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Mittwoch, 5. Januar 2005
Real Life 05.01.05 - 200 Meter Richtung Hölle
Davonlaufen macht keinen Sinn. Von hinten, aus dem Wohnheim, kommt eine Elitesse, hoch aufgerichtet, und ihr Stechschritt hallt ihr vorraus. Zackzackzack knallen die Absätze auf das Pflaster in der engen Gasse, schnell, monoton, zielstrebig. Es dauert nur nicht lang, bis zur Ecke, da hat sie mich, der ich im Trott des Müssiggangs und der Provinz schlendere, überholt.
Wenn man aus der Provinz kommt, erkennt man die Elitessen an ihrer Andersartigkeit. Sie san einfach a andere Rass, wie man hier sagt. Die hier trägt einen schlanken Ordner, in dem die Blätter penibel ausgerichtet sind, und eine praktische kleine Thermoskanne. Im Rucksack zeichnet sich das Notebook durch ein tiefhängendes Rechteck ab. Sie schaut nicht nach links oder rechts, die mausbraunen oder rehbraunen Haare, je nach sexueller Bedürftigkeit des Betrachters, sind entgegen der leichten Wellen zu einem Knödel am Hinterkopf festgezurrt. Sie ist lang und dünn, sehr dünn, selbst unter der dicken, gesteppten weissen Jacke erscheinen ihre Bewegungen hart, ruckartig und rabiat. Sie ist vielleicht 23, aber der strenge Zug um ihre Lippen, und die wie Pergament über hohe Wangenknochen gespannte Haut zeigen schon erste Spuren des durch Sekundärtugenden bedingten Niedergangs. Sie riecht nicht unschön nach Sandelholz, aber es ist zu trocken, zu abweisend, es macht sie in den Begriffen ihrer erfolgsorientierten Peergroup sicher begehrenswert, perfekt geeignet für das kleinste, effektivste Netzwerk, die Double Income Family, vorzeigbar, und mit dem gleichen Willen ausgestattet, der es ihnen zusammen erlauben wird, den ganzen Weg nach oben zu gehen.
Und als ich sie rieche, muss ich an meine ruhende Teilzeitgeliebte in Berlin denken; sie ist klein, dunkel, drall und dabei sehr wohlproportioniert, sie riecht warm und laut, und sie hat beruflich oft mit solchen Produkten der Leistungsgesellschaft zu tun, die aus ihren geraden Lebenswegen eine Tugend machen und dafür Unterwerfung einfordern. Meine Teilzeitliebste, die mich gerade beurlaubt hat, ist eine Hermia, um es in den Dramatis Personae von Shakespeares Sommernachtstraum zu sagen, und ich weiss, dass sie diese hochgeschossenen, kargen Helenas hasst; ich stelle mir vor, und wie sie, klein, wütend und innerlich bebend, ihrem Hass Ausdruck verleihen würde:
How low am I, thou painted maypole? speak;
How low am I? I am not yet so low,
but that my nails can reach unto thine eyes. (Act III Scene II)
Die Elitessen-Helena schreitet unaufhaltsam voran, zwängt sich an zwei dicken Biermännern vorbei, die ihren Laster mit leeren Fässern der heimischen Brauerei beladen, und nur einer dreht sich kurz nach ihr um, als sie ihn beinahe anrempelt, ohne auch nur einen Moment an Geschwindigkeit zu verlieren - und dann verschwindet sie um die Ecke, und ihre knallenden Schritte verstummen.
Es dauert, bis ich dann auch um die Ecke komme; ich mache den Biermännern Platz, ich habe Zeit. Gleich hinter der Ecke liegt schon das Ziel meines Wegs; die alte Bäckerei, die hier seit Jahrhunderten ist und in der sich die Menschen der Provinz stur und unbeugsam das immer gleiche Brot holen. Ciabatta kennt hier keiner, und trotzdem ist es hier immer voll. Hinten in der Schlange ist sie wieder, die Elitesse.
Die Bäckermeisterin grüsst mich, ich grüsse sie, die alte Frau Fürnrieder ist auch da, und die Elitesse dreht sich zu mir um. Vielleicht ist sie doch nicht so, vielleicht täuscht der äussere Eindruck, und sie kennt den Müssiggang und schätzt Essen - aber dann quetscht sie sich schnell zwischen den zwei alten Damen vor ihr durch, reicht einen 20-Euro-Schein über die Theke und fragt, ob man ihr das schnell wechseln kann, sie braucht Münzen für den Zigarettenautomaten, die sie auch schnell bekommt. Man ist ja nicht so, hier in der Provinz, auch wenn die Elitesse nicht mal gefragt hat, ob das in Ordnung geht, wenn sie sich vordrängelt. Dann ist sie schon wieder draussen und knallt in Richtung Uni, und die alte Frau Fürnrieder, der man ihre 78 Jahre nicht ansieht, schaut ihr fassungslos hinterher.
Nach den Begriffen der verlogenen Wirtschaftsmagazine, der an den Buffets der Grosskonzerne rundgefressennen JouHurnaille geht da draussen die Zukunft, unser aller Zukunft, die Leadership von Morgen, das Business für den globalisierten Markt, effektiv und vorzeigbar im Vergleich zu den alten Frauen und dem unrasierten, spazierenden Libertin. Aber wenn ich überlege, wie fertig die Elitesse in 20 Jahren sein wird, ausgebrannt, abgestresst, kettenrauchend und midlifekriselnd, und wenn ich überlege, dass der halbe Block hier der Bäckermeisterin gehört und dann noch ein Anwesen draussen und die Villen ihrer Kinder, wenn ich an das Fürnrieder-Imperium denke, das nach 200 Jahren immer noch wie ein Uhrwerk läuft und allein von den Patenten dieses unscheinbaren Weltmarktführers leben könnte, und wenn ich daran denke, dass ich nachher die Freiheit habe, Hermias wunderbare Zickigkeiten nachzulesen,
dann drängelt sich da draussen jemand hoch aufgerichtet, schnell und reinlich nicht in unser aller Zukunft, denn die gehört immer noch den Fürnrieders dieses Landes, sondern nur in ihre kleine, private Zukunftshölle mit steuerlich absetzbaren Möbeln und gelebtem Powerpoint.
Wenn man aus der Provinz kommt, erkennt man die Elitessen an ihrer Andersartigkeit. Sie san einfach a andere Rass, wie man hier sagt. Die hier trägt einen schlanken Ordner, in dem die Blätter penibel ausgerichtet sind, und eine praktische kleine Thermoskanne. Im Rucksack zeichnet sich das Notebook durch ein tiefhängendes Rechteck ab. Sie schaut nicht nach links oder rechts, die mausbraunen oder rehbraunen Haare, je nach sexueller Bedürftigkeit des Betrachters, sind entgegen der leichten Wellen zu einem Knödel am Hinterkopf festgezurrt. Sie ist lang und dünn, sehr dünn, selbst unter der dicken, gesteppten weissen Jacke erscheinen ihre Bewegungen hart, ruckartig und rabiat. Sie ist vielleicht 23, aber der strenge Zug um ihre Lippen, und die wie Pergament über hohe Wangenknochen gespannte Haut zeigen schon erste Spuren des durch Sekundärtugenden bedingten Niedergangs. Sie riecht nicht unschön nach Sandelholz, aber es ist zu trocken, zu abweisend, es macht sie in den Begriffen ihrer erfolgsorientierten Peergroup sicher begehrenswert, perfekt geeignet für das kleinste, effektivste Netzwerk, die Double Income Family, vorzeigbar, und mit dem gleichen Willen ausgestattet, der es ihnen zusammen erlauben wird, den ganzen Weg nach oben zu gehen.
Und als ich sie rieche, muss ich an meine ruhende Teilzeitgeliebte in Berlin denken; sie ist klein, dunkel, drall und dabei sehr wohlproportioniert, sie riecht warm und laut, und sie hat beruflich oft mit solchen Produkten der Leistungsgesellschaft zu tun, die aus ihren geraden Lebenswegen eine Tugend machen und dafür Unterwerfung einfordern. Meine Teilzeitliebste, die mich gerade beurlaubt hat, ist eine Hermia, um es in den Dramatis Personae von Shakespeares Sommernachtstraum zu sagen, und ich weiss, dass sie diese hochgeschossenen, kargen Helenas hasst; ich stelle mir vor, und wie sie, klein, wütend und innerlich bebend, ihrem Hass Ausdruck verleihen würde:
How low am I, thou painted maypole? speak;
How low am I? I am not yet so low,
but that my nails can reach unto thine eyes. (Act III Scene II)
Die Elitessen-Helena schreitet unaufhaltsam voran, zwängt sich an zwei dicken Biermännern vorbei, die ihren Laster mit leeren Fässern der heimischen Brauerei beladen, und nur einer dreht sich kurz nach ihr um, als sie ihn beinahe anrempelt, ohne auch nur einen Moment an Geschwindigkeit zu verlieren - und dann verschwindet sie um die Ecke, und ihre knallenden Schritte verstummen.
Es dauert, bis ich dann auch um die Ecke komme; ich mache den Biermännern Platz, ich habe Zeit. Gleich hinter der Ecke liegt schon das Ziel meines Wegs; die alte Bäckerei, die hier seit Jahrhunderten ist und in der sich die Menschen der Provinz stur und unbeugsam das immer gleiche Brot holen. Ciabatta kennt hier keiner, und trotzdem ist es hier immer voll. Hinten in der Schlange ist sie wieder, die Elitesse.
Die Bäckermeisterin grüsst mich, ich grüsse sie, die alte Frau Fürnrieder ist auch da, und die Elitesse dreht sich zu mir um. Vielleicht ist sie doch nicht so, vielleicht täuscht der äussere Eindruck, und sie kennt den Müssiggang und schätzt Essen - aber dann quetscht sie sich schnell zwischen den zwei alten Damen vor ihr durch, reicht einen 20-Euro-Schein über die Theke und fragt, ob man ihr das schnell wechseln kann, sie braucht Münzen für den Zigarettenautomaten, die sie auch schnell bekommt. Man ist ja nicht so, hier in der Provinz, auch wenn die Elitesse nicht mal gefragt hat, ob das in Ordnung geht, wenn sie sich vordrängelt. Dann ist sie schon wieder draussen und knallt in Richtung Uni, und die alte Frau Fürnrieder, der man ihre 78 Jahre nicht ansieht, schaut ihr fassungslos hinterher.
Nach den Begriffen der verlogenen Wirtschaftsmagazine, der an den Buffets der Grosskonzerne rundgefressennen JouHurnaille geht da draussen die Zukunft, unser aller Zukunft, die Leadership von Morgen, das Business für den globalisierten Markt, effektiv und vorzeigbar im Vergleich zu den alten Frauen und dem unrasierten, spazierenden Libertin. Aber wenn ich überlege, wie fertig die Elitesse in 20 Jahren sein wird, ausgebrannt, abgestresst, kettenrauchend und midlifekriselnd, und wenn ich überlege, dass der halbe Block hier der Bäckermeisterin gehört und dann noch ein Anwesen draussen und die Villen ihrer Kinder, wenn ich an das Fürnrieder-Imperium denke, das nach 200 Jahren immer noch wie ein Uhrwerk läuft und allein von den Patenten dieses unscheinbaren Weltmarktführers leben könnte, und wenn ich daran denke, dass ich nachher die Freiheit habe, Hermias wunderbare Zickigkeiten nachzulesen,
dann drängelt sich da draussen jemand hoch aufgerichtet, schnell und reinlich nicht in unser aller Zukunft, denn die gehört immer noch den Fürnrieders dieses Landes, sondern nur in ihre kleine, private Zukunftshölle mit steuerlich absetzbaren Möbeln und gelebtem Powerpoint.
donalphons, 17:50h
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