Der Raub der Berlinerinnen
Wie der Deckel eines Bleisargs lastet der niedrige Himmel auf der grauen Stadt. Wir fahren nach Osten, nach Kreuzberg, raus aus dem früher herrschaftlichen Charlottenburg, Richtung Bergmannstrasse, dem einzigen Ort, wo Berlin sich noch etwas Mühe gibt, das Versprechen einzulösen, irgendwie an Paris zu erinnern. Woanders konkurriert es längst mit Bukarest, den schlechteren Vierteln von Minsk und den Randbezirken von Plauen, aber hier ist noch was, was aus eigener Kraft entstanden ist. Und ein Teil der Kraft sitzt neben mir, ein Spross der Unternehmerfamilie, die es geschafft hat, aus der Strasse eine Antiquitätenmeile zu machen, die ihresgleichen sucht. Sollte man Berlin jemals an die Russen verkaufen, möchte man den Wedding für seine Ehrlichkeit und die Bergmannstrasse für die Antiquitäten bitte aussen vor lassen.
Dafür sind wir auch unterwegs durch den mässigen Stadtverkehr des Sonntag Vormittags. Es hat lange gedauert, bis man in München zu einer Entscheidung kam und eine Preisvorstellung formulierte, den zu erreichen dann auch nicht ganz einfach war. Und wäre die Entscheidung eher gekommen, hätte ich Frau Mamas Rennsemmel 30 Kilometer weniger durch die Strassen Berlins kutschieren müssen. Aber so bleibt wenigstens etwas Zeit für ein wenig Austausch zwischen Antiquitätenjägern.
Schleicht sind die Zeiten geworden, darin stimmen wir überein. Ich habe wenig gefunden, denke ich laut nach, und er bestätigt, dass es schwierig wird. Er und sein Umfeld ist inzwischen bundesweit aktiv, denn in Berlin kommt nur noch wenig aus den Häusern. Langsam sind sie durch mit Schöneberg, Wilmersdorf und Grunewald, und im Osten war noch nie viel zu holen in der Klasse, in der sie erst anfangen. Den Trödel und den Ramsch findet man immer noch in grossen Mengen. Das Besondere aber hat sich verflüchtigt. Nicht zurück zur neuen Bürgerlichkeit Berlins, die kein Auge dafür hat. Sondern nach Osten. Polen und Russen sind die neuen Einkäufer, sie kommen mit dem Lastwagen, das Geld spielt keine Rolle, und dann geht es dorthin, wo die Substanz gering und der Bedarf hoch ist.
Es ist ihr Fluch, dass sie genau zwischen den Gravitationszentren sitzen. Denn das Geld und das Publikum für ihr Angebot ist im Süden, Westen und Osten, aber eben nicht hier. Andernorts würde man die Stücke mit Spots an leeren Wänden präsentieren; hier jedoch stecken Landschaftsbilder hinter Vitrinen fest, und ganze Sammlungen lagern in barocken Schränken. Das Publikum des Westens ist dergleichen nicht gewohnt und ahnt nicht, was es versäumt, Berlin bemüht sich seit Jahrzehnten, dergleichen los zu werden, und nur die Neuen Reichen des Ostens profitieren letztlich vom Niedergang und Ausbluten der Stadt.
Und für mich selbst wird es dadurch auch eng. Wer weiss, wie oft ich noch so durch Berlin fahren werde, um dann vielleicht das letzte Portrai von Albert Korneck in den Süden zu brngen, bevor sich hinter mir die Tore das letzte Mal schliessen werden, weil es endgültig vorbei ist mit den Schätzen, die die Stad vom 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts zusammen gerafft hat. Vielleicht ist dieser Transport auch schon das Ende - wer kann das schon sagen.
Und niemand weiss, wen ich da, sauber verpackt auf dem Rücksitz, mitbringe. Vielleicht war sie eine Brauerstochter, deren Vater ein Faible für das Antike hatte, eine Gemahlin eines Anwalts, der sich von ihr ein idealisiertes Portait im Stile der Statuen in Berlins Museen wünschte, oder doch nur ein Stück Repräsentation, dessen Ausgestaltung man dem Akademiemaler überliess. Vielleicht wird es einmal ein Kunstgeschichtler entdecken, wer die Dame mit dem satten Inkarnat und dem weichen Fleisch ist, und warum sie in einer Weise dargestellt wurde, die in ihrer Freizügigkeit so gar nicht in die Empangsräume des Kaiserreichs gepasst hat.
Nur soviel ist gewiss - sie war Berlinerin, und ihr Abbild blieb dort 127 Jahre, bis es jetzt nach Bayern an die Isar geht. An die Spree erinnert nur noch der Stempel der Malerwerkstatt, ansonsten ist sie jetzt dem Italien näher, dem die Idee zu Tunika, geschönter Nase, weichen Lippen und freizügiger Haltung entsprang. Es ist kein Raub im juristischen Sinne, irgendjemand wollte sie nicht mehr haben, man hat sie verstossen, verkauft, und ich will gar nicht wissen, was die Verkäufer mit ihrem lumpigen Gewinn anstellen, denn ich bin nur der Bote, es ist nicht mein Bild und schon gar nicht meine Stadt, die hier weitaus mehr Schönheit verliert, als an schwäbischen Ponyträgerinnen mit schlechten Manieren zwischenzeitlich reinkommt. Es wird eine Stadt jenseits aller Herrlichkeit sein, und keiner wird mehr kommen, um ihre alten Schätze zu suchen.
Nachtrag: Dieser Text entsand während der letzten Fuhre in Berlin in meinem Kopf, weil ich das Gefühl hatte, diesmal wirklich nichts gefunden zu haben. Ein Gefühl, das sich beim Hinaufschleppen von 4 Büsten, einem Relief, 2 Statuetten, einem Kronleuchter, einem Gemälde, einer Tüte Silber und noch ein paar Sachen als nicht ganz zutreffend herausgestellt hat.
Dafür sind wir auch unterwegs durch den mässigen Stadtverkehr des Sonntag Vormittags. Es hat lange gedauert, bis man in München zu einer Entscheidung kam und eine Preisvorstellung formulierte, den zu erreichen dann auch nicht ganz einfach war. Und wäre die Entscheidung eher gekommen, hätte ich Frau Mamas Rennsemmel 30 Kilometer weniger durch die Strassen Berlins kutschieren müssen. Aber so bleibt wenigstens etwas Zeit für ein wenig Austausch zwischen Antiquitätenjägern.
Schleicht sind die Zeiten geworden, darin stimmen wir überein. Ich habe wenig gefunden, denke ich laut nach, und er bestätigt, dass es schwierig wird. Er und sein Umfeld ist inzwischen bundesweit aktiv, denn in Berlin kommt nur noch wenig aus den Häusern. Langsam sind sie durch mit Schöneberg, Wilmersdorf und Grunewald, und im Osten war noch nie viel zu holen in der Klasse, in der sie erst anfangen. Den Trödel und den Ramsch findet man immer noch in grossen Mengen. Das Besondere aber hat sich verflüchtigt. Nicht zurück zur neuen Bürgerlichkeit Berlins, die kein Auge dafür hat. Sondern nach Osten. Polen und Russen sind die neuen Einkäufer, sie kommen mit dem Lastwagen, das Geld spielt keine Rolle, und dann geht es dorthin, wo die Substanz gering und der Bedarf hoch ist.
Es ist ihr Fluch, dass sie genau zwischen den Gravitationszentren sitzen. Denn das Geld und das Publikum für ihr Angebot ist im Süden, Westen und Osten, aber eben nicht hier. Andernorts würde man die Stücke mit Spots an leeren Wänden präsentieren; hier jedoch stecken Landschaftsbilder hinter Vitrinen fest, und ganze Sammlungen lagern in barocken Schränken. Das Publikum des Westens ist dergleichen nicht gewohnt und ahnt nicht, was es versäumt, Berlin bemüht sich seit Jahrzehnten, dergleichen los zu werden, und nur die Neuen Reichen des Ostens profitieren letztlich vom Niedergang und Ausbluten der Stadt.
Und für mich selbst wird es dadurch auch eng. Wer weiss, wie oft ich noch so durch Berlin fahren werde, um dann vielleicht das letzte Portrai von Albert Korneck in den Süden zu brngen, bevor sich hinter mir die Tore das letzte Mal schliessen werden, weil es endgültig vorbei ist mit den Schätzen, die die Stad vom 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts zusammen gerafft hat. Vielleicht ist dieser Transport auch schon das Ende - wer kann das schon sagen.
Und niemand weiss, wen ich da, sauber verpackt auf dem Rücksitz, mitbringe. Vielleicht war sie eine Brauerstochter, deren Vater ein Faible für das Antike hatte, eine Gemahlin eines Anwalts, der sich von ihr ein idealisiertes Portait im Stile der Statuen in Berlins Museen wünschte, oder doch nur ein Stück Repräsentation, dessen Ausgestaltung man dem Akademiemaler überliess. Vielleicht wird es einmal ein Kunstgeschichtler entdecken, wer die Dame mit dem satten Inkarnat und dem weichen Fleisch ist, und warum sie in einer Weise dargestellt wurde, die in ihrer Freizügigkeit so gar nicht in die Empangsräume des Kaiserreichs gepasst hat.
Nur soviel ist gewiss - sie war Berlinerin, und ihr Abbild blieb dort 127 Jahre, bis es jetzt nach Bayern an die Isar geht. An die Spree erinnert nur noch der Stempel der Malerwerkstatt, ansonsten ist sie jetzt dem Italien näher, dem die Idee zu Tunika, geschönter Nase, weichen Lippen und freizügiger Haltung entsprang. Es ist kein Raub im juristischen Sinne, irgendjemand wollte sie nicht mehr haben, man hat sie verstossen, verkauft, und ich will gar nicht wissen, was die Verkäufer mit ihrem lumpigen Gewinn anstellen, denn ich bin nur der Bote, es ist nicht mein Bild und schon gar nicht meine Stadt, die hier weitaus mehr Schönheit verliert, als an schwäbischen Ponyträgerinnen mit schlechten Manieren zwischenzeitlich reinkommt. Es wird eine Stadt jenseits aller Herrlichkeit sein, und keiner wird mehr kommen, um ihre alten Schätze zu suchen.
Nachtrag: Dieser Text entsand während der letzten Fuhre in Berlin in meinem Kopf, weil ich das Gefühl hatte, diesmal wirklich nichts gefunden zu haben. Ein Gefühl, das sich beim Hinaufschleppen von 4 Büsten, einem Relief, 2 Statuetten, einem Kronleuchter, einem Gemälde, einer Tüte Silber und noch ein paar Sachen als nicht ganz zutreffend herausgestellt hat.
donalphons, 19:02h
Montag, 5. Februar 2007, 19:02, von donalphons |
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jens-olaf,
Montag, 5. Februar 2007, 19:21
Hugenotten
Du kannst mitnehmen, was du willst nach München und in weitere Umgebung. Ich kenne zuviele Hugenotten- Nachkommen in Berlin. Und dann ist auf einmal München "Down Under".
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donalphons,
Montag, 5. Februar 2007, 19:23
Auch die haben irgendwann Erben mit darianimässigem Hang zur Geschichtsvergessenheit.
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burnster,
Mittwoch, 7. Februar 2007, 14:22
In Plauen hat meine Sippe übrigens ein bisschen Geld in einer Immobilie Ost begraben. Sag doch bitte was Nettes über Plauen, vielleicht zieht dann jemand hin und in unser Haus:)
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donalphons,
Mittwoch, 7. Februar 2007, 14:28
Plauen ist sehr viel näher an Bayern als Berlin.
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