Sehr zu empfehlen - Die vorderasiatische Krankheit

Mein Urgrossvater grossmütterlicherseits war ein sehr moderner, dem Neuen aufgeschlossener Mensch, der so manche Mode mitmachte. So zum Beispiel die Elektrifizierung des Stadtpalastes, die zu seiner Zeit mit 4 Steckdosen pro Raum als ausserordentliche Verschwendung angesehen wurde, oder der frühe Einbau von Bädern in jede Wohnung. Damit auch jeder diesen unerhörten modischen Luxus sehen konnte, wurden die Steckdosen auf Augenhöhe in die Mitte der Wände eingelassen, wo sie sich teilweise noch heute befinden und so auch unter meinem persönlichen Denkmalschutz stehen.

Waren vier Steckdosen pron Raum früher nicht weniger als visionär, würde man manch anderes heute als exotische Marotte abtun. So trug er beim Rauchen neben dem Hausmantel daheim bei Rauchen einen Fez, dieses rote türkische Hütchen, das man heute allenfalls als Spleen begreifen würde - damals dagegen war es eine modische Erscheinung im Rahmen einer gewissen europäischen Vorliebe für den Nahen Osten und Nordafrika. Die Franzosen hatten Algerien, die Engländer Ägypten, die Deutschen hatten allerbeste Beziehungen zur hohen Pforte, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts in die erste Gründung eines muslimischen Friedhofs in Berlin mündeten, und exotische Reiselitaratur tat ein übriges, um den Okzident mal wieder für den Orient zu begeistern.

Nun kann man das damit begründen, dass es zu dieser Zeit weder Fernsehen noch Internet gab - das Grauen der Kolonialisierung und Annektion war den Menschen damals meist ebensowenig bewusst wie das reale Elend in diesen Ländern. Mein Urgrossvater erfuhr davon nur indirekt durch den Wunsch seiner jüngsten Tochter, sich dem Zionismus anzuschliessen, was er ihr mit Hinweis auf die tatsächlich weniger angenehmen Lebensumstände im britischen Mandatsgebiet erst mal untersagte. Er bezog gern Teppiche, Kolonial- und Rauchwaren von dort, beabsichtigte aber bis zum Erscheinen eines Herrn aus Österreichs nicht, seinen Nachwuchs dorthin zu exportieren. Es war also lediglich die Vision des Orients, der er anhing, und die tatsächlich einen Reiz hat, dem man sich schwer entziehen kann.



Mir jedenfalls ist das Bild mit dem Fez tragenden Urgrosvater in seinem Salon sofort wieder eingefallen, als ich durch Jaffa ging. Ich hätte durchaus alle Berechtigung, mir auch so einen orientalisch angehauchten Salon einzurichten, nur habe ich dummerweise kein leeres Zimmer mehr, dachte ich, als ich durch die Märkte zog und mir überlegte, wo eigentlich noch so eine Hamsa oder ein paar blauen Fliessen passen könnte. Es ist mir einfach nichts eingefallen. Also kaufte ich einen französischen Empireleuchter, der beim Zoll für einiges Aufsehen sorgte, eine englische Kanne und liess es dabei bewenden.

Um dann im Flugzeug auf die Lösung zu kommen: ich habe noch einen Raum, der nicht fertig ist, und wo das alles ganz wunderbar passen würde. Im Speicher nämlich. Auch dort sind die Decken niedrig, die Wände krumm und der Putz bröckelig, im Sommer ist es glühend heiss und überhaupt, das wäre eine gute Sache. Am Flughafen kaufte ich dann gleich die aktuelle Byzance, die wohl immer noch dem Spleen meines Urgrossvaters anhängt und unter anderem Weingut aus dem libanesischen Bekaa Tal vorstellt - eine Region, mit der unsereins eher Begriffe wie Hisbollah, Terror und Drogenhandel verbindet. Wobei man auch fragen könnte, ob ich in dieser Hinsicht nicht den Knick in der politischen Optik habe, denn Libanon war bislang für mich etwas, das gar nicht ging. Aber ansonsten hatten sie in Byzance wirklich hübsche Ideen, was man mit den Dingen tun kann, die man in Jaffa so findet.



Ich glaube, ich muss da bald wieder hin. 50 Dollar, meinte ein Händler, würde in Israel das Verschicken eines 50 Kilo schweren Teppichs nach Deutschland kosten, desto mehr, desto billiger. Und nur der Umstand, dass der Herr am Shabbat geschlossen hatte, war dafür verantwortlich, dass ich es nicht ausprobieren konnte. Aber das lässt sich nachholen.

Bleibt nur eine Frage: Wo kriege ich einen Fez her? Mit einem Fez in einem orientalischen Zimmer gegen die deutschen Neoconnards anschreiben, das wäre genau das Richtige.

Dienstag, 20. Februar 2007, 19:40, von donalphons | |comment

 
Mit dem Fes würdest du noch ganz andere gegen dich aufbringen. Aber das weisst du ja sicherlich.

Das Tragen des Fes ist in der Türkei eben seit 1925, aber auch in Ägypten seit 1953 als "Zeichen anachronistischer Rückständigkeit" bis heute bei Strafe verboten. Das Tragen eines Fez war im Biedermeier als ein Zeichen der Gemütlichkeit sogar in Teilen Europas verbreitet. Ebenso war der Fez oft fester Bestandteil der Uniformen verschiedener Milizen im faschistischen Italien.

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Pah, bei den Jungtürken habe ich eh verschissen. Jedes Pack, das aus Kleidung und Marotten gleich zwanghaft irgendwelche Ideologien ableitet, ist mir zuwider. Gemütlichkeit ist immer prima, wer auf dem Diwan liegt, begeht kein Massaker.

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Der Diwan in Berlin scheint mir sicherer als der in Jerusalem.

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Absolut. Aber man sollte schon auch dafür arbeiten, dass man in Jerusalem und noch weiter östlich ebenfalls in Ruhe auf dem Diwan liegen kann.

Diwan hätten wir übrigens noch einen Anno 1905 im Möbellager.

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wo Du einen fez herbekommst? beim bauchtanz-ausstatter zum beispiel. (wobei mir einfällt, daß mir sowas in meiner sammlung seltsamer kopfbedeckungen noch fehlt.)

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"Es war also lediglich die Vision des Orients"
Tausendundeinenacht ist eine Märchensammlung. Der "Orient" ist nur eine Vorstellung des bürgerlichen "Okzidents" des vorherigen Jahrhundertwende. Das sagenhafte Byzanz, das prächtige Konstantinopel, das märchenhafte Istanbul. Das sind nur Vorstellungen, die nicht mal im entferntesten mit der Wirklichkeit etwas je gemein hatten oder haben. In Wahrheit war das Leben mörderisch, dreckig, gefährlich, schäbig und armselig wie überall im Mittelalter. Genauso wie unsere Vorstellungen sind von der schönen Südsee, dem Wilden Westen von Amerika oder von Artus Tafelrunde. Die Südsee ist übrigens alles andere als schön. Das was in den Touriprospekten zu sehen ist, sind künstliche und abgeschottete Tourireservate. Terrarien für gehobene Ansprüche.

Nein, den "Orient" hat es so nie gegeben. Hindert es uns daran einen Fez aufzusetzen? Auch nicht. Da bin ich bei dir, einerseits, bestimmte Kleidungsstücke zu verbieten, halte ich in der heutigen Zeit für lächerlich (Schleier, Kopftuch, Fez, Turban) - auch wenn es geschichtlich und politisch regional mal notwendig geworden sein sollte, und andererseits ... wenn man es irgendwie für sein Seelenheil braucht, meingott, why not, pour quoi pas? Enjoy. Have fun. Es gibt verwerflicheres and anrüchigeres ...

Übrigens, wo kann ich einen Fez bekommen? Der türkische Fez kommt original aus Marokko. Schon immer. Ursprünglich kammt er ja auch aus der "Stadt Fez" wie wir alle wissen. So heute auch noch. Also, Don, ich würde einen Marokkaner fragen oder in einen Marokkanischen Laden deines Vertrauens gehen. Ich wünsche mir dann aber auch ein Foto von Dir mit dieser Kopfbedeckung. Ich habe Zeit.

Nachtrag: Fez/Fes gibt es aktuell auch bei ebay! Bezeichnenderweise aus UK und USA für einen Appel und ein Ei ... Scheinen mir aber keine echten zu sein. Mehr Scherzartikel, Massonery acsessoires, ... Also ich bleibe dabei: Feze aus Marokko sind die besten.

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Ich habe einen Fez und auch mehrere Kufayas, aber das habe ich aus ungefähr der Gegend, wo du gerade warst. Hätteste mal nen Beduinen gefragt...

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fez-o-rama
For the fun of it. Redneck Folklore.

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Es ist das gleiche wie mit den Asiatika. Natürlich weiss ich, wie krank die Zeiten waren, aus denen all die grazilen Geschöpfe auf den Holzschnitten stammen. Aber genauso, wie ich meine Heimat überall in mir trage, würde ich gern auch die Fremde in die Heimat tragen. Daher diese fixen Ideen.

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Don, es klingt fast so, als hättest Du in der Zeitschrift das erste Mal von libanesischen Weinen gehört, dabei gehören die beiden bekanntesten Weingüter (Musar / Kefraya) schon seit Jahrzehnten zur Weinszene.

Zur Zimmereinrichtung kannst Du Dich ja mal hier: http://stores.ebay.de/Sufi-Shop-Internationale umschauen.

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Ich trinke keinen Alkohol.

Und das Bekaa Tal kennt man in meinem Beruf ausschliesslich als das Höllental.

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Bist Du mal in Banja Luka von Kindern ohne Beine angebettelt worden? Dagegen ist Baalbek fast erträglich, sieht vor allem schöner aus.

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Du bist Vegetarier und trinkst keinen Wein - die Freuden des Lebens sind bei Dir eng gesteckt.
Alkohol trinke ich auch nicht :-), aber wer wird schon bei ein paar vergorenen Früchten von Alkohol reden ;o).

Nur 1984 gab es keinen Wein auf Chateau Musar!
Und mal ganz ehrlich, so aus meiner Sicht, ist es nicht viel schöner das Bekaa Tal auch als die Schweiz Persiens zu kennen?
Urlaub würde ich aus den "anderen" Gründen dort aber nicht machen *seufz*.

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Wirklich Rauchwaren? Oder doch eher Tabakerzeugnisse?
*Haarspaltmodus aus*

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*g* zwischen Rauchwaren und Tabakerzeugnissen sollte man schon fein unterscheiden, oder würdest Du gehäxelte Fischreste, die in Form gepresst werden, mit einem leckeren Fischfilet vergleichen wollen? *g*

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Also ich unterscheide da durchaus: Schließlich sind Rauchwaren Pelze...

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