ärgern - gute nacht

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