Man macht es besser allein

Ich sondere mich dann ab und gehe eigene Wege, wenn ich kann. Es ist eine seltsame Sache, diese Zona Rossa: hat man jemandem zum reden, macht es einem nicht so viel aus. Ist man allein, erkennt man sehr viel mehr, und es ist wirklich hart. Aber man kann es einordnen. Ist man dagegen abgelenkt, kommt es nachher hoch. Die Gedanken kommen wie die Toten aus ihren Gräbern, wie in Concordia.



Da ist dieses Blumengeschäft. Man weiss, wie das gewesen sein muss, jeden Morgen, wenn die Sonne funkelt, ist Fulvio auf die Leiter gestiegen, und hat die Planzen in den Körben gegossen. Man kam herein in die kleine Stadt, und das Grün des Lebens erwartete den Besucher gleich an der ersten Arkade. Das ist so, in den kleinen Landstädtchen der Region. Jeder versucht, aus seinem Eckchen der Stadt etwas zu machen. Fulvio ist Florist und hat seine Blumen gegossen.



Aber sie wissen noch nicht mal wohin mit den Toten: Also braucht man auch keine Blumen für die Gräber. Oder Hochzeiten. Und das Leben regt sich am ehesten wieder bei jenen, die ein Zimmer oder eine Wohnung ausserhalb der Zone gefunden haben. Und ausserdem sollte man hier auch gar nicht sein, weder Fulvio noch ich. Zona Rossa halt. Einsturzgefahr. War halt gerade offen, geht man halt rein, Das Glas knirscht auf dem Boden, aber vielleicht klingen die geborstenen Steine auch so, wenn sie sich nochmal in Bewegung setzen sollten.



Es ist damals alles so schnell gegangen. Die Erde ist jetzt ruhig, ein ganz leichtes Beben wird gemeldet, 3.0, als ich darüber stand, aber das war nur eine ferne Ahnung. Man ist ohnehin damit beschäftigt, das alles einzusortieren.Das ist schwer genug, wenn man die Begabung des genauen Blicks hat.



Es ist gut, allein zu sein, hier in der Zona Rossa und später auch daheim, wenn einen diese ungesunde Lust auf schnelles, kurzfristiges und hemmungsloses Leben überkommt. Man meidet besser die irdischen Schätze, man nimmt sie nicht mir, wo sie liegen, das ist nur der abklingende Schock, später steht man da mit einem neuen Rennrad, 10 Krawatten oder einer infantilen Email, die man besser nicht geschrieben hätte. Kürbistortelli, viel Butter und Parmesan, das reicht auch. Andererseits, wenn morgen die Kirche in Finale Emilia runterkommt, und ich bin gerade drin, wäre es dumm, es nicht getan zu haben.

Donnerstag, 27. September 2012, 01:50, von donalphons | |comment

 
Shakespeare, der große Menschenkenner, sagte dazu: der Rest ist Schweigen. Ich finde, man kann es positiv sehen: in hundert Jahren sind wir die gute alte Zeit. (Was gäbe ich darum, ein Geschichtsbuch zu lesen, das in hundert Jahren erscheinen wird.) Wie auch immer, ich blättere gerade in einem Buch "Am Anfang war die Sintflut", keine Esoterik übrigens, sondern naturwissenschaftlich. "Schöpferische Zerstörung" ist kein Aperçu, sondern Realität. Merkwürdig, nicht?

Edit: Das Buch ist noch gar nicht erschienen. Sorry. Ich hab manchmal Privilegien. :-)

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"Dekaden der grossen Versäumnisse" wird man es nennen. Und sich wundern, warum in Zeiten derartiger Fortschritte alles so kleoin, dumm und verbiestert geblieben ist. Gute alte Zeit wie 1910.

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Ja, es ist langweilig derzeit, trotz aller Medienerregung. Ich hab mal ein Büchlein gelesen (vielmehr nicht gelesen, weil ich vor Langeweile eingeschlafen bin): Wolfgang Menzel, Geschichte der letzten vierzig Jahre (1816-1856). So ist es auch heute: Biedermeier. Aber der Einband ist hübsch.

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Immerhin gab es Heine und Börne und 1848 - dazu reicht es heute auch nicht mehr.

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Heine und Börne, wohl wahr. 1848 warten wir mal ab.

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Ich habe ja genug Polster für längere Zeiten, aber ich bin auch etwas ungeduldig. Alles wie Brei, kommt es mir manchmal vor. Und das, wie gesagt, in einer Zeit extremer Fortschritte. Aber die Industrialisierung hat die Menschen ja auch nicht besser gemacht.

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In der Tat, es herrscht derzeit eventuell Fülle des Wohllauts (zumindest was Datenträger betrifft). Aber was ist, wenn die Große Gereiztheit eintritt. Ich habe grande peur vor Jahrhundertanfängen: 1415, 1525, 1618, 1701 ff., 1813, 1914, you name it. Ich hoffe ja immer noch, daß wir keine interessanten Zeiten erleben werden.

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Ich hoffe, dass die interessanten Zeiten woanders stattfinden. Aber so aus der italienischen Perspektive habe ich da meine Zweifel.

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