Einsparpotenziale

Derzeit werden die Daumenschrauben im Journalismus noch etwas weiter angezogen. Was unter der Ägide von Mecom bei der Berliner Zeitung und der Netzeitung geschieht, ist nur ein mildes Vorspiel für das, was der ganzen Branche droht: Ein Wegbrechen der Anzeigenerlöse, Kostenreduktion, Entlassungen. Dabei könnte man es sich ganz einfach machen, und dabei garantiert keinen Falschen erwischen:



Ich bin der Meinung, dass jeder Journalist, der in den letzten drei Monaten die Subprimekrise für abgehakt, überwunden, an ihrem Tiefpunkt angelangt oder sonstwie bewältigt erklärt hat, sofort seinen Job verlieren sollte. Und fünf Jahre Berufsverbot für verschärfte Dummheit, Rechercheunfähigkeit und nachweisliche Unfähigkeit, eine banale, allumfassende Krise zu erkennen. Dito mit den Leuten, die behauptet oder unkritisch "Studien" zitiert haben, eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke würde die Strompreise, die die Stromkonzerne eben erst erhöht haben, für die Verbraucher signifikant sinken lassen. Das sind zwei Beispiele von journalistischem Komplettversagen angesichts einfach in Erfahrung zu bringender Informationen, solche Leute verdienen keinerlei Presseprivilegien, sondern als Ergänzung zur Kriminalität der weissen Krägen ein paar Jahre die Pflicht, den Dingen sauber auf den Grund zu gehen. Den Grund, der sich in Toiletten unterhalb des AbwasserSpiegels befindet, und das gerne auch an der Reeperbahn.

Dienstag, 8. Juli 2008, 14:05, von donalphons | |comment

 
Der AbwasserSpiegel liegt nicht an der Reeperbahn und im übrigen würden sich die Damen dort solche Leutchen verbitten, dort geht man einem ehrlichen Gewerbe nach.

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Ich befürchte, dass es in der Praxis vielerorts genau andersherum ablaufen wird: Diejenigen, die brav die PR abgeschrieben haben, die möglicherweise auch aus Anzeigen-Sicht dem Verlag bequem war, dürfen bleiben. Die Quertreiber, die "gute" Geschichten auch mal einzig und allein aufgrund inhaltlicher Bedenken ablehnen, gelten als lästig und werden deswegen bevorzugt rausgeschmissen. Es ist ja keineswegs so, dass diejenigen, die von Anfang an den richtigen Riecher beweisen, hinterher redaktionsintern besonders gut dastehen. Oft ist eher das Gegenteil der Fall.

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Man stelle sich - rein hypothetisch - einen Jungredakteur vor, der nach dem Volontariat nur übernommen wurde, weil die Redaktion eine Lücke in ihrer Berichterstattung über neue Medien ausgemacht hat, die nun durch den neuen Redakteur abgedeckt werden soll. Würde er, selbst wenn er die Kompetenz dazu hätte, es wagen, den Social-Network-Hype in seiner Berichterstattung zu dämpfen? Er würde sich ja hinsichtlich des Arbeitsplatzes sein eigenes Grab schaufeln. Wenn er sich lange genug im Job hält, bis der Hype platzt, erlebt er als Kritiker möglicherweise noch seine große Stunde. Aber solch ein Hype kann jahrelang anhalten. Und manchen Berufsanfängern fällt es vermutlich auch schwer, so weit in die Zukunft zu denken. Ganz besonders dann, wenn die Arbeitsverträge selbst nur befristet sind... Okay, das hat jetzt nichts mit Subprime oder Atomkraft zu tun, aber ich fand dieses Beispiel (auch mit Bezug auf den aktuellen Blogbar-Eintrag) anschaulicher.

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Die Antwort auf die Hypothese

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Dummheit trifft es. Recherche alleine ersetzt noch kein Wissen. Was lernen denn angehende Journalisten in KoWi-Studiengängen oder Journalistenschulen? Europäsische Energiewirtschaft? Globales Finanzwesen? Ohne Fachwissen ist schwer zu beurteilen: In welchem Zusammenhang steht die Nachricht? Was sind die Hintergründe? Und welche Auswirkungen sind zu erwarten? Mit journalistischer Ausbildung alleine kann man kaum noch die richtigen Fragen stellen.

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Wir haben im PUK-Studium noch gelernt, der Journalist müsse eine universelle Halbbildung haben, die Grundlage sei, sich in Fragestellungen jeglicher Art so schnell einarbeiten zu können, um dann auch tiefer schürfen zu können. Wenn ich überlege, dass ich als von Haus aus Historiker, Politikwissenschaftler, PUK und Semianthropologe mich mit Populationsgenetik und Quantenphysik, aber auch Ingenieursthemen und Energiewirtschaft vertieft auseinandergesetzt habe, um über solche Themen kompetent schreiben zu können wird mir richtig schlecht.

Und ich kenne das aus eigener journalistischer Praxis das Hase-Igel-Prinzip: Ich habe mir wochenlang einen Mammutprozess reingezogen, die Verhandlungen mitprotokolliert, und als ich dann meine gut geschriebene Gerichtsreportage den Redaktionen anbiete, war überall jemand schon vorher da, der einfach die Prozesserklärungen der Angeklagten, Teile der Anklageschrift und das Urteil wie Textbausteine zusammengeklickt hatte. Er hatte nicht im Saal gesessen, sondern eine Mail von der Gerichtsschreiberin bekommen. Es gibt dafür eine Bezeichnung: Qualitätsjournalismus.

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Die Denk- und Recherchier-Faulheit ist das eine, das andere ist die oft wahrgenommene " negative Rendite" des Nachdenkens. Es gibt ja den Begriff des "Totrecherchierens": Ein Journalist hat eine tolle Themenidee, aber dann holt er eine zweite, dritte Informationsquelle hinzu, und plötzlich stellt sich heraus, dass die ganze Story von vornherein heiße Luft war. Ein Journalist, der "totrecherchiert", wird oft als Dummkopf abqualifiziert, als Opfer seines übertriebenen Fleißes. Hätte er nicht so viel nachgehakt, hätte er eine Schlagzeile. Nun hat er keine mehr. Selbst schuld. Nun dürfen andere, die bei ihren Themen nicht so gründlich hinschauen, auf die Seite 1. So läuft es oft.

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Wenn man davon ausgeht, dass die Medienhäuser keine "Qualitätsjournalisten" bezahlen wollen, dann fragt sich, welcher gut ausgebildete studierte Finanzfachmann für die Bedingungen eines Journalisten arbeiten würde.

Geradezu grotesk wird es, wenn eine Online-Journalisten-Ikone mit Automarken-Vornamen und verantwortlich für ein Junk-News-Portal im blog beklagt, dass in der politischen Berichterstattung "selten journalistisch dargestellt wird, was tatsächlich Strukturen setzt, die unser Leben formen: Gesetzgebung, Mittelverteilung ..". Ich würde wetten 80% der Politik-Redakteure und -Journalisten in den "Qualitätsmedien" können den EU-Gesetzgebungsprozess nicht erklären und keinen Haushaltplan lesen. Wer den Durchblick hat, wird gut bezahlter Lobbyist oder Consultant und nicht Content-Knecht.

Ganz abgesehen davon, dass sich derjenige von Kollegen und Chefredaktion sich ständig als "Quereinsteiger ohne jounalistische Ausbildung" rechtfertigen müsste. Und wenn es zuviel von der Sorte gäbe, würde wahrscheinlich der DJV auf den Plan treten.

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Ich warte ja schon auf die Bildstrecke "Die 200 schönsten AKW-Kontrollräume von Harrisburg bis Tschernobyl" bei der Süddeutschen, gefördert von Eon und Siemens.

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Nachtrag: Talking of Bunzy Trash - da stellt sich beim Gossenportal Zoomer doch glatt einer hin und behauptet: "Es gibt bisher keine vernünftigen Alternativen zu Atomkraft". Sowas meine ich: Berliner D-Journalist dreht mal eben ein Filmchen und labert studiVZstalkerkompatible Scheisse.

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Pin-Up für die journalistischen Ausstiegsaussteiger:

http://www.simpsonstrivia.com.ar/wallpapers/mr-burns-wallpaper.htm

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@Amelia
Ich denke, je fachlich versierter der Journalist ist, desto seltener gibt es diese "negative Rendite". Oft liegt es daran, die richtigen Leute zu fragen und die richtigen Fragen zu stellen.

Die Verlage trifft natürlich Mitschuld. Mit den Auswahlmethoden für die Journalistenschulen bilden sie Generalisten aus, die bestenfalls schreiben/produzieren können.

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Es gibt aber in vielen Redaktionen schon einen gewissen Druck gerade auf Berufsanfänger, sich auf bestimmte Hype-Themen zu stürzen. Vielleicht sogar, weil die etablierten Kollegen sich nicht die Finger schmutzig machen wollen, aber verlagsseitig eben doch der Wunsch da ist, "dabei zu sein" - sei es fürs Anzeigengeschäft oder einfach, um die gleichen "schönen" Schlagzeilen zu haben wie die Konkurrenz.

Wer da den Wunsch äußert, ein bestimmtes Thema aufgrund inhaltlicher Zweifel lieber nicht anzufassen und erst einmal ein bisschen weiter zu recherchieren, der macht sich unter Vorgesetzten schnell Feinde - selbst wenn er gute Argumente hat. Da wird das Thema im Zweifelsfall eben einem anderen Jungredakteur gegeben, der weniger Skrupel hat.

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Und ich weiß auch nicht, ob es da um reines Fachwissen geht. Die technischen Tricks, mit denen die Subprime-Blase aufgepumpt wurde, kannten bis vor kurzem sogar sehr viele Fachleute nicht. Wer hätte damals erklären können, was CDO auf ABS sind, und was man damit anstellen kann? Ich glaube, das konnten sogar unter den Bankern nur wenige, und manche von denen, die es konnten, haben möglicherweise das große Ganze dennoch nicht durchschaut. Ebenso haben deutsche Institute ihre ganzen Subprime-Zweckgesellschaften wunderbar vor der Öffentlichkeit und anscheinend sogar vor der Bankenaufsicht versteckt.

Dennoch waren Tendenzen der Blasenbildung unübersehbar, schon lange vor Ausbruch der Krise. Wo kamen die kräftigen Gewinnsteigerungen der Banken denn her? Und welchen tieferen Sinn hatten die ganzen milliardenschweren fremdfinanzierten Übernahmen, wo die Übernahmeobjekte bei immer weiter steigender Fremdfinanzierungsquote von Finanzinvestor zu Finanzinvestor weitergereicht wurden?

Das Wort "Subprime" war in den USA auch gar nicht so neu. Berichte über den dortigen Häuserbau-Wahnsinn gab es spätestens seit 2006 regelmäßig. Verbunden mit Warnungen, dass die Finanzindustrie in diesem Thema ganz tief drinhängt.

Komplettiert wurde das durch wiederholten Warnungen deutscher Finanzaufseher, dass strukturierte Finanzprodukte es ermöglichten, Risiken weltweit an allen möglichen neuen Stellen zu verstecken.

All diese Informationen zusammengenommen reichten zwar nicht aus, um das Geschehen seit Sommer 2007 vorher genau zu prognostizieren. Aber es genügte allemal, um zu ahnen, dass irgend etwas gründlich schief lief - und dass es, wenn, dann auch gleich richtig knallen würde.

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Es ist müssig, Schuldige für den Zustand von weiten Teilen der deutschen Medienlandschaft zu suchen. Mir, als Betrachter von aussen, macht es den Eindruck eines Biotops, mit dem sich alle irgendwie arrangiert haben. Ist ja eine riesiges System. Mit Verlagen, Verwertungsketten, Vermarktern, Redaktionen, Studiengängen, Bauchpinselpreisen, Investoren, und, und, und.

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Da hast Du natürlich recht. Es ist auch nicht verkehrt, wenn der eine oder andere mal den Finger in die Wunde legt. Das kratzt vielleicht ein bisschen an der Überzeugung mancher Medienmacher, dass das dumme Leservolk so gut wie alles mit sich machen lässt.

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Noch eine kleine Ergänzung zu diesem Thema: Es ist bei einigen großen Medien wohl mittlerweile Usus, dass Redakteure dazu angehalten werden, alle drei Jahre ihr Spezialgebiet zu wechseln. Dadurch sollen Flexibiliät und Breite des Wissens gefördert werden, lautet die Begründung. Aber ich denke, dass drei Jahre z.B. bei komplexen Wirtschaftsthemen einfach zu wenig sind. Dadurch droht die Gefahr, dass alle drei Jahre eben wieder jemand Neues auf die üblichen PR-Tricks hereinfällt. Auch der historische Kontext, um Entwicklungen richtig einordnen zu können, fehlt. Eine zu starke Spezialisierung über einen langen Zeitraum mag auch ihre Nachteile haben - aber ich denke, es ist auch keine Lösung, sich lauter halbgebildete "Generalisten" heranzuziehen.

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Schönes Beispiel aus der Reihe "Es kann nicht sein, was nicht sein darf": http://www.bissige-liberale.com/2008/07/07/es-riecht-nach-milchmaedchen/

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In dieser Ecke wird mit konditionierten Reflexen gearbeitet. Recht haben in solchen Fällen immer nur Miersch und Maxeiner. Ob es so etwas wie Empirie gibt, darüber wird nicht diskutiert.

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