: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 14. September 2012

Nach dem Popcorn des Sommers.

Wenn man viel draussen ist - und ich war dieses Jahr sehr viel draussen - hat man auch ein Auge für Pflanzen und Landwirtschaft. Ein grüner oder goldener Teppich des Getreides, auf dem die Sonne gleisst, ist eine Zierde des Landes. Mais dagegen ist eine Art Landschaftsblockade.







Am Scheitelpunkt meiner Winterrunde etwa, auf einer der ersten Juraanhöhen, wurde dieses Jahr Mais angebaut. Und der Blick über das Land ruiniert. Und selbst jetzt, da die Erntemaschinen durch sind, sieht der Acker wie die miniaturisierte Westfront des 1. Weltkriegs aus. Eigentlich steht da keine Pflanze, sondern ein Statthalter für unsere Methoden der Massentierhaltung. Mais auf dem Feld, Vieh in Fabriken.







Aber immerhin, jetzt ist der Blick über das Land wieder frei. Über diese unaufgeregten Hügelketten, die alles erträglich machen; weder ist es im Sommer zu heiss, noch wird es so kalt wie im Gebirge, wenn der Schnee liegt. Es ist alles ruhig und gemässigt, fast vielleicht etwas zu ruhig. Man kann ausser reichen Erträgen und 7000 Jahren Kulturgeschichte von diesem Land wenig erwarten. Es ernährt seine Leute. Und die Leute lernen, es wieder besser zu behandeln.







An den Hügeln haben sie gelebt, da findet man manchmal noch Linearbandkeramik und Steinbeile, und in den Niederungen haben sie ihre Toten begraben, in Hockerstellung oder in Grabhügeln. 7000 Jahre lang hatten sie kaum eine andere Perspektive als den nächsten Winter, und selbst heute denken sie auch nicht weiter, als bis zur nächsten Modellreihe des Autoherstellers in der Stadt. Warum ich dann hier so unzufrieden, so mitunter garstig bin, verstehe ich auch nicht: Es ändert sich ja nichts. Man kann nichts am Ablauf der grossen Geschehnisse ändern.







Man kann nur bleiben, oder gehen. Das mit dem gehen habe ich versucht, das war auch nur so mittelgut. Also bliebt es im Unklaren, ich fahre, ziehe meine Kreise und lasse alles wissen, dass ich notfalls auch anders könnte. Was, offen gesagt, gegenüber diesem Land ein wenig ungerecht ist.

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Daheim warten die Sorgen

Es gibt in den letzten Jahren ein paar interessante Entwicklungem. Es begann damit, dass Menschen nicht mehr ans Telephon gingen, und warteten, bis der Anrufer auf den Beantworter sprach, um zu erfahren, wer das ist. Dann kamen jene auf, die nur noch ans Telephon gehen, wenn sie die Nummer und den Namen des Anrufers angezeigt bekommen. Und letztendlich artet das dahin aus, dass Menschen aus der Angst vor unangenehmen Nachrichten ihren Briefkasten nicht mehr leeren. Ja, sie fahren sogar weg und beauftragen dann andere, das für sie zu tun und sich nur zu melden, falls es irgendwas ganz Entstzliches ist. Vielleicht, weil es so vieles an Akten, Unterlagen und Wichtigem gibt, weil alles vernetzt ist und das eine nicht mehr ohne das andere geht, und dann sind Menschen eben schnell überfordert.

Mir geht das ähnlich.



Aber bei mir ist es nicht wie in Berlin, wo die wütenden Briefe des Vermieters im Briefkasten ignoriert werden können, und die Ämter daneben ungehört Randale machen. Es ist schlimmer. Es passt nicht in den Briefkasten. Es blockiert richtiggehend meinen Weg, es drückt mir Versäumnisse und Fehlentscheidungen vergangener Tage schnell und brutal aufs Auge, und es ist auch nicht so lässig wie bei Drogenmissbrauch, wo man vielleicht irgendwann einmal die Nachricht bekommt, das Verfahren sei eingestellt: Meine Postprobleme dulden keinen Aufschub, und sie sind auch nicht so einfach lösbar.



Zumal man sich ja auch oft über die Konsequenzen seines Handelns nicht im Klaren ist. Man denkt sich - wider besserer Erfahrung, denn wie oft hat man schon falsch entschieden! - dass es schon gut gehen wird. Dass es sich schon einrenken wird. Das Schicksal kann doch gar nicht so grausam sein, so hinterlistig, man meint es doch aus einem guten Zweck heraus zu tun, da können die Umstände doch nicht immer so widrig sein. Ich will keinem was Böses, ich bin nur ein wenig nachlässig - aber strenge Richter sehen das dann immer anders.



Ich hätte schwören können, dass da noch eine Möglichkeit war, die Sache richtig an die Wand zu nageln. Ich war mir so sicher, dass sich alles fügen würde. Aber schon beim Paket war klar, dass ich falsch lag, und je weiter ich mich mit den Fakten auseinandersetzte, wusste ich: Jetzt geht es nicht mehr weiter. Ich bin am Ende meiner Möglichkeiten angelangt, wie die Piratenpartei oder der Depp, der das Buch der Schramm Frau vermarkten muss. Das ist unser Fluch: Wir bedenken zu wenig die Folgen unseres Handelns. Und dann stehen wir da, alle Augen sind auf uns gerichtet, höhnisch und spöttisch, und alle wissen es: Wir kommen einfach mit dem modernen Leben nicht zurecht. Wir glauben, es ginge schon irgendwie. Aber irgendwann ist man am Ende der Wand angelangt. In Berlin essen sie dann nur noch Nudeln oder ziehen in kleinere WG-Zimmer. Aber hier bei uns, da gibt es keine Auswege mehr.



Da stehe ich dann, grämend, und bald auch so ausgehungert von der Verzweiflung wie dieser Herr aus der Zeit um 1815, gemalt von einem Künstler, der vermutlich noch im Rokoko seine Ausbildung erhielt, man merkt es bei den Augen. 1815 war eine üble Zeit mit Hungersnöten, da war man schlank, aber nicht schlank genug für meine Wände und die Restflächen. Er hat den bitteren Mund von Fouche und die durchtriebenen Augen von Metternich, vielleicht hat er auf dem Kongress getanzt und sein Vermögen aus der Revolution gerettet - wer weiss. Bewegte Zeiten. Wie auch bei mir.



Keine Frage, ich werde meine Wände arrondieren müssen, als wären es die Habsburger Erblande nach Napoleon.

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