Tanz den Bertolt

Er hat geschuftet und gelitten. Er hat Geld gemacht mit seiner Arbeit, nur um sich in einem jämmerlichen Kaff namens Mahagonny wiederzufinden, wo alles verboten ist, voller Regeln und Spiessertum. Gemacht werden die Regeln von den Dreckschweinen, die er finanziert. Die Frau liebt ihn vielleicht und sein Geld ganz sicher, und sie braucht Whiskey. Alkohol gegen die Enttäuschung, Betäubung für das hier und jetzt, und vor ihnen allen steht die grosse Katastrophe, denn es naht der Hurrikan, der sie und alles vernichten wir, die Reklame, die Kaschemmen, die Regeln und alle, die sich ihnen beugen.

Und dann steht dieser Paule Ackermann auf, während die anderen noch falsche Brüderlichkeit beschwören, die es hier nie gegeben hat, er steht auf und tritt die Regeln in den Staub, er schreit es heraus, sein Gift und seinen Hass, der Dämon spricht durch ihn die Wahrheit und das Vitriol, das auf immer das Antlitz des Jahrhunderts entstellen wird, er spritzt sich und allen und uns die Droge, die uns tanzen lässt, mich, Euch, uns verhurte Kinder der Auflösung aller Normen und Gesetze, wir klatschen in die Hände dazu und fordern alles für uns, die Ansprüche und die Gier sind unsere Gesetze, er sagt es für uns und die SS-Wachmannschaften, für die Partypeople und seinen Namensvetter an der Spitze der Türme, für die Raffzähne der VCs und die Raser auf der Autobahn, für den Dreck der PR und den Abschaum der institutionalisierten Bedenkenträger und die Kotze der Subventionsbetrüger und den Schleim der besseren Viertel mit ihren Steuersparmodellen, er brüllt es hinaus in die ewige Nacht über der Aufklärung und er tritt damit die Fresse der Lügenkirchen ein, denn wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen keiner da zu, und wenn einer tritt, dann ist er es, und wird wer getreten, dann sind es wir, und er stiefelt uns mit der Wahrheit, bis wir am Boden liegen und immer noch im Takt seines Schlachtgesangs zucken, denn er ist Paul Ackermann und der Teufel und der Heilige und Märtyrer unserer Zeit, die eintritt und gemordet wird für die Grösse des Schmutzes, für die Ehre der Mörder, für die Unsterblichkeit der Gemeinheit und für den Fortbestand des goldenen Zeitalters, und er also steht da vor uns, ganz allein, hört nicht auf die anderen und spricht Luzifers Abendlied und den Fluch aus, der uns für immer verfolgen wird:

Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.

Laßt euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird euch nicht genügen,
wenn ihr es lassen müßt!

Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt den Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.

Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher.

Und während uns der Schmerz und die Sucht weiter makaber tanzen lässt, schreien wir zurück auf die Bühne zu Luzifer und Paul und seinem Schöpfer Berolt Brecht, dass es stimmt und nicht, denn auch 50 Jahre nach dem Tod tanzen wir immer noch, wir kennen das Lied, ohne es zu verstehen, es ist der Soundtrack unseres Lebens, wir bewegen unsern Arsch und tanzen den Kapitalismus und den Hedonismus, denn schlimm ist der Hurrikan und schlimmer ist der taifum, doch am schlimmsten ist der Mensch, der weiss, begreift und trotzdem nichts tut, wes es ihm und uns und allen scheissegal ist, aber trotzdem danke, dass es einen gibt, der uns aus den schmalen Bänden des Suhrkampverlages die Wahrheit gesagt hat und sagen wird, für diesen nie endenden Tanz der Moderne.

Montag, 14. August 2006, 14:47, von donalphons | |comment

 
Grossartiger Text !

Danke !



Nur eine kleine Anmerkung zum Inhalt vom ewigen Spielverderber:

Es gibt keine "Steuersparmodelle" mehr, und dies schon seit dem 1.1.2006, also schon etwas länger. Im übrigen sparten auch die alten "Modelle" keinerlei Steuern, sie verschoben bestenfalls die steuerliche Belastung in die Zukunft. Beide Sachverhalte sind zugegebenermassen komplex und daher unangenehm sperrig, daher die verständliche Suche nach Schlagworten: The Headline is the Message. Mundgerecht für die anständigen Massen.

Haps.

Dies nur in memoriam des Wohlfühlwortes "Steuersparmodelle". Es hat uns stets viel Wonnegraus und ein Hochgefühl von Selbstgerechtigkeit gegeben. Es ruhe in Frieden, wenn es nicht gerade als Zombie sein Unwesen treibt.

Für den Rest gilt im übrigen die "Rückwirkung" von veränderten Gesetzen und Durchführungsverordnungen, eine Figur die es in einem Rechtsstaat sonst nirgendwo gibt. Merke: heute bestraft werden, für etwas das zum Zeitpunkt der Tat nach Recht und Gesetz legal war.

Es kühlt aber so schön das Mütchen des charakterdurchschnittsdeutschen Michel, das ist wahr.

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Oh, es gibt sie noch, oder besser gesagt, die Folgen, siehe Hypo Immobilientochter, und damit habe ich grad was zu tun. Für die, die dafür Schulden aufgenommen haben, immer noch ein Problem bis heute.

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Oh, es gibt sie nicht, wohl aber ihre Folgen.

Sein wir zwar feinsinng, aber bleiben trotzdem bei der tristen Realität.

Ja und wenn Kredite aufgenomen wurden, und jetzt dafür gehaftet wird, ist nicht was dem Schleim aus den besseren Gegenden vorgeworfen wurde, dass sie sich mit Kredithebelung ihres Investments per Steuerschlupfloch Steuerfrei machen ?

(Abgesehen davon das auch diese Legende unwahr ist, da so etwas nur Sinn machte wenn man immer noch im Spitzensteuersatz blieb.)

Jetzt ist das Investment krepiert und man haftet so, als würde man von Anfang an alles aus eigener Tasche auf den Tisch geblättert haben, und nicht z.B. 50 % selbst und 50 % von der Bank. Jetzt hätte man es gerne bei den eigenen 50 % begrenzt, und die anderen 50 % soll die Bank fressen.

Das die Bank bei den Ansätzen der zu erzielenden Mieten und der Vermietungsquote - nennen wir es zurückhaltend "optimistisch" - gewesen sein mag, steht auf einem anderen Blatt. "Schrottimmobilien" sagen manche nicht zu unrecht dazu. "Gier frisst Hirn" sagen noch andere.

Aber hey, you pays your money and you makes your choice.

Das dürfte im übrigen auch ein gutes Motto für vieles im Immobereich der H... sein.

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"..für diesen nie endenden Tanz der Moderne."

Semantisches Paradoxon. Ein Tanz, der nie aufhört, müsste doch eigentlich positiv konnotiert sein. Und doch werd ich das Gefühl nicht los, dass er einem die Füße bis auf die Knochen durchscheuert. Der Tanz.

Trotz der schönen Formulierung bitte 5 Euro ins Phrasenschwein für den "Soundtrack unseres Lebens".

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Isoliert müßte ich Dir recht geben, aber der Ort, an dem es steht und von dessen Schwung es mitgerissen wird, enthebt es der Phrasenwelt.

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Ach, lassen Sie mir doch den Spaß, Herr Noergler.

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Naja - mit Brecht ging ja auch jener Kapitalismus unter, den er damals beschrieb. Sein Karfiol-Trust sieht längst ganz anders aus - und heutige CEOs sind nur noch Marionetten, die bei Bedarf einen Tritt bekommen.

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nitpicking:
wobei nicht "ein kapitalismus" untergegangen und ein neuer auferstanden ist. eher wandelt er sich ständig und jederzeit, nicht zuletzt getrieben von den sozialen auseinandersetzungen (vulgo: klassenkampf)

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Der Magen der Gesellschaft meint, dass er der Kopf wäre. Das ist wohl eher das Problem.

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intelligentes überleben...
Dabei kann sich der 'Magen der Gesellschaft' auf modernste humanmedizinische Forschungsergebnisse berufen... - mit dem Bauch denken :-)

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Wenn wir bei den Körper-Allegorien sind: Der Kapitalismus lebt von dem Prinzp: "die Augen sind größer als der Appetit".

Das ist nicht Brecht-kompatibel da er die Folgen zeigt, die im Grunde jeder wie nach einer durchzechten Nacht immer wieder spürt. Daher wird Brecht ausser als Pflichtlektüre in den Schulen wenig gelesen:

http://www. buecher-magazin.de/ index.php?id=brecht

Typisch für die Haltung der Mehrzahl des "Bildungsbürgertums" halte ich die Antwort von Marion Poschmann: Mir gefällt der schulmeisterliche Ansatz nicht, nicht das Weltverbesserische und nicht die unvermeidliche Moral bei Brecht, und ich habe nie verstanden, wie ein solcher Moralapostel den Leuten Thesen wie: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« um die Ohren schlagen kann.

Was mich ein wenig verwundert: Mahagonny nimmt ungeahnte Dimensionen an, trotzdem gibt es keinen "zweiten Brecht".

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@ strappato: Brecht und die bildungsbürger

der deutschlehrer, der mich zum abitur führte - ist schon etwas her, mein lieblingsfach war damals hohlstunde, aber sinngemäss kommt es wohl hin - der also sagte es so:

der brecht wollte es den bürgern zeigen, episches theater, glotzt nicht so romantisch, wie böse doch die verhältnisse und die menschen in diesen verhältnissen sind. und die bürger, die brecht meinte, gingen in die dreigroschenoper und amüsierten sich dort aufs prächtigste.


@ mahagonny 2.0

könnte daran liegen, dass das theater mittlerweile keine moralische anstalt mehr ist, sondern selbstzweck der betreiber und des umfeldes, das um sie kreist.

eigentlich wäre das was fürs fernsehen: kleines fernsehspiel, dokumentarspiel, tatort - ja, genau, tatort, das wäre es doch, obwohl, im stil von kottan, so mit gags und schmäh auf der ersten, dokumentarisches auf der zweiten und zitate auf der dritten ebene, das käme noch besser - und natürlich, das wäre auch was, das ganze als telenovela,

könnte dann natürlich auch so gehen, wie mit brechts dreigroschenoper, dass vor amusemang der anspruch übersehen wird.

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... ich habe nie verstanden, wie ein solcher Moralapostel den Leuten Thesen wie: »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« um die Ohren schlagen kann.

Ich hatte mir nicht die mühe gemacht, diese ominöse Umfrage zu lesen, nach diesem grandiosen Zitat werde ich das dann doch noch machen. Danke für den Hinweis darauf!

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