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Donnerstag, 25. September 2008
Der Kirchen Nachfrage und des Eulogius Angebot
Die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts ist in Mitteleuropa eine Periode der Stabilität; die Vormacht der Karolinger ist gesichert, es gibt eine funktionierende Verwaltung, Steuern, Beamte, gar so etwas wie eine einigende Kultur, getragen vom Christentum, die in dieser Zeit die Landschaften mit Netzwerken aus Klöstern, geistlichen Herrschaften, Bistümern und Kirchen überzieht. Die Zeiten des Abspaltungen und Debatten, der Zuständigkeitsstreitereien zwischen Römern und Iren sind vorbei, das Christentum ist Staatsreligion und zugleich Herrschaftsapparat. Und wie alle Verwaltungen, hat auch das Christentum einen Hang zur Vergrösserung, Schaffung neuer Posten und Stellen, und natürlich auch Unterhaltung für das Publikum, das aus Wallfahrten ein grosses und aus Gottesdiensten ein kleines Geschäft werden lässt.
Es gibt da allerdings ein kleines Problem für ein grenzenloses Wachstum: Das Endkundengeschäft der Kirche, vom König bis hinunter zum Leibeigenen, benötigt eine Art dingliche Mittlerinstanz zwischen denen da unten und den Mächtigen da ganz oben. Das 9. Jahrhundert hat es noch nicht so mit Transzendenz und Unergründbarkeit, man braucht etwas, das man sehen, anfassen und in Geschichten verpacken kann - wir würden heute sagen: Derivate, mit der die grossen Geschäfte zwischen Gläubigen und Kirche und damit Gott abgesichert werden können. Diese Derivate sind die Reliquien von Heiligen, deren Leiden man an die Kirchenwände malt, und die den Weg zu Gott weisen. Aber genau hier setzt beim emerging Market der Kirchengeschäfte die Krise an: Es gibt nicht genug Heilige für so viele neue Kirchen.
Das Problem ist in der Patristik begründet, genauer: In der Historia Ecclesiastica von Eusebius von Caesarea, einer im frühen 4. Jahrhundert entstandenen Ansammlung der Verfolgungen, von denen die aufstrebende Sekte meinte, sie erlitten zu haben. Eusebius selbst hatte wohl als junger Mann im östlichen Bereich des Mittelmeeres die diokletianische Abwehrschlacht einer christlichen feindlichen Übernahme des römischen Imperiums erlebt, und weil ihm aus dieser Region auch die meisten Akten zur Verfügung stehen, enthält seine Kirchengeschichte vor allem sehr ausgeschmückte, leidvolle Schilderung zerfetzter Christen im heutigen Nahen Osten. Sobald Eusebius auf Frankreich oder Italien zu sprechen kommt, wird er einsilbig und vage. Ja, auch dort wurden Christen zu Heiligen umgebaut, aber die wertsteigernde Produktionsweise, das Marketing dieser Heiligen fehlte, und sie waren in etwa so cool wie chinesische Kleinwagen.
Mitteleuropa war der Weg zu diesen besseren Heiligen versperrt, denn dort herrschten inzwischen die daran desinteressierten Muslime oder Byzantiner, die ihre Heiligen selbst brauchten. Die Santiago de Compostella zugrunde liegende Idee, einen Heiligen mysteriös durch das Mittelmeer treiben und am Atlantik anlanden zu lassen, war nicht beliebig oft reproduzierbar. Die Folge des Mangels: In Europa grassierte der Reliquienklau, und Besitzer wenig glaubwürdiger Heiliger, gewissermassen die Subprimes, nutzten die hohe Nachfrage schamlos aus, indem sie Mönche die Echtheit feststellen liessen - so eine Art Vorläufer der Ratingagenturen. Mitunter teilte man auch Knochen und verkaufte sie als Bruchstücke an andere - in etwa so, wie man heute Risiken fauler Kredite verteilt. Kurz, der Markt war dereguliert, voller Krimineller und geprägt von vollkommen unrealistischen Bewertungen - eine Blase mitten im Zentrum des Geschäfts mit dem Heil, noch angefeuert durch immer prächtigere Kirchen.
Es ist eine seltsame Koinzidenz, dass mitten in dieser tiefgreifenden und die Geschäftsentwicklung gefährdenden Angebotskrise Eulogius von Córdoba auftrat. Die spanische Stadt Córdoba war im 9. Jahrhundert eine der glänzendsten Städte des Kontinents, reich, gebildet, und geführt von der fähigsten Staatsverwaltung ihrer Zeit, die aus christlicher Sicht einen Haken hatte: Sie war muslimisch. Abd ar Rahman II. war ein Mann der Künste und der Musen, und die Toleranz in Al Andalus liess die Christen tun, was sie wollten. Folglich sind die Berichte des den Muslimen untergebenen christlichen Klerus voller Gift und Galle: Ihre Schäfchen lesen lieber arabische Gedichte und Romane, ziehen sich muslimisch an und übernehmen orientalische Sitten und Gebräuche - und es gibt wenig, was die Kleriker dagegen tun konnten, schliesslich sind sie nicht am Drücker. Bis Eulogius, dem es gelang, sowohl den Hass zwischen Christen und Muslimen zu schüren, als auch das Beschaffungsproblem für zertifizierte Heilige zu lösen.
Eulogius, eine Art Vorfahr deutscher Hassblogger nämlich empfahl seinen Schäfchen, in die Moscheen und Strassen zu gehen, Mohammed laut zu lästern, Muslime zu beschimpfen und zu verhöhnen. Man kann sich die Folgen vorstellen: Das tolerante Klima ging den Bach runter, Muslime reagierten mit schauderhaften Lynchmorden, und Eulogius verteilte an die Betroffenen schon vorher Himmelsoptionsscheine, von denen zumindest keiner berichten konnte, dass sie nicht eingelöst wurden. Es wurde ein richtiger Hype, sich für den Unfrieden massakrieren zu lassen. Abd ar Rahman liess die Bischöfe eine Synode abhalten, die es den Christen bei hohen Strafen verbat, sich zu opfern - eine reichlich hilflose Geste und nicht wirklich dazu angetan, das Problem zu lösen. Und in ganz Europa blickte man voller Begeisterung auf den Opfermut der spanischen Kollegen, Geschichten über grausamste Misshandlungen machten die Runde, und frische Heiligenlegenden sprudelten aus Al Andalus nach Europa.
Nachdem seine Strategie aufgegangen war, machte man Eulogius zum leitenden Manager der christlichen Operationen im muslimischen Spanien und gab ihm das Bischofsamt von Sevilla, wo er sogleich weiter seine Schafe anstachelte. Gleichzeitig schrieb er mit der "Denkschrift der Heiligen" drei Bücher über das Geschehene, und legte auch noch eine Schutzrede nach, in der er andere Heiligenhändler diskreditierte, die behaupteten, seine neuen Heiligen würden keine Wunder bewirken, wie die alten, die schon seit langer Zeit vertrieben wurden. Der Nachfolger von Abd ar Rahman war jedoch nicht mehr ganz so zart besaitet und liess Eulogius den Kopf abschlagen. In den christlichen Kirchen des 9. Jahrhunderts aber kamen spanische Heilige schnell in Mode, der spanische Fanatismus linderte die Angebotskrise, endlich gab es frischen, zeitgemässen Nachschub für das grosse Geschäft, echte Heilige mit echten Geschichten, die Wallfahrten boomten und die Klingelbeutel füllten sich, und was lernen wir daraus?
Schon damals kam es nur darauf an, einen Dummen zu finden, der zahlt.
Es gibt da allerdings ein kleines Problem für ein grenzenloses Wachstum: Das Endkundengeschäft der Kirche, vom König bis hinunter zum Leibeigenen, benötigt eine Art dingliche Mittlerinstanz zwischen denen da unten und den Mächtigen da ganz oben. Das 9. Jahrhundert hat es noch nicht so mit Transzendenz und Unergründbarkeit, man braucht etwas, das man sehen, anfassen und in Geschichten verpacken kann - wir würden heute sagen: Derivate, mit der die grossen Geschäfte zwischen Gläubigen und Kirche und damit Gott abgesichert werden können. Diese Derivate sind die Reliquien von Heiligen, deren Leiden man an die Kirchenwände malt, und die den Weg zu Gott weisen. Aber genau hier setzt beim emerging Market der Kirchengeschäfte die Krise an: Es gibt nicht genug Heilige für so viele neue Kirchen.
Das Problem ist in der Patristik begründet, genauer: In der Historia Ecclesiastica von Eusebius von Caesarea, einer im frühen 4. Jahrhundert entstandenen Ansammlung der Verfolgungen, von denen die aufstrebende Sekte meinte, sie erlitten zu haben. Eusebius selbst hatte wohl als junger Mann im östlichen Bereich des Mittelmeeres die diokletianische Abwehrschlacht einer christlichen feindlichen Übernahme des römischen Imperiums erlebt, und weil ihm aus dieser Region auch die meisten Akten zur Verfügung stehen, enthält seine Kirchengeschichte vor allem sehr ausgeschmückte, leidvolle Schilderung zerfetzter Christen im heutigen Nahen Osten. Sobald Eusebius auf Frankreich oder Italien zu sprechen kommt, wird er einsilbig und vage. Ja, auch dort wurden Christen zu Heiligen umgebaut, aber die wertsteigernde Produktionsweise, das Marketing dieser Heiligen fehlte, und sie waren in etwa so cool wie chinesische Kleinwagen.
Mitteleuropa war der Weg zu diesen besseren Heiligen versperrt, denn dort herrschten inzwischen die daran desinteressierten Muslime oder Byzantiner, die ihre Heiligen selbst brauchten. Die Santiago de Compostella zugrunde liegende Idee, einen Heiligen mysteriös durch das Mittelmeer treiben und am Atlantik anlanden zu lassen, war nicht beliebig oft reproduzierbar. Die Folge des Mangels: In Europa grassierte der Reliquienklau, und Besitzer wenig glaubwürdiger Heiliger, gewissermassen die Subprimes, nutzten die hohe Nachfrage schamlos aus, indem sie Mönche die Echtheit feststellen liessen - so eine Art Vorläufer der Ratingagenturen. Mitunter teilte man auch Knochen und verkaufte sie als Bruchstücke an andere - in etwa so, wie man heute Risiken fauler Kredite verteilt. Kurz, der Markt war dereguliert, voller Krimineller und geprägt von vollkommen unrealistischen Bewertungen - eine Blase mitten im Zentrum des Geschäfts mit dem Heil, noch angefeuert durch immer prächtigere Kirchen.
Es ist eine seltsame Koinzidenz, dass mitten in dieser tiefgreifenden und die Geschäftsentwicklung gefährdenden Angebotskrise Eulogius von Córdoba auftrat. Die spanische Stadt Córdoba war im 9. Jahrhundert eine der glänzendsten Städte des Kontinents, reich, gebildet, und geführt von der fähigsten Staatsverwaltung ihrer Zeit, die aus christlicher Sicht einen Haken hatte: Sie war muslimisch. Abd ar Rahman II. war ein Mann der Künste und der Musen, und die Toleranz in Al Andalus liess die Christen tun, was sie wollten. Folglich sind die Berichte des den Muslimen untergebenen christlichen Klerus voller Gift und Galle: Ihre Schäfchen lesen lieber arabische Gedichte und Romane, ziehen sich muslimisch an und übernehmen orientalische Sitten und Gebräuche - und es gibt wenig, was die Kleriker dagegen tun konnten, schliesslich sind sie nicht am Drücker. Bis Eulogius, dem es gelang, sowohl den Hass zwischen Christen und Muslimen zu schüren, als auch das Beschaffungsproblem für zertifizierte Heilige zu lösen.
Eulogius, eine Art Vorfahr deutscher Hassblogger nämlich empfahl seinen Schäfchen, in die Moscheen und Strassen zu gehen, Mohammed laut zu lästern, Muslime zu beschimpfen und zu verhöhnen. Man kann sich die Folgen vorstellen: Das tolerante Klima ging den Bach runter, Muslime reagierten mit schauderhaften Lynchmorden, und Eulogius verteilte an die Betroffenen schon vorher Himmelsoptionsscheine, von denen zumindest keiner berichten konnte, dass sie nicht eingelöst wurden. Es wurde ein richtiger Hype, sich für den Unfrieden massakrieren zu lassen. Abd ar Rahman liess die Bischöfe eine Synode abhalten, die es den Christen bei hohen Strafen verbat, sich zu opfern - eine reichlich hilflose Geste und nicht wirklich dazu angetan, das Problem zu lösen. Und in ganz Europa blickte man voller Begeisterung auf den Opfermut der spanischen Kollegen, Geschichten über grausamste Misshandlungen machten die Runde, und frische Heiligenlegenden sprudelten aus Al Andalus nach Europa.
Nachdem seine Strategie aufgegangen war, machte man Eulogius zum leitenden Manager der christlichen Operationen im muslimischen Spanien und gab ihm das Bischofsamt von Sevilla, wo er sogleich weiter seine Schafe anstachelte. Gleichzeitig schrieb er mit der "Denkschrift der Heiligen" drei Bücher über das Geschehene, und legte auch noch eine Schutzrede nach, in der er andere Heiligenhändler diskreditierte, die behaupteten, seine neuen Heiligen würden keine Wunder bewirken, wie die alten, die schon seit langer Zeit vertrieben wurden. Der Nachfolger von Abd ar Rahman war jedoch nicht mehr ganz so zart besaitet und liess Eulogius den Kopf abschlagen. In den christlichen Kirchen des 9. Jahrhunderts aber kamen spanische Heilige schnell in Mode, der spanische Fanatismus linderte die Angebotskrise, endlich gab es frischen, zeitgemässen Nachschub für das grosse Geschäft, echte Heilige mit echten Geschichten, die Wallfahrten boomten und die Klingelbeutel füllten sich, und was lernen wir daraus?
Schon damals kam es nur darauf an, einen Dummen zu finden, der zahlt.
donalphons, 01:30h
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Der pseudolinke Ausgleichsdepp
Es ist ein wenig ungerecht, das hier im Moment nur die Rechte in der Bankenkrise so schlecht wegkommt. Dabei gibt es auch manche, die asozial, rassistisch und arbeitsfeindlich mit links, proisraelisch und politisch verwechseln. Im Rahmen so einer virtuellen Begegnung - sowas kommt immer an Rosh ha Shana, ich weiss auch nicht warum - möchte ich erinnern an einen kleinen Vorfall, der mir Anno 1998 ein wenig die Augen geöfnet hat, über Ideologien und was aus ihnen wird.
Da war nämlich in München ein Antifa der, sagen wir mal, ungezogenen Sorte, der immer extremer sein wollte als andere, immer ideologischer und noch bereiter zur Tat, keine Manieren natürlich und von einer Sozialkompetenz gezeichnet, wie man sie sonst gern Miethaien unterstellt. Diese Person nun war damals mit ein paar Freunden unterwegs zu einer an sich wirklich sinnvollen Demonstration, allerdings nicht wirklich sinnvoll, was ihre Taktik anging. Wenn man zu einer Demo fährt, ist es nicht so arg klug, schon bei der ersten Polizeikontrolle auf dem Weg polizeifeindliche Sprüche aus dem Fenster zu brüllen. Aber genau das tat dieser Typ und hielt es für Meinungsfreiheit. Die Polizei stoppte den Bus natürlich und forderte die Leute auf, auszusteigen. Unser Antifa dagegen rief die anderen dazu auf, sich dumm zu benehmen und ungehorsam zu sein. Als die Polizei dann ernst machte und begann, die Leute rauszuziehen, griff der Junge zum Tränengas. Die Polizei war schneller, drehte ihm die Hand weg, er drückte ab - und die ganze Ladung erwischte einen Freund, der noch dazu Asthma hatte. Und nachdem sie ihn erst mal laufen liessen, kam dieses Arschloch zu mir und wollte, dass ich etwas über einen Reizgaseinsatz der Polizei gegen ihn und seinen asthmatischen Freund mache.
Seit diesem Tag bin ich etwas, sagen wir mal, reserviert gegenüber Leuten aus dieser Szene. Reservierter etwa als gegenüber dem - nach linker Definition systemschädigenden - Arzt, mit dem ich auf den Riederstein stieg und die Goldküste von oben betrachtete, an der er wohnt. Und bei allem Verständnis, dass man was an den sozialen Strukturen dieses Staates ändern muss, kann ich auch als Linker nicht umhin zu konzidieren, dass ich wirklich gern in der Lage bin, daran mitzuwirken, ohne so sein oder leben zu müssen wie die, die sich für die Spitze der Bewegung halten, und nur die neueste Generation der gleichen Idioten sind, die auf der anderen Seite den Kapitalismus ruinieren.
Ich mag den Sozialismus. Ich mag auch den Markt. Beide Kräfte sind gut, weil sie auf eine Gemeinschaft und Intelligenz setzen; beide wollen alles Gute ermöglichen. Sozialismus und Markt wiedersprechen sich nicht; wer Marx zu Ende gelesen hat, wird wissen, dass der sozialistische Staat nur eine Übergangserscheinung zu eigenverantwortlichen, freien Menschen ist. Marx war, das wird oft vergessen, auf seine Art ein Marktradikaler, und glaubte, dass dieser Markt freier Menschen die Krücken des Staates am Ende würde hinwegfegen können. Der Sozialismus und der Markt haben, gerade weil sie das Gute könnten, beide eine enorme Stärke gegen Anfeindungen der jeweils anderen Seite, und sind doch so extrem labil gegen diejenigen, die ihre Kräfte für sich selbst missbrauchen.
Saugt. Ihr entschuldigt mich, ich gehe jetzt auf einen Berg, wo ich hoffentlich allein bin.
Da war nämlich in München ein Antifa der, sagen wir mal, ungezogenen Sorte, der immer extremer sein wollte als andere, immer ideologischer und noch bereiter zur Tat, keine Manieren natürlich und von einer Sozialkompetenz gezeichnet, wie man sie sonst gern Miethaien unterstellt. Diese Person nun war damals mit ein paar Freunden unterwegs zu einer an sich wirklich sinnvollen Demonstration, allerdings nicht wirklich sinnvoll, was ihre Taktik anging. Wenn man zu einer Demo fährt, ist es nicht so arg klug, schon bei der ersten Polizeikontrolle auf dem Weg polizeifeindliche Sprüche aus dem Fenster zu brüllen. Aber genau das tat dieser Typ und hielt es für Meinungsfreiheit. Die Polizei stoppte den Bus natürlich und forderte die Leute auf, auszusteigen. Unser Antifa dagegen rief die anderen dazu auf, sich dumm zu benehmen und ungehorsam zu sein. Als die Polizei dann ernst machte und begann, die Leute rauszuziehen, griff der Junge zum Tränengas. Die Polizei war schneller, drehte ihm die Hand weg, er drückte ab - und die ganze Ladung erwischte einen Freund, der noch dazu Asthma hatte. Und nachdem sie ihn erst mal laufen liessen, kam dieses Arschloch zu mir und wollte, dass ich etwas über einen Reizgaseinsatz der Polizei gegen ihn und seinen asthmatischen Freund mache.
Seit diesem Tag bin ich etwas, sagen wir mal, reserviert gegenüber Leuten aus dieser Szene. Reservierter etwa als gegenüber dem - nach linker Definition systemschädigenden - Arzt, mit dem ich auf den Riederstein stieg und die Goldküste von oben betrachtete, an der er wohnt. Und bei allem Verständnis, dass man was an den sozialen Strukturen dieses Staates ändern muss, kann ich auch als Linker nicht umhin zu konzidieren, dass ich wirklich gern in der Lage bin, daran mitzuwirken, ohne so sein oder leben zu müssen wie die, die sich für die Spitze der Bewegung halten, und nur die neueste Generation der gleichen Idioten sind, die auf der anderen Seite den Kapitalismus ruinieren.
Ich mag den Sozialismus. Ich mag auch den Markt. Beide Kräfte sind gut, weil sie auf eine Gemeinschaft und Intelligenz setzen; beide wollen alles Gute ermöglichen. Sozialismus und Markt wiedersprechen sich nicht; wer Marx zu Ende gelesen hat, wird wissen, dass der sozialistische Staat nur eine Übergangserscheinung zu eigenverantwortlichen, freien Menschen ist. Marx war, das wird oft vergessen, auf seine Art ein Marktradikaler, und glaubte, dass dieser Markt freier Menschen die Krücken des Staates am Ende würde hinwegfegen können. Der Sozialismus und der Markt haben, gerade weil sie das Gute könnten, beide eine enorme Stärke gegen Anfeindungen der jeweils anderen Seite, und sind doch so extrem labil gegen diejenigen, die ihre Kräfte für sich selbst missbrauchen.
Saugt. Ihr entschuldigt mich, ich gehe jetzt auf einen Berg, wo ich hoffentlich allein bin.
donalphons, 16:49h
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