Zwangsweise mit alten Traditionen brechen

Zum Verreisen gehört das Kofferpacken, und zum Kofferpacken die Erkenntnis, dass man noch dies und jenes brauchen könnte. Also zieht man los und kauft es - wenn es etwas zum Anziehen sein sollte, eine Lederjacke etwa für das cabrio, ein Kaschmirsakko für die empfindlich kalten Frühjahrsabende am Gardasee, ein paar Hemden, falls man doch ein paar Tage länger bleibt, gab es da immer jene Verkaufsstelle des hiesigen Qualitätsherrenbekleider. Man fuhr hin, suchte sich etwas Urlaubsames heraus, und packte es zuoberst in den Koffer. Mochte man auch in der Fremde fündig werden, so wusste man daheim doch, woran man war. Die Fremde hat viel zu bieten, aber dort findet man selten gezielt; man stolpert, aber vielleicht nicht über das, was man noch gebraucht hätte. Meinen Schuster in Verona etwa fand ich, da ich definitiv zu wenig autotaugliche Sakkos dabei hatte. Von den sieben Hemden, die ich bei meinem letzten Krankheitsurlaub und dessen Verlängerunge erstand, waren drei famos und vier nicht so, wie ich das von daheim gewohnt bin.

Nun fliege ich nach London. Zu kurz, um mir dort etwas schneidern zu lassen, mit zu wenig Zeit, um sie in Geschäften zu verschwenden. Normalerweise hätte ich mir am Tag davor gedacht: Oh, britische Wolle wäre nicht schlecht, so in der Art, dass meine Frau Mama von Hundedecken spricht, so richtig englisch eben - ich schaue da mal raus. Allerdings sieht es so aus, dass die Käufer jenes dank der Sparsamkeit des amerikanischen Kreditgebers insolventen Ausstatters die Geschäfte verlagern; die schlechtere Firma geht in die Nähe von München und die bessere an einen Ort namens "Herford", der angeblich in Deutschland und hier wiederum in Regionen liegen soll, die ich nicht kenne und denen ich auch nicht vorgestellt werden möchte. Die dritte, ebenfalls feine Marke ist schon wieder zurück in Paris, wo sie hergekommen ist. Und das all das passiert recht zeitnah. Ob überhaupt etwas hier bleibt, ist mehr als fraglich. Wodurch ich nicht nur gezwungen bin, mein übliches Verhalten um Wochen vorzuziehen. Ich muss es danach vermutlich auch begraben.



Andere reden vielleicht gierig von Schnäppchen und Gelegenheiten, ich dagegen wäre dankbar, wenn ich mich nicht umstellen müsste und auch in Zukunft einfach das bekäme, was ich gerne hätte. Da die meisten hier nur das Zeug für Büros und Besprechungen haben wollen - Schwarz, Grau, Blau, Anthrazit, Uni, Langweilig, Öde - bleibt mir praktisch die komplette Auswahl an allem, was Fischgrät, Punkte, Glen Check und Hahnentritt aufweist, alle warmen Farben und alles, was nach Literat und Schriftsteller aussieht. Bergeweise könnte ich mich eindecken, genug für eine Weltreise kaufen, mein Kleiderschrank daheim ist voll und der am Tegernsee wird sich auch bald biegen, vielleicht fange ich auch an, mich dreimal täglich im Urlaub umzuziehen - im Sunbeam ist ja Platz - aber es ändert nichts daran, das ich bald, sehr bald von der Versorgung und den behäbigen Wurzeln abgeschnitten sein werde. Ich werde den Koffer füllen und losfahren, auf viele Jahre, denn die Schnitte bleiben und Stoffe halten ewig. Genug Zeit, um Alternativen zu finden.

Auf die ich zugunsten der urlaubsverlängernden Tradition aber gerne verzichtet hätte. Nun habe ich alles, was ich für London brauche. Ausser Gummistiefel, natürlich.

Freitag, 18. Dezember 2009, 23:28, von donalphons | |comment

 
ostwestfalenbashing ist wohlfeil und nur von denen getan, die sie nicht kennen - ein angenehmes völkchen, die wollen niemandem vorgestellt werden.

eine fleißige und völlig unwichtige region, die einstmals eins der zentren kontinentaleuropäischer textilindustrie war. die reste davon werden wohl noch die ein oder andere krise gelassen überstehen - hat es dieser branche (als arbeitgeber für viele tausend menschen) dort doch schon in den sechzigern die beine weggeschlagen.

angenehmerweise ist man sich dort der eigenen globalen bedeutungslosigkeit bewusst und wird auch in zukunft nicht mit der anderen "weltmarktführern" eigenen hybris um platz vor der kamera ringen.
so ist es dort allgemeinhin egal, ob die leute mögen, woher ihr geschmeide kommt; sie müssen es ja doch kaufen, wenn sie es haben wollen.
so wie auch fahrräder.

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Ich habe sogar ein Rad aus Schwaben. Das sagt also gar nichts.

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Don, da hat vert wohl Recht. Besser Sie gewöhnen sich schon mal an Herford, Bielefeld usw.

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... weil wir es an anderer Stelle diskutierten. Was man den Chinesen heutzutage vorwirft, hat bereits das Schwellenland Preussen vorgemacht, und die um 1860 errichteten Bielefelder Fabriken der Ravensberger Spinnerei und der Mechanischen Weberei sind gute Beispiele dafuer: man hat sich vergleichbare Anlagen in Grossbritannien aufs genaueste angeschaut, ebenda Arbeitskraefte angeheuert u. Maschinen eingekauft, im Grunde alles abgekupfert, was sich abkupfern liess, selbst architekonische Details englischer Fabrikgebaeude wie englischer Schloesser.

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im Augenblick auf den Inseln seeeehr kalt...
viel Neuschnee von Norden dazu, eben im RTÈ wurde vor Blizzards gewarnt...

heute auch über Stunden Gatwick dicht...

also lieber nochma umpacken.

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Wellies kaufen wir dann in UK: www. thewellyshop. com. Alles kein Problem. Ich berate Dich gerne.

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Sicherlich sehr betrüblich, wenn man nun Ihe Bezugsquelle für Ihre gehobene Feizeikleidung verlagert.
Sie sollten es aber als Chance nutzen, sich auch hier weiterzuentwickeln.
Den Besuch eines vorzüglichen Herrenausstatters in St. James's Street empfand ich gar nicht als Zeitverschwendung ob der äußerst vorzüglichen, fachkompetenten Behandlung, die man dort als Kunde vom distinguierten Personal erfährt.

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