Auf gepackten Koffern

Betrachtet man die Zeit am Tegernsee als Urlaub - und das ist durchaus legitim, denn wenn ich dort nicht arbeite, ist es in jeder Hinsicht Urlaub - und rechnet man noch alle Reisen dazu - 7 mal Italien, Schweiz, London, etliche Abstecher nach Österreich - dann war es das Jahr mit den meisten Urlaubstagen meines Lebens. Rom, Mille Miglia, Lago Maggiore, Meran, einmal sogar etwas wirklich Irres wie Hamburg, und an die 100 Tage Tegernsee. Jetzt kommt der Winter, und ich sollte mich eigentlich einpacken und für das Frühjahr ausruhen. Statt dessen packe ich schon wieder Koffer. Und der Umstand, dass ein paar andere Reisen nicht möglich waren, hinterlässt ein eigenartiges Gefühl des Bedauerns.



Ich habe für kommendes Jahr ein paar Ideen. Was sein muss, ist Südfrankreich, und was auch sein muss - ich möchte gern nach Biella. Dort sitzen die besten Stoffwebereien der Welt, und die würde ich mir gerne anschauen, solange es sie noch gibt. Nach allem, was ich so höre, wird es eng für sie, denn es wird in der Krise erheblich weniger verkauft, und die Chinesen ziehen schnell nach. Wer meint, die Deutschen würden gegen Fernost verlieren, sollte mal nach Italien schauen. Herren- und Damenbekleidung, Schuhe, Lederwaren, alles geht gen Osten. Fahrradbau, alles in Taiwan oder China. Ich habe mich in den letzten Tagen mal umgeschaut, welche Firma noch gemuffte Stahlrahmen produziert. Das sind nicht mehr viele. Früher sassen in jeder mittleren Stadt ein, zwei Löter. Espressomaschinen sind der nächste Zweig. Man sollte das besuchen, solange es noch existiert. Gerade weil Italien trotz aller Probleme mit der Mafia ein Rückzugsort für solche Tätigkeiten war, die bei uns längst verschwunden sind. Man versuche nur mal in Bayern, handgestrickte Socken für den Winter zu bekommen.



Es ist spät, reichlich spät, das anzugehen. Die Krise wird viele Prozesse noch beschleunigen, man denke etwa an Murano, wo ein grosser Teil der Produktion an amerikanische Touristen ging, die nun daheim bleiben. Oder Keramik aus Capodimonte. Italienische Luxusmarken. Die kleine Posamentenhändlerin um die Ecke, der Lebensmittelladen, nicht die teure Feinkost, nur der kleine Laden in der Strasse. Ich würde gern etwas darüber machen, bevor es verschwindet, und nicht erst aus der Erinnerung.

In Gmund gibt es jetzt Bestrebungen, einen Dorfladen aufzumachen. Seit Monaten wird um einen kleinen Laden gerungen. Da sieht man erst, was es bedeutet, solche Strukturen zu schaffen, wenn sie erst mal verschwunden waren. Wenn es schon das feuer nicht mehr gibt, möchte ich wenigstens noch etwas in der Glut stochern, und nicht später über die Asche schreiben.

Sonntag, 22. November 2009, 00:34, von donalphons | |comment

 
In der Tat ist die Überschwemmung des italienischen Marktes mit Produkten aus China besorgniserregent.
Selbst so uritalienische Geräte wie eine einfache Mokka ist nur sehr schwer aus heimischer Produktion zu erhalten.

Bei den Tuchwebereien wird wohl eine Konzentration eintreten und nur einige wenige übrigbleiben.

Leider haben sich auch die Innenstädte fast zu reinen Franchise-Meilen verändert.
Ortsunkundige finden die wenigen kleinen verbliebenen an die Stadtränder verdrängten Spezialgeschäfte kaum noch.
Fahren Sie nur hin und berichten und dokumentieren; es ist ein sehr wichtiges Projekt.
Ähnlich einer sehr guten Sendereihe des BR "der letzte seines Standes", die verschwindene Handweksberufe dokumentierte.
Ich hoffe, der Sunbeam ist bis zum Frühjahr für diese besondere Gran Tour à la DA fertig!
In boca a lupo!

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Italien hat eine für westliche Indutstrieländer eine fast anachronistische Wirtschaftsstruktur. Eben mit den kleinen und mittelständigen Familienunternehmen. Aber man darf die Veränderungen nicht alleine an Weltwirtschaft, Krisen oder China festmachen. Da kommt viele zusammen. Die Geburtenrate liegt in Italien so niedrig wie in Deutschland: Familienunternehmen ohne Familie. Und Handwerker ohne Nachwuchs, dem das überlieferte Wissen weitergegeben werden kann. Wenn die Erben die Ladenlokale in bester Lage nicht selber bewirtschaften, sondern vermieten, können nur die bekannten Franchise-Ketten die horrenden Mieten erwirtschaften. Die Nutzung des Internets in der Wirtschaft ist in Italien unterentwickelt und damit werden Chancen im Vertrieb der hochwertigen Waren vergeben.

Ich denke auch, dass es Zeit wäre, das verbliebene zu dokumentieren. Mal ganz sonntäglich-pathetisch: Damit stirbt ein Teil der europäischen Kultur.

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mit der CocaCola Globalisierung verschwinden sämtliche regionale mitunter tausendjährige Kulturen - unwiderbringlich

das größte Drama der Menschheit - weitgehend unbeachtet

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Na prima, dann machen wir das so.

Könnte man nicht auch die Trüffelproduzenten zu einer bedrohten Art erklären?

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Sind die nicht sowieso rar?

Jedenfalls gehören die Leser hier unbedingt darüber aufgeklärt, was es mit den Trüffelproduzenten auf sich hat.

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Nun, rar sind sie - aber ich sehe nicht, dass China schpn Trüffel fälschen könnte.

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Ich finde, Du solltest auch Trüffelproduzenten aufsuchen, wenn Du ohnehin schon dort bist. Das ist im Interesse Deiner Leser [und in Deinem doch auch ;-)].

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Ich frage mich, wie sich weisse Trüffel bei einem Grammpreis von einem Euro auf der FAZ-Spesenrechnung ausmachen.

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Investigativer Journalismus kostet eben Geld.

Oder meinst Du, FAZ-Leser müssten nicht über die Produktion weißer Trüffel aufgeklärt werden. Hmm. Dann könntest Du die doch vom FAZ-Honorar als Mitbringsel* kaufen.

* für Dich selbst.

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ich weiss nicht, ich wollte eingentlich nie so ein verkommenes Stück Qualitätsblog wie die LesFakes von Herrn Burda werden:
(http://www.lesmads.de/2009/11/goodie-bag_von_lancome.html)

Vielleicht zahle ich doch lieber selbst. Ausserdem ist Trüffel nicht lange haltbar. Und rase doch so ungern heim.

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Sag ich doch, für den Eigenbedarf erwerben - am letzten Tag. Du hast Dir doch schon früher Trüffel aus Italien mitgebracht, ohne dass dem unterwegs schlecht wurde.

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Die tartuffi und tessuti tour wäre doch geeignet, das GT Blog weiterzuführen ?!

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Die Kosten so einer Aktion wären eher dazu angetan, es über Berichte in der FAZ gegenzufinanzieren.

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Wobei Tartuffi & Tessuti ein ganz famoser Name wäre. Tuch und Trüffel wäre natürlich auch nicht schleicht. Nach dem Motto:

Drückt der Trüffel auf den Bauch
brauchst Du neue Tuche auch
um Dich spannungsfrei zu kleiden.
Kostverächter! Bitte dies hier meiden!

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Werter Herr Alphons,
da fühle ich mich geehrt, daß Sie meine kleine Alliteration aufgenommen haben und dann noch ein Gedicht dazu!

Übrigens gibt es auch in der Toscana ausgezeichnete Trüffel:
http://www.sanminiatotartufo.it/tartufo/cittatartufo.htm

Kommendes Wochenende findet nochmal die Trüffelmesse statt!

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Wie die "gehen die Sachen nach China"? Nein nein, das ist schon seit Jahren anders: längst werden Chinesen nach Italien geholt und in Lagerhallen eingepfercht, wo sie (gegen italienische Gesetze verstoßend) täglich bis zum Umfallen Schuhe herstellen oder Tücher weben. Es haben sich in manchen Orten bereits Chinesenviertel gebildet, die mit dem italienischen Rest nichts zu tun haben. Jedenfalls wird das ganze dann als "Made in Italy" verkauft, deshalb der ganze Aufriß. Dahinter stecken dann aber nicht mehr kleine italienische Handwerksfamilien, sondern ausgebuffte chinesische Geschäftsleute, die mit dem Siegel "Italien" das große Ding drehen wollen.

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Nun, China war, auch wenn das grosse Marken nicht gerne zugaben, lange ein Hauptexportland für italienische Tuchproduzenten. Es gibt einfach Regionen wie den angelsächsischen Raum, in denen das einfach generell so gemacht wurde. Inzwischen ist das ja auch Vietnam, Bangladesch, und so weiter.

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Das Perfide bei den chinesischen Arbeitern in Italien ist aber, dass es nach Außen durch das "Handmade in Italy" so aussieht (der geneigte Käufer hat eben dieses Bild im Kopf), dass dort ein Salvatore sitzt und die Schuhe näht, dabei ist es aber eine Chiu Li, die irgendwo in einer neonbeleuchteten Halle in einem ihr völlig fremden italienischen Gewerbegebiet sitzt und für einen Hungerlohn im Akkord schuftet. Und die Käufer wiegen sich dann mit "wenigstens gute italienische Qualität" in Sicherheit, dabei hat die Globalisierung auch diese Hürde bereits genommen.

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sie waren in hamburg? wenn sie das nächste mal dort sind und der übliche nieselregen sie langweilt, melden sie sich doch mal. bislang habe ich sie ja nur von weitem gesehen.

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Vor acht Monaten. Sind Sie mal in Bayern? Rufen Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit an!

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alles klar, ich stelle mich dann auf die zugspitze und rufe oder gebe rauchzeichen. ;) weihnachten rum wieder bin ich wieder da, je nach mitfahrgelegenheit und auftragslage, dann allerdings in nürnberg.

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Der Ausverkauf kleinen und mittelgroßen Industriebetriebe begann schon Mitte der neunziger Jahre. Die Eigentümer, meist noch Gründer der Firmen, waren nicht dumm. Eine Übernahme durch die Germanistik-studierende Tochter schien wenig erfolgversprechend. Außerdem war ihnen klar, dass die regelmäßige Aufbesserung ihrer Wettbewerbsposition durch LIT-Abwertungen mit dem kommenden Euro wegfallen würde.

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Weiße Trüffel mit einem Grammpreis von nur einem Euro - wo bekommt man das ??

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Oh, zumindest bei den Socken könnte ich weiterhelfen, wenn Du mir die entsprechenden Angaben zukommen lässt. Was fein ist - der Strickboom hat wenigstens bei Wolle eine Entwicklung hin zu Regionalisierung und Handarbeit bei der Herstellung ausgelöst.

Schönes Projekt - ich freu mich schon, darüber zu lesen.

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