Lehren aus dem Jahr

Kurz bevor die Vodafail-Sache losging und ich weniger Technikversierten erklären musste, warum dieser schlecht angezogene Berliner mit seinen affigen Posen kein Blogger in jenem Sinne ist, in dem ich einer zu sein gedenke, war ich am Tegernsee und ging in die Berge. Das Mobiltelefon ist bei solchen Gelegenheiten gut verräumt und hat oft schlechten Empfang, und obendrein bin ich immer zu faul, alte SMS zu löschen. Nach ein paar Stunden kam ich wieder unten an und sah am Abend, dass jemand eine SMS geschickt hatte. Typ "Internetbekanntschaft", von der ich nicht allzu viel wusste, guter Autor, alle paar Monate mal eine Mail, aber nie persönlich getroffen und nur, weil er mit blogvertickenden Leuten befreundet ist, die ich für die Lügenpest des Netzes halte, muss so einer ja kein schlechter Mensch sein, ganz im Gegenteil. Die SMS jedenfalls hätte mir vor Stunden mitteilen sollen, er wäre mit seiner Freundin in Bayern und würde gern schnell mal bei mir vorbei kommen.

Irgendwie war ich froh, dass mir die Umstände die Notwendigkeit abgenommen hatten, darauf zu antworten. Vermutlich, wenn er angerufen hätte, hätte ich mich von meiner besten Seite gezeigt, um nur ja nicht unhöflich zu sein, und hätte sie natütlich eingeladen, aber dennoch bleibt bei mir da immer ein gewisses Befremden, wenn Leute, die ich nicht wirklich kenne, mit solchen Anliegen auf mich zukommen. Ich präferiere ganz klar die Möglichkeit des gegenseitigen Abtastens, und sollte ich dann wirklich bei jemandem in der Nähe sein, würde ich allein den Umstand erwähnen und abwarten, ob und wie eine Einladung erfolgt. Ich würde mich bei Unbekannten nie selbst einladen. Nie. Unter gar keinen Umständen. Um so mehr befremdet es mich, wenn man sich bei mir einlädt.

Ideal natürlich ist es, wenn ich das gar nicht selbst tun muss, sondern sich ein Intermediär findet, der die Sache begutachtet und beide Seiten mit einer gewissen Vorbereitung zusammenführt - und davon und von den Möglichkeiten der Abwehr handelt dann auch der letzte Blogeintrag meiner kleinen Serie der Hilfsuntugenden bei der FAZ. Der weitere Verlauf der Vodafonesache zeigte im Übrigen dann auch, dass es ein Fehler gewesen wäre, der Person Zutritt zu meiner Privatsphäre zu erlauben. Nicht dass ich unkommod oder steif wäre, ich führe ein gastfreundliches Haus und warte bis um vier Uhr Morgens auf Gäste - aber Gast wird man nicht mit einer SMS.



Eine andere Lehre des reiseintensiven Jahres war die mangelhafte Verwendung der Bilder. Ich habe die letzten Tage das Archiv durchstöbert und gerade aus Rom noch so vieles gefunden, was ich irgendwann bringen wolllte. Und natürlich nicht getan habe. Die letzten drei Beiträge bei der FAZ sind auch in dieser Hinsicht eine kleine Widergutmachung angesichts meiner Nachlässigkeit gegenüber der Schönheit, und im verlinkten Beitrag stammen die Bilder von der Kirche am obigen Platz: Das Deckengemälde von Sant'Ignazio in Rom. Am 6. Mai werde ich wieder dort sein.

Donnerstag, 31. Dezember 2009, 12:25, von donalphons | |comment

 
Ein würdiger Abschluss
dieser kleinen FAZ-Serie. Ich muss gestehen, dass mir die unausgesprochenen Regeln des Distanz- und Rückzugsmöglichkeit-Lassens im Hinblick auf das alte Boy-meets-Girl zwar schon früh bewusst geworden sind. Aber in der gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist mir das nie so explizit vermittelt worden, das waren Regeln, die von meinen Eltern eher implizit vorgelebt wurden.

Es ist auch ganz gut, sich von Zeit zu Zeit klarzumachen, dass Internet, Handies etc. zwar neue Möglichkeiten der Kontaktanbahnung schaffen, aber deswegen das Regelwerk der dos and don'ts aus der Kohlenstoffsphäre noch lange nicht obsolet machen.

Den Genesungswünschen meiner Vorredner schließe ich mich vollumfänglich an und erlaube mir an dieser Stelle auch, Dir einen schönen und harmonischen Jahreswechsel und ein rundum erfüllendes neues Jahr zu wünschen.

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Ich muss da auch immer erst nachdenken, warum das eigentlich so ist, wie es ist. Die Grundlagen bekommt man ja zu einer Zeit mit, in der man nicht hinterfragt. Und sich sehe auch nicht, dass das Internet an den grundlegenden Verhältnissen etwas ändern würde, zumindest nicht in meinem Umfeld. Der Abstand, wenn gewünscht, muss gewahrt bleiben.

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Das sagt sich natürlich leicht.
Andererseits muss man sich auch immer wieder klarmachen, dass das Netz, und zumal die Bloggerei, eine gefühlte (will sagen: trügerische) Nähe herstellt. Da ist eine SMS des Inhalts "bin grad in der Nähe, wie wärs?" ja nur eine der resultierenden Möglichkeiten. So eine semiöffentliche Existenz inkludiert ja auch das Risiko, dass irgendwelche fehlgeleiteten Subjekte aus der Kommentarspalte heraus den Übergriff in Richtung des realweltlichen Klingelknopfes wagen, wie neulich anscheinend bei Sascha Lobo geschehen. Wie man auch sonst immer zu seinen Einlassungen zu diesen und jenen Themen stehen mag, solchen Besuch von angeschickerten Vollhorstis wünscht man niemandem.

Ich selber würde mich übrigens aus diesem Verblendungszusammenhang auch gar nicht ausnehmen. Wahrscheinlich bin ich bei der Konversion digitaler Bekanntschaften in die real-life-Analogwelt auch nicht immer im Einklang mit den guten Ratschlägen von Sybill Gräfin Schönfeld oder dem Freiherrn von Knigge vorgegangen.

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Ja, ich glaube, man muss erst lernen, neue Technik und alte Umgangsformen irgendwie in Einklang zu bringen.

Das bringt einen dann zu so merkwürdigen Überlegungen wie die, ob es schon Belästigung ist, wenn man sich gezielt das Xing-Profil einer flüchtigen Bekanntschaft heraussucht und anschaut. Wenn die andere Person Premium-Mitglied ist, bekommt sie das ja sofort mit. Wirkt es vielleicht weniger aufdringlich, erst zu gucken, ob man gemeinsame Bekannte hat, und sich dann über deren Kontaktliste dorthin zu klicken? Manchmal habe ich das tatsächlich so gemacht.

Und unter welchen Umständen schickt man dieser Person eine Nachricht oder fügt sie gar als Kontakt hinzu? Oder wartet man lieber, ob die andere Person es tut, wenn sie sieht, dass man sich ihre Seite angeschaut hat?

Man kann diese sozialen Netzwerke generell albern finden und ablehnen. Aber wenn man sie dennoch nutzt, merkt man, dass soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen dort im Grunde genauso knifflig ist wie überall sonst auch. Zumindest, wenn man die Holzhammermethode nicht mag.

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Hi Mark793,
sicher gibt es die fehlgeleiteten Subjekte, gibt aber wohl auch tausende u. aber tausende von Beispielen, dass sich ganz normal gewickelte Zeitgenossen uebers Internet kennenlernen u. in Zusammenhaengen in der wirklichen Welt treffen, die den Interessen beider Seiten Rechnung tragen, manchmal sogar bevoelkerungspolitisch relevant sind. Bin eher in einem Boersenboard zu Hause u. habe da seit vielen Jahren mit einem Dutzend von Personen Kontakte, die weit darueber hinausgehen (obgleich sie die Liebe aussparen) und, na sagen wir, auf gegenseitiger Sympathie beruhen.
Bei der Sympathie kommt der Aspekt der raeumlichen Naehe und die Verhaltensdisziplinierung, die davon ausgeht, ins Spiel. Man kann im Internet dasselbe Benehmen an den Tag legen wie in der face to face-Beziehung; als ausgesprochen guter Mensch wuerde ich selber von dieser Illusion raeumlicher Naehe ausgehen. Man muss es allerdings nicht. Man kann sich hinter der Anonymitaet des Internets (die eine gute Sache ist) verstecken und in einem Masse und mit Worten austeilen, wie man es von Angesicht zu Angesicht niemals machen wuerde.
Keine grosse Einsicht, zugegeben, aber vielleicht ein etwas anderer Aspekt Ihres Worts von der "truegerischen Naehe" der Internet-Komunikation.
Gruss
G. Schoenbauer

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@teutobrecht:
Ich wäre der Letzte, der Ihre Abertausende von Beispielen digital gelebter Normalität in Abrede stellen würde. Zum ganz überwiegenden Teil würde ich meine im Netz geknüpften Bekanntschaften als ganz großen Gewinn verbuchen. Gestern hatten wir auch ein befreundetes Pärchen zu Gast, das sich über die Bloggerei kennengelernt hat.

Aber trotzdem ist es ganz gut, sich von Zeit zu Zeit mal wieder klarzumachen, dass die gefühlte Nähe im Netz nicht unbedingt ein Garant dafür ist, dass es auch jenseits dieser Sphäre harmoniert.

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Jemand sagte einmal, dass zwar nicht jeder im Netz ein Irrer sei, sehr wohl aber inzwischen jeder Irre im Netz ist. Das sollte man stets bedenken.

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Nebenbei. Ich denke, Kennenlernen mag wohl auch wesentlich einfacher sein / gelingen, wenn sich die Beteiligten nicht einmal theoretisch in ihrem Handeln und ihrer Schaffenskraft in die Quere kommen könnten, aber von ihrer jeweiligen gesellschaftlichen „Stellung“ ein wenig auf Augenhöhe miteinander reden können.
Will heissen, es ist immer schwieriger, wenn einer dem anderen etwas bieten könnte, dieser jedoch selbst nichts bzw. viel weniger zu bieten hätte.
Oder so ähnlich....:-)

Jedenfalls wünsche ich allen „Nicht-Irren“ von ganzem Herzen ein Gutes Neues Jahr.

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Ja wäre es denn angemessen gewesen, Sie um ein Treffen in einem Café oder so zu bitten?
Jemanden nicht zu kontaktieren, nur weil keine Mittelsperson zur Hand ist, wäre auch überkonsequent. Eine Internetbekanntschaft und E-Mailkorrespondenz könnte man doch als Ersatz des "Empfehlungsschreibens" ansehen, wie es früher mal üblich war.

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Nein, natürlich auch nicht.

Wenn man es klug macht, kann man es ja auch durchaus riskieren, aber zumindest ein paar Sätze/M ails sollte man schpn wechseln, bevor es ans Eingemachte geht. Das wird später sicher auch anders, wenn man sich besser kennt, aber einfach mit der Tür ins Haus fallen erscheint mir als keine gute Idee.

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Mit der Tür ins Haus fallen, kann sehr wohl eine gute Idee sein. Vorausgesetzt, man ist der Hausherr, und man hat es bis hierher geschafft. Ich weiß, kann Ihnen nicht passieren, und rufe trotzdem "Prosit!"

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