: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 23. September 2004

Real Life 22.0904 - Ich bin pünktlich.

Pünktlichkeit ist die elementare Höflichkeit des Gastes. Ohne Höflichkeit keine Freundschaft, sagt Castiglione, aber den hat hier wohl kaum einer gelesen. In den 19. Stock geht es mit einer sehr schönen Frau, nach Massstäben eines BWL-Studenten. Sie trägt ein dunkles Kostüm, hat eine Perlenkette um das Handgelenk geschlungen und eine unpassende Digitaluhr darunter. Ich hätte es eigentlich wissen müssen wegen der Uhr, aber die paar Sekunden hatte ich irgendwie so eine Hoffnung. Sie klingt sehr nett, wie jemand, die man küssen kann, im Aufzug nachher auf dem Weg nach unten. Jedenfalls merke ich oben, als ich ihr den Vortritt lassen will, dass man sie als Liftgirl missbraucht, für das Management-Volk des Lügenhauses, in dem ich bin.

Ich trete nach draussen, gehe zur Garderobe und lege ab. Ich trage einen schmalen, schwarzschlammgrünen Anzug und Krawatte von Armani. Es ist 19.29 Uhr, und die Räume sind fast leer. Ich finde das sehr unangenehm, denn es zeigt, dass die Gäste wenig mit den Idealen anfangen können, um die es hier heute Abend geht. Ideale deshalb, weil das Produkt garantiert nicht die Kosten dieses Abends einspielen wird, was ihm etwas wunderbar Antiquiertes verleiht. Es ist fast wie eine Erinnerung an die Ära der Dotcoms.

Ich treffe Frau S. aus meiner Heimat. Ich sage ihr, dass ich von diesem Haus wenig bis gar nichts halte. Sie stellt mich trotzdem K. vor, der hier das aktzeptablere Produkt leitet. Der von der Gossenabteilung ist auch da, wie befürchtet. Wir reden über Blogs und Transatlantisches und über Zürich, wo angeblich inzwischen fast jeder Deutsche ist, wie auch in Berlin, nur ich nicht, denn ich bin in beiden Orten. Dann hält er eine Ansprache, in der es vor allem um die Probleme des Verlagshauses mit seinem Produkt geht.

Ich meine, das ist wirklich nicht wichtig. Es ist Abend, und ich habe genug von Wirtschaft und Geld gehört. Geld ist sowieso peinlich, weil im Moment kaum jemand was hat und man sich schon fast schämen muss, wenn man einer geregelten Arbeit nachgeht, die auch noch Spass macht, während die schönen Frauen hässliche mittelalte Managertypen im Lift kutschieren müssen, statt mit mir zu plaudern, und alles nur wegen Geld, ich kann es nicht mehr hören. Dann kommen der Chefredakteur und der Herausgeber und sagen wenig Zusammenhängendes, wie immer eigentlich. Beim Ernst-Jünger-Zitat grinsen die Manager des Hauses, ist ihre Magenlektüre jeden Morgen. Sie mögen Jünger. Ich kann ihn nicht leiden, ich denke, er muss gerochen haben wie eine Schützengrabenlatrine, und seine Texte sind eigentlich nur für den Wandkalender badischer Bauern gut. Über das Produkt selbst haben sie eigentlich nichts gesagt. Aber das wird gerade verteilt, in zu geringen Stückzahlen natürlich.

Dann wird das Buffet eröffnet. Ich gehe herum, und schaue mir die nachgemachten Antiquitäten an. Die Teppiche sind, wenn man genau hinschaut, verschlissen und abgetreten, die Club Chairs sehen aus, als hätte man sie in der britischen Botschaft in Nairobi Anfang der 60er jahre ausgemustert. Metallvasen sind nur vesilbert und verbeult. Das Holz ist entweder Zirbelstübchen oder reichskanzleibraun. Ich setze mich auf einen Chair, bei dem ich einen guten Blick auf den Rücken von E. habe.

Im Produkt ist auch eine Geschichte von E.. Ich finde, E. sollte mehr Geschichten schreiben, und zwar in dem schwarzen Top, in dem ihr Rücken mit den beiden Leberflecken so gut zur Geltung kommt. Wenn E. nicht die ganze Zeit in Bangkok wäre, sondern hier mehr schreiben würde, hätten wir uns die ganzen schlechten Popliteraten sparen können. E. ist eine Frau, die alle lieben würden, glaube ich. Doch, ja. E. raucht, wie C., Salem-Zigaretten, und ich könnte sie mir gut in der Halle unseres Hauses in Bayern vorstellen, unter den Kronleuchtern, die nicht so billiges neues Zeug sind wie die Pressglasdinger hier oben. Ich mein, wenn es schon billig sein soll, aber egal, da sag ich woanders was dazu.

Ungefragt setzt sich mittleres Management zu mir. Die Teller sind mit Fleisch überfüllt, vor allem mit Riesengarnelen, die sie zu Hause nie bekommen, nur wenn sie schnell eine Garnelen-TK-Pizza schaufeln, und dazu Boeuf, und die Sauce schwappt in die Garnelen. Einer stellt seinen Teller auf das Produkt. Ich bin der höflichste Mensch von der Welt, aber hier geht es nicht anders. Ich sage Pardon und ziehe das Produkt unter seinem Teller weg. Er sagt Äh, und beginnt, die Garnelen zwei Handbreit über dem Teller in seinen Mund zu stopfen. Dabei redet er mit den anderen über Marktentwicklung für das Gossenpapier des Hauses. Ich blicke demonstrativ zum Fenster hinaus. Nach einer Weile wird es zu unangenehm. Als ich aufstehe, sehe ich, dass mindestens drei von ihnen Rolex-Uhren tragen.



In der Ecke sitzt der älteste Autor des Produkts und hat niemand zum reden. Ein Fossil, werden die Manager des Hauses denken, und würden lieber mit dem D. reden, der übrigens das Bildblog hasst. Ich hoffe, dass die ihm die Pomade vom Kopf pusten, und bringe später C. die Bücher, die die Post nicht zu ihm nach Nepal bringen wollte, und dann noch eines für I. I. ist sich sicher, dass SD in Wirklichkeit J. ist, oder J. zumindest ganz tief mit drin steckt. Ich habe beim Verlag von SD angerufen, und ein Interview wurde mir verwehrt. Wahrscheinlich haben sie Angst vor dem Skandal. J. ist nicht gekommen, sonst hätten wir ihn fragen können.

Langsam verschwinden die Manager des Lügenhauses, die müssen ja auch zu geregelten Zeiten arbeiten gehen. Die Räume werden leer. Es bleibt das Destilat der Freigeister, der Kreativen und Arbeitslosen. Es wird Zeit für die Afterpartyparty in einem Club, der woanders ist.

E. kommt und sagt, dass ich auch noch mitkomme. Aber als ich im Auto sitze, bin ich schon etwas müde, und an der Location laufe ich erst mal vorbei, weil sie gut versteckt ist. Angeblich nobel. Ich bin schon ziemlich weit weg, als zwei Paare rauskommen, das Produkt unter dem Arm, und sich laut anschreien. Ich denke, dass es dort unten nicht wirklich angenehm ist, dass ich eine Kanne Tee brauche, und so verpasse ich das, was man bei Jens Thiel lesen kann. Er hat leider nichts über den Rücken von E. zu berichten, aber ich finde, er sollte doch schreiben. Unbedingt. Und auf die Bedenken pfeifen.

Danach bin ich zu Hause und stelle nicht ohne Ironie fest, dass ich aus genau dem Silbergeschirr Tee trinke, dessen Benutzung K. in seiner Ansprache C. unterstellt hat. Tee und Silber sind exquisit, wie auch Produkt. Aber die Kritiker werden es hassen.

Edit: "Was das Heft geistig zusammenhält, ist allein die Eitelkeit, die wir alle besitzen, die hier aber dem Leser in ungewohnter Radikalität entgegentritt." resumiert der Tagesspiegel, dessen Autor allen Ernstes von einem "popliterarischen Quartett" in Bezug auf Tristesse Royal phantasiert. Damals sassen allerdings 5 Herren im Adlon, nicht 4.

Der Freund von Herrn Kracht, Dr. Nickel und Frau Obladen und leider auch Springer ist übrigens hier erhältlich.

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Jagdszenen aus dem Content-Zulieferer-Bizz

Früher, in der glückseeligen Zeit der New Economy, dachte man, Content Providing wäre das grosse Geschäftsmodell. Auf der eigenen Website die User was schreiben lassen, mit windigen AGBs den Usern das Geschriebene abnehmen, ohne einen Pfennig zu zahlen, und dann an en Gros an Content Syndicators weiter verkaufen. Der "User generated Content" sollte so eine Art Cash-perpetuum-mobile werden. Inzwischen hat sich gezeigt, dass der Content fast so wenig taugte wie die Geschäftsmodelle, weshalb die angeblich unersetzbaren Content Provider erst zu "Zulieferern" degradiert wurden, und dann pleite gingen. Edit: Bis auf ein paar letzte Hungerleider natürlich, die sich gegenseitig versichern, wie blendend es ihnen geht.

Aber jeder Historiker weiss, dass die Weisheit und Lernfähigkeit sehr begrenzte Rohstoffe auf diesem Planeten ist, und so lassen sich eben manche weiterhin auf dieses Spiel ein - nur diesmal ohne windige AGBs, und mit "Content" von anderen Websites. Juristen nennen das Verletzung des Urheberrechts, Madzia nennt es eine heisse Sache, und wenn der "Zulieferer", O-Ton Handelsblatt, gezwungen ist, solche Zitate zu liefern (hier im Kontext eines eigenen Werkes):

der text für gestern war vorproduziert und wir hatten nicht rechtzeitig eine rückmeldung, welcher text überhaupt genommen wird. moe kann dafür nichts, er wusste leider nicht einmal, dass dieser text genommen wird.

dann sollte der Zulieferer vielleicht mal drüber nachdenken, wie das Verhältnis zum Belieferten aussieht. Mir scheint, jemand wird hier als Fussabstreifer genutzt. Allein, ich kann mich natürlich auch täuschen, weil eigentlich hab ich ja gar keine Ahnung vom Netz. Oder so.

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