Der unheilige St. Lemanius
Zahlvorgänge sind nicht mein Ding. Im Internet, wo es wegen der transatlantischen Käufe mitunter nicht anders geht, fühle ich mich unsicher. Mit Karte habe ich in meinem Leben kaum ein Dutzend gezahlt, als es wirklich nicht anders ging. Und beim Zahlen mit Münzen und Scheinen habe ich Angst, ich könnte zu wenig hergeben, was mich dann in eine peinliche Situation bringen würde. Oder aber mein Gegenüber macht einen Fehler beim Herausgeben, was mich zwingen würde, ihn - und damit auch mich als Verursacher - in eine peinliche Situation zu bringen. Wenn es dann doch mal sein muss, bin ich die Höflichkeit in Person, ich bedaure, ich befürchte, ich ersuche um Nachrechnung, und mitunter geht das auch schief.
Wie vor zwei Jahren, als ich in der gewohnten Apotheke eine Kleinigkeit kaufte. Die Apotheke ist alt und noch wie in den 20er Jahren eingerichtet, als jemand aus meinem Clan noch die Holzeinichtung der beseren Geschäfte der Stadt besorgte; in den Regalen stehen Mörser und Salbgefässe, in den Gängen sind alte Holzschnitte von Heilpflanzen aufgehängt. Es gibt keine Werbung, aber früher einen dicken Apotheker, der Kindern wie mir den Eindruck vermittelte, dass er sie wirklich gesund machen wollte. Doch gegen seinen eigenen Tod hatte er auch kein Medikament, und es war eher die Tradition und die Einrichtung aus Holz denn sein wenig charmanter Sohn, der mich weiter dort einkaufen liessen.
Bis zu jenem Tag vor zwei Jahren, als ich unmittelbar vor dem Einkauf einen 50-Euroschein aus dem Bankautomaten holte und für ein paar billige Kopschmerztabletten nur das Wechsekgeld auf 10 Euro zurückbekam. Ich habe gelernt, in solchen Situationen höflich zu sein, und auf pampige, laut vorgetragene und einen Betrug andeutende Sprüche, wie sie auf meinen Einwand folgten, wusste ich keine rechte Antwort; also ging ich beraubt von dannen und erzählte nur drei stadtbekannten Tratscherinnen, wie das da drinnen inzwischen zugeht.
Vor zwei Wochen kam ich an der Apotheke vorbei; davor stand ein Container voll mit zertrümmerten Regalen und Vertäfelungen, auf deren Intarsien beim Herausreissen keiner Rücksicht genommen hatte. Die 40 Euro waren ärgerlich, aber der Anblick tat weh.
Die Holzschnitte aus dem Gang jedoch gelangten auf einen Flohmarkt der Region, wo ich sie gestern entdeckte. 5 Stück für 8 Euro, ein Arbeiter hatte sie wegen der Rahmen gerettet, und dem Apotheker war es offensichtlich egal. In das Umfeld, das er dort einbauen lässt, hätten sie nicht mehr gepasst. Hinten kleben noch die Bapperl der Münchner Galerie drauf, die sie seinem Vater verkauft hat. Es ist nicht der Wert und der Ausgleich, eigentlich sogar der Überausgleich, den sie darstellen, es ist die Geschichte, für die ich dankbar bin.
Es ist ja so mit den Flohmärkten, dass sie nie schlecht sind, auch wenn sie schlecht scheinen. Der Flohmarkt gestern etwa ist nicht das natürliche Umfeld für Holzschnitte des XVI. Jahrhunderts, aber man muss nur die Augen aufhalten. Und flexibel sein. Nachdem gestern mit dem Zusammenbruch von Lehman und der ersten Herbstkälte ein reichlich morbides Datum erreicht wurde, war ich auch hingerissen von der reichlich zerstörten, kopflosen Heiligenfigur.
Ich würde sie normalerweise unter "Plunder" einsortieren, und mit dem Katholizismus habe ich es auch nicht, aber in diesem Zustand, enthauptet, entarmt und die Schwurhand zertrümmert, hatte sie etwas wunderbar Pathetisches an sich. Nun ist das hier Bayern und katholisch und voll mit Sammlern alter Kirchenkunst, denen angesichts des hiesigen Barocks und seiner billigen Machart mit Stuck und Holz kein Schaden fremd ist, und die sicher irgendwo noch einen Kopf für die Restaurierung im Fundus haben. Solche Statuen sind normalerweise nicht billig und nicht leicht zu bekommen, aber die hier kostete nur fast so viel wie eine Lehmanaktie zum Börsenschluss am letzten Freitag. Und da konnte ich nicht widerstehen.
Es ist unklar, was für ein Heiliger das war; es fehlen schliesslich Kopf und Attribute, aber so, wie er ist, zerstört, zertrümmert und mit falschem Gold bemalt, habe ich angesichts der wenigen Silberlinge Kaufpreis beschlossen, ihn als den unheiligen St. Lemanius aufzufassen. St. Lemanius also, der kopflose Heilige, dem man die raffgierige Linke amputiert hat und der mit letzter Kraft den Offenbarungseid schwört, der Schutzpatron des bislang gottlosen grauen Kaptalmarkts und des Derivatehandels, der moderne Heilige im weissen Bilanzhemd, der im grossen, barocken, bayerischen Heiligenhimmel gefehlt hat, und den nur ich besitze, so dass alle Stossgebete der Bayerischen Landesbank, der CSU und der Mörder unserer historischen Bausubstanz ins Leere laufen.
Vielleicht expandiere ich damit auch in den Ablass- und Reliquienhandel; diese unsere Zeit ist ohne Hoffnung, aber voller Schuld und Schulden, da könnte so ein Knochen von St. Lemanius noch glaubwürdiger sein als die Behauptung vom Ackermann, dass das Schlimmste jetzt vorbei ist.
Wie vor zwei Jahren, als ich in der gewohnten Apotheke eine Kleinigkeit kaufte. Die Apotheke ist alt und noch wie in den 20er Jahren eingerichtet, als jemand aus meinem Clan noch die Holzeinichtung der beseren Geschäfte der Stadt besorgte; in den Regalen stehen Mörser und Salbgefässe, in den Gängen sind alte Holzschnitte von Heilpflanzen aufgehängt. Es gibt keine Werbung, aber früher einen dicken Apotheker, der Kindern wie mir den Eindruck vermittelte, dass er sie wirklich gesund machen wollte. Doch gegen seinen eigenen Tod hatte er auch kein Medikament, und es war eher die Tradition und die Einrichtung aus Holz denn sein wenig charmanter Sohn, der mich weiter dort einkaufen liessen.
Bis zu jenem Tag vor zwei Jahren, als ich unmittelbar vor dem Einkauf einen 50-Euroschein aus dem Bankautomaten holte und für ein paar billige Kopschmerztabletten nur das Wechsekgeld auf 10 Euro zurückbekam. Ich habe gelernt, in solchen Situationen höflich zu sein, und auf pampige, laut vorgetragene und einen Betrug andeutende Sprüche, wie sie auf meinen Einwand folgten, wusste ich keine rechte Antwort; also ging ich beraubt von dannen und erzählte nur drei stadtbekannten Tratscherinnen, wie das da drinnen inzwischen zugeht.
Vor zwei Wochen kam ich an der Apotheke vorbei; davor stand ein Container voll mit zertrümmerten Regalen und Vertäfelungen, auf deren Intarsien beim Herausreissen keiner Rücksicht genommen hatte. Die 40 Euro waren ärgerlich, aber der Anblick tat weh.
Die Holzschnitte aus dem Gang jedoch gelangten auf einen Flohmarkt der Region, wo ich sie gestern entdeckte. 5 Stück für 8 Euro, ein Arbeiter hatte sie wegen der Rahmen gerettet, und dem Apotheker war es offensichtlich egal. In das Umfeld, das er dort einbauen lässt, hätten sie nicht mehr gepasst. Hinten kleben noch die Bapperl der Münchner Galerie drauf, die sie seinem Vater verkauft hat. Es ist nicht der Wert und der Ausgleich, eigentlich sogar der Überausgleich, den sie darstellen, es ist die Geschichte, für die ich dankbar bin.
Es ist ja so mit den Flohmärkten, dass sie nie schlecht sind, auch wenn sie schlecht scheinen. Der Flohmarkt gestern etwa ist nicht das natürliche Umfeld für Holzschnitte des XVI. Jahrhunderts, aber man muss nur die Augen aufhalten. Und flexibel sein. Nachdem gestern mit dem Zusammenbruch von Lehman und der ersten Herbstkälte ein reichlich morbides Datum erreicht wurde, war ich auch hingerissen von der reichlich zerstörten, kopflosen Heiligenfigur.
Ich würde sie normalerweise unter "Plunder" einsortieren, und mit dem Katholizismus habe ich es auch nicht, aber in diesem Zustand, enthauptet, entarmt und die Schwurhand zertrümmert, hatte sie etwas wunderbar Pathetisches an sich. Nun ist das hier Bayern und katholisch und voll mit Sammlern alter Kirchenkunst, denen angesichts des hiesigen Barocks und seiner billigen Machart mit Stuck und Holz kein Schaden fremd ist, und die sicher irgendwo noch einen Kopf für die Restaurierung im Fundus haben. Solche Statuen sind normalerweise nicht billig und nicht leicht zu bekommen, aber die hier kostete nur fast so viel wie eine Lehmanaktie zum Börsenschluss am letzten Freitag. Und da konnte ich nicht widerstehen.
Es ist unklar, was für ein Heiliger das war; es fehlen schliesslich Kopf und Attribute, aber so, wie er ist, zerstört, zertrümmert und mit falschem Gold bemalt, habe ich angesichts der wenigen Silberlinge Kaufpreis beschlossen, ihn als den unheiligen St. Lemanius aufzufassen. St. Lemanius also, der kopflose Heilige, dem man die raffgierige Linke amputiert hat und der mit letzter Kraft den Offenbarungseid schwört, der Schutzpatron des bislang gottlosen grauen Kaptalmarkts und des Derivatehandels, der moderne Heilige im weissen Bilanzhemd, der im grossen, barocken, bayerischen Heiligenhimmel gefehlt hat, und den nur ich besitze, so dass alle Stossgebete der Bayerischen Landesbank, der CSU und der Mörder unserer historischen Bausubstanz ins Leere laufen.
Vielleicht expandiere ich damit auch in den Ablass- und Reliquienhandel; diese unsere Zeit ist ohne Hoffnung, aber voller Schuld und Schulden, da könnte so ein Knochen von St. Lemanius noch glaubwürdiger sein als die Behauptung vom Ackermann, dass das Schlimmste jetzt vorbei ist.
donalphons, 00:33h
Dienstag, 16. September 2008, 00:33, von donalphons |
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jochen hoff,
Dienstag, 16. September 2008, 09:19
Also eins muss klar sein. Zweifel an Ackermann sind in Deutschland nicht erlaubt. Was Ackermann sagt ist Gottes Wort und vor Gericht hat er auch recht.
Ich plädiere ja dafür ihn einzusperren, damit er uns nicht verloren geht.
Ich plädiere ja dafür ihn einzusperren, damit er uns nicht verloren geht.
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donalphons,
Dienstag, 16. September 2008, 13:38
Es gibt in Bayern sogenannte Schmerzensmänner; das sind lebensgrosse Christusfiguren nach der geisselung, die meist in einer Kapelle hinter Gittern gezeigt werden. Ein schöner Brauch, für den man durchaus, gerade angesichts der Entlassungen im bankenbereich, durchaus neue Darsteller finden könnte. Dürr und ausgezehrt sind die ja sowieso.
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avantgarde,
Dienstag, 16. September 2008, 17:38
Der schöne Brauch des Teerens und Federns in den USA verdiente auch eine Wiederbelebung
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donalphons,
Dienstag, 16. September 2008, 17:52
Hat man andere Mafiosi nicht einzementiert und im Hudson versenkt? Grossonkel Ottavio hat immer davon erzählt.
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avantgarde,
Dienstag, 16. September 2008, 18:14
"It means Luca Debrazi is sleeping with the fishes."
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usedomer,
Dienstag, 16. September 2008, 09:50
In Zeiten wie diesen, in denen Finanzhaie einen bis dato vergessenen Gott (nein nicht den Namens Mammon) um Hilfe vor den Folgen ihres Tuns anflehen, könnte Ablasshandel wieder ein blühendes Geschäft werden.
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donalphons,
Dienstag, 16. September 2008, 15:54
Ich habe konkret vor, dem einen oder anderen Juniorbanker zu helfen, indem ich ihm die Sünde seines Zweitoldtimers abnehme, sobald das Pfund bei 90 Eurocent steht; ein MG B war mein eigentlicher Plan, aber mit dem Untergang überlege ich, ob ich nicht die grössere Sünde eines Sunbeam Talbot oder gar MG A, und, wenn es ganz hart kommt, eines E-Type abnehme. Und auch manche Juniorbankerfrau wid sich freuen, ihr eitles Tischsilber in den deutschen Höllenschlund zu werfen, der von St. lemanius bewacht wird.
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mark793,
Dienstag, 16. September 2008, 16:08
E-Type
- das wärs doch. Wenn schon British Elend, dann richtig. Hier stand neulich einer zum Verkauf (nein, nicht vom Ehepaar Pooth, so viel Stil hatten die nie), das Modell von Anfang der 70er, geschlossen, bezahlbar, aber leider in Hellblau.
Und das mit dem "bezahlbar" ist ja auch so eine Sache. Man darf das Geld dafür nicht haben, man sollte es übrig haben, sonst lässt man besser die Finger von sowas. Aber ein scharfes Gerät ist das schon. Am WE war wieder irgend so eine Klassiker-Sternfahrt im Odenwald, da war auch ein offener E-Type dabei. Und der rult ganz definitiv, auch wenn ich mir aus Roadstern und Cabrios sonst nicht viel mache.
Und das mit dem "bezahlbar" ist ja auch so eine Sache. Man darf das Geld dafür nicht haben, man sollte es übrig haben, sonst lässt man besser die Finger von sowas. Aber ein scharfes Gerät ist das schon. Am WE war wieder irgend so eine Klassiker-Sternfahrt im Odenwald, da war auch ein offener E-Type dabei. Und der rult ganz definitiv, auch wenn ich mir aus Roadstern und Cabrios sonst nicht viel mache.
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donalphons,
Dienstag, 16. September 2008, 16:39
Meine Idee ist ja eher eine spekulative: Jetzt im Winter kaufen, 2009 viel Spass damit haben und 2010, wenn der grosse "wir leisten uns wieder was"-Schub kommt, verkaufen. Es wird immer mittelale Männer geben, die aufreissen wollen, und immer alte Säcke, die genug geld haben, sich den Jugendtraum zu kaufen. Unvernunft und Träume sind immer da und damit auch ein Geschäftsmodell. Vermutlich ist dann immer noch Zeit, auf etwas kleineres umzusteigen, denn England wird vor 2011 nicht auf die Beine kommen.
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mathias,
Dienstag, 16. September 2008, 10:55
Der "Heilige" ist ja ein ganz nettes Gimmick, aber für die Rettung der Holzschnitte verdienen der Arbeiter (der offenbar mehr Verstand hatte als das Apothekersöhnchen) und Du (denn offensichtlich hast Du die Schnitte auf dem Markt erstanden) meine Anerkennung. Auch wenn es sich "nur" um die Darstellungen von Heilpflanzen handelt, stellen sie doch eine gelungene Vereinigung von Kunst und Handwerk dar. Vom sentimentalen Wert wollen wir natürlich gar nicht erst anfangen zu reden...
Gibt es von den Schnitten auch großformatige Bilder?
Gibt es von den Schnitten auch großformatige Bilder?
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donalphons,
Dienstag, 16. September 2008, 17:41
In den 70ern und 80ern hat die besagte Galerie bundesweit mit solchen Apothekerbildern und den "alla antica"-Rahmen beste Geschäfte gemacht, und ab und zu tauchen momentan welche auf. Das war jetzt innerhalb von 2 Jahren der dritte Schub, den ich auf dem Flohmarkt gefunden habe. ich bin halt ein wenig verliebt in Holzschnitte, es ist also kein verdienst, allein die Gier. Bilder kann ich mal bringen, stimmt.
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