: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 24. November 2004

Cut für Kuttner

liest man bei der FAZ. Eine schlechte Woche für Berliner Moderatorenvolk, nach dem schon Polylux Richtung Gullylux geht.

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Monolog

Mal wieder einen Studi getroffen, der gerade fertig wurde: Sag mal, wie das passieren konnte. Erklär mir, warum wir Kreativen, wir Jungen, wir gut Ausgebildeten, die bei Dir gelernt haben, keinen Job finden, kein Geld haben, keine Chancen, auch nicht nach 100 Bewerbungen, und wenn doch, dann nur irgendwas, von dem wir kaum leben können. Wann ist das bei Euch schief gelaufen.

1987. Im Sommer 1987. Im heissen, traumhaft schönen Sommer des Jahres 1987, am See, und zwar an dem Teil, den man den vielleicht 20, 30 jungen Windsurfern aus dem besseren Teil der Gesellschaft vorbehalten hatte, die alle in der Nähe wohnten und deren Eltern sie jeden Tag hier her brachten. Im Sand, da fing es an, und da ist es auch schon gescheitert. Normalerweise ist überall Kies, aber an der Stelle des ehemaligen Förderturms, dessen Fundamente noch stehen, ist Sand. Das war unser Platz. Der beste Platz, wir waren ja auch immer die ersten, weil wir daneben wohnten. Da hat alles angefangen.



Es gab nicht viel Wind in diesem Sommer, also sassen wir am Strand, und lasen. Nicht irgendwas. Wir lasen Tempo und Wiener. Wir sassen auf den Tüchern, Rücken an Rücken gelehnt mit Margot, Apothekerstochter, oder Evelyn, Tochter des Dresdner-Bank-Leiters, und lasen das, was die Redakteure uns von der grossen Welt da draussen erzählten.

Bis zu diesem Sommer wussten wir nichts. Wir ahnten, dass es nicht gut gehen würde mit uns. Wir sahen das Leben unserer Eltern zwischen Butzenglas-Doppeltüren, Kachelofen und dekorativer Graphik, und sie hatten uns schon früh gesagt, wo unser Platz war: Ihr Nachfolger, oder noch besser: Arzt. Gut, dann werde ich halt Sportarzt, ich bin ja im Tennisclub, dachten sich die meisten. Bestenfalls könnten sie noch Sportarzt in einer grösseren Stadt werden, aber dafür gab es auch keine echten Gründe, denn mehr Kunden für Sportärzte als hier würde es kaum irgendwo anders geben, bei den vielen Skifahrern, Tennisspielern und Reitern in dieser Stadt. Bis 1987 wusste keiner, was man sonst hätte machen sollen. Mein Gymnasium rühmte sich damit, die besten Techniker für die lokale Weltfirma hervorgebracht zu haben, und wir hatten 4 Leistungskurse Mathe und 2 WiSo, aber keinen für Deutsch.

Wir sassen im Sand, schauten nach Süden, Richtung München, 70 Kilometer von hier, und lasen, was dort möglich war. Dass es dort ganz andere Chancen gab. Werbung zum Beispiel. Damals waren in Tempo und Wiener diese Bilder für das Parfum Opium, eine Frau mit kurzen Haaren, die einen Mann energisch an sich ranzieht, schwupps, drei Wochen später sahen da alle so aus, die Eltern waren entsetzt, und wenn Margot dann den Kopf zurücklegte, kitzelten ihre Haare an meiner Schulter. Es war ein verdammt guter Plan, dieses Anything goes. Wir sahen es an uns: Alles war möglich. Ficken ja, heiraten nie, Evelyns Vater wäre durchgedreht, wenn er gewusst hätte, was wir auf dem Surfbrett gemacht haben. Wir kauften plötzlich Musik, die nicht im Radio lief. Wir bestellten Bücher, von denen die Buchhandlungen nichts gehört hatten.

Wir lasen sie hier auf diesem Sandvorsprung, und zwischen uns und München lag nicht mehr diese verdammte, tote, festgelegte Stadt der Zombies, sondern nur ein paar Kilomter, die wir mit Führerschein ganz lässig überbrückten. Wir fuhren hin, kauften bei Robot, Annas und Holy´s Klamotten, die übrigens noch nicht mal teurer als das hässliche Zeug bei uns zuhause in den sogenanten "Boutiquen" waren. Wir waren ganz anders als diese Stadt. Es war klar, dass wir sie verlassen und das tun würden, was uns von Tempo und Wiener geraten wurde. Multimedial, bunt, kreativ, flexibel, unabhängig, und am Abend dann ins Parkcafe. Klang gut. War gut. Die Provinzstadt verschwand bald irgendwo im Norden; nur noch eine vertraute Autobahnausfahrt auf dem Weg nach Frankfurt, wenn wir mal Viola besuchten, die Brokerin wurde.

Designer, Broker, Creative, Computer-Freak, das war hier alles schon angelegt. 10 Jahre später wären wir zusammen sicher ein grandioses Startup geworden. Irgendwann würden wir in diese Stadt zurückkommen, und es den Zurückgebliebenen zeigen. Das war der Anfang, und der Fehler. Die Grundprämisse war falsch. Man hätte die Zurückgebliebenen als Markt gebraucht, als Käufer, als diejenigen, die das alles bezahlten, unser Leben und die Ideale, die man festlegt, wenn ein paar Leute ohne Realitätsbezug zusammenkommen und sich für das Mass aller Dinge halten. Der Fehler war nicht, die Rebellion zu versuchen. Der Fehler war, die Realität in den Städten zu ignorieren, aus denen wir geflohen waren. Man hätte es schon früh merken können, als die lustig-bunten munich-area-style Projekte einiger Heimkehrer in dieser Stadt nach wenigen Monaten pleite waren. Ich hatte das Glück, alle 2 Wochen in dieser Stadt zu sein, und mich von meinem Vater mit 40 Jahren Erfahrung richtig erden zu lassen, ich hatte das verdammt nötig. Solange mein Dad als Referenzkunde nicht im Netz shopte, solang nur die Hungerleider und Praktis den E-Commerce tanzten, war klar, dass es nicht gut gehen würde.

Aber alle Politiker glaubten daran, alle Uni-Leitungen, und deshalb haben sie Euch gut ausgebildet, für einen Markt, den es nicht gibt. Bei AGs beteiligt man sich nur als Ich, man braucht keine Werber, man braucht Altenpfleger, man braucht keine Broker, aber Kassierer werden immer gesucht, man braucht kein mittleres Management im Business Development, man braucht Sachbearbeiter, und den RedakteurInnenposten erfickt man/eherfrau sich bundesweit, oder lässt es eben bleiben. Das hätten wir uns damals am See auch nicht vorstellen können, klar.

Ich bin heute nur noch selten an diesem See. Ich bin auch nicht allzu lang in dieser Stadt, höchstens mal 2 Wochen am Stück. An diese Stelle gehe ich eigentlich nie, obwohl sich hier, glaube ich, mein Leben entschieden hat. Zum Guten. Zum Besten, was angesichts der Realität möglich war. Ich habe einen gut bezahlten, kreativen Medien-Job, den ich liebe, ich bin nebenbei Schriftsteller, ich führe eigentlich ein sehr angenehmes Leben, und ich bin vielleicht sogar so eine Art Idealprodukt dessen, was Tempo und Wiener 1987 vorgegeben haben. Immer noch Zeitgeist, immer noch Anything goes. Es gibt nicht viele, die sich im Moment keine Sorgen machen müssen. Ich bin nicht hier hängengeblieben, ich bin kein Teil dieser kranken Nomenklatura dieser Stadt geworden, ich durfte fliegen, als alle anderen schon längst wieder in die sicheren Käfige gekrochen sind. Das ist viel, verdammt viel, wenn ich mir die jungen Leute anschaue, die jetzt von der Uni kommen. Ich habe die Rebellion mitgemacht, und am Ende meinen kleinen Markt gefunden, ein bisschen wie Voltaires Candide kann ich jetzt sagen, dass ich meinen Garten bestellen will.

Aber nicht hier. Hier habe ich Angst, schlichtweg Angst, hier all diese Leute von damals wiederzutreffen. Ich will nicht diese dummen, immer gleichen Geschichten hören, von den Erwartungen, von dem Glauben, den Visionen, die dann doch keinen Markt hatten, in deren Folge sie dann zurück gingen und das gemacht haben, was ihre Eltern richtig fanden. Sportarzt, Ingenieur, gute, angesehene Leute in Doppelhaushälften und Kindern, die in die Grundschule gehen und für die sie jetzt schon das Hochschulranking lesen. Meine Eltern und ihre Eltern reden ja noch und tauschen diese Geschichten aus, ich höre es indirekt, aber so Angesicht zu Angesicht? Sie würden mir sagen, wie gut es ihnen geht, wie alles geregelt ist in ihrem Leben, und ich müsste ihnen die Geschichten von Rebecca und Kristina erzählen, die tot sind, von Gerold, der mit seiner Galerie auch privat bankrott ging, von Viola, die seit drei Jahren in einer Kreditabteilung sitzt, von Yvonne, Oli und Gregor, die alles versucht haben, in der New Economy endlich alle Ziele erreicht haben, nur um sich heute mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Ich bin mir sicher, dass Margot mit ihren beiden Kindern, die sie von Jürgen hat, mich überhaupt nicht verstehen würde, denn diesen Sommer 1987 hat sie sicher schon längst vergessen und abgehakt, das war nur eine Marotte, die bis zum zweiten Studienabbruch gehalten hat, nicht mehr als eine Anekdote, denn so, wie man sich manchmal im ersten Freund irrt, irrt man sich eben auch in der Rebellion, und heute ist alles, alles gut für sie.

Aber nicht für mich. Ich will es nicht sehen. Von unserem 1987er Standpunkt aus ging es für fast alle schief, es gab keinen Markt für uns, denn die reaktionäre Scheisse, dieser gigantische Markt der Dummheit, dem wir entgehen wollten, hat die meisten eingeholt und sich wieder einverleibt. Da drinnen, in diesem arrivierten Moloch ist es ein warmes Plätzchen für Renegaten, und die machen die besten Kinder für die Unsterblichkeit der Dummheit. Es ist alles gut für sie, wenn auch nicht so schön wie der Sommer 1987 am See, als ich Rücken an Rücken mit Margot Tempo und Wiener gelesen habe, und es nur logisch schien, dass anything gehen wird, und dann lehnte sie ihren Kopf zurück, und ihre kinnlangen Haare, wie in der Werbung für Opium, streiften meine Schultern.

So fing das damals mit der New Economy an.

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