Hausbibliothek der Aufklärung III

Mit dem Absolutismus, der Ausrichtung aller Staatsbestrebungen auf den Herrscher, werden im Frankreich des späten 17. Jahrhunderts alle anderen gesellschaftlichen Grenzen vergleichsweise irrelevant - und damit leicht durchlässig. Handel und Gewerbe sind eine Möglichkeit, am neuen Staatsgebilde zu partizipieren. Natürlich gibt es auch Leistungen, die für besondere Protektion sorgen, und das durchaus in der verknöchertsten aller Institutionen: Der gallikanischen Kirche, die - im Gegensatz zu den romhörigen und erfolgreich agierenden Jesuiten - in besonderer Weise neben dem Papst auch dem französischen König verpflichtet ist.

Der 1649 geborene Adrien Baillet war so ein kirchlich geförderter Aufsteiger. Seine Eltern waren schlichte Bauern aus der Picardie, aber als Schüler zeigte er überdurchschnittliche Leistungen, was ihm die Zuneigung und Förderung durch den Bischof von Beauvais einbrachte. Seine weitere Karriere - Besuch eines Theologieseminar, Tätigkeiten als Lehrer und schliesslich Bibleothekar einer der grössten privaten Buchsammlung - lassen eigentlich nicht darauf schliessen, dass hier ein radikaler Aufklärer am Werk ist. Baillet ist pedantisch, akribisch, ein Sonderling und Bücherwurm, und die Bücher, die er verfasst, sind meist historische Arbeiten über lang vergangene Zeiten.

Aber die Geschichte ist dominiert von der Geschichtsschreibung der Kirche, und mit der kommt Baillet schnell in Konflikt. 1685 lobt er die Janseniten, eine bürgerlich-katholische Sekte, die einem stenges Glaubensideal vertreten und alleinseligmachende kirchliche Institutionen ablehnen. Besonders die Gesellschaft Jesu empört sich über ihn, und als er 1701 das Leben der Heiligen kritisch hinterfragt und deren Existenz teilweise ablehnt, ist der Skandal komplett. Als er 1706 im Ruch des Ketzertums stirbt, ist die Bombe aber noch gar nicht gezündet.



Das Buch, das Baillet zu Lebzeiten nicht publiziert sehen wollte, kommt eher unscheinbar daher: Histoire des démeslez du pape Boniface VIII avec Philippe Le Bel roy de France, erschienen a Paris, Chez François Barrois, rue de la harpe im Jahre 1718. 12 Jahre nach seinem Tod also ein historisches Werk über den Konflikt zwischen Papst Bonifaz VIII und Philipp dem Schönen. Eigentlich ist es nur eine Erweiterung und Überarbeitung eines Vorgängerwerkes des Gelehrten Pierre Dupuy von 1655, und die Handlung selbst spielte sich 1303 ab, lag damals also schon vier Jahrhunderte zurück. Entsprechend sachlich liest sich auch die Ankündigung des Druckers, der ganz auf irgendwelche Widmungen und Bücklinge verzichtet: das Buch hat das Privileg des Königs, das ist alles.



Trotzdem kommt es 1718 darüber zum grossen Skandal. Denn der Konflikt zwischen König und Papst war für keine Seite eine Ruhmestat. Im Prinzip ging es um einen banalen Steuerstreit: Philipp war ein gewissenloser Gewaltmensch, nach heutigen Massstäben ein Verbrecher auf dem Thron. Er hatte gerade die für Frankreich katastrophale Schlacht von Courtrai verloren, die allgemein als Beginn vom Ende des Rittertums gilt: Flämische Fleischhauer hackten auf sumpfigen Grund 700 Ritter von ihren Pferden und schlitzten sie gnadenöos auf. In der Folge hatte Philipp das reiche Flandern verloren, und brauchte dringend Geld. Also beschloss er, den bislang von Abgaben befreiten Klerus zu besteuern. Papst Bonifaz VIII. war der damalige moralische Tiefpunkt dieser religiöse Einrichtung. Er hielt sich dennoch für den Stellvertreter Gottes und antwortete mit der Bulle "Unam Sanctam", einem Höhepunkt des päpstlichen Machtanspruchs.

Die Bulle enthielt nicht weniger als die Forderung nach der irdischen Universalmacht, und war in der Folgezeit die Grundlage für alle derartigen Begehrlichkeiten der Kirche, und ihren Kampf gegen die Demokratie auch im 20. Jahrhundert. Stand da doch geschrieben: "Nun aber erklären wir, sagen wir, setzen wir fest und verkünden wir: Es ist zum Heile für jegliches menschliche Wesen durchaus unerlässlich, dem römischen Papst unterworfen zu sein."

Zumindest dachte man das theoretisch. Praktisch sah es 1303 erst mal anders aus: Philipp liess auf Bonifaz mutmasslich ein Attentat verüben, an dessen Folgen der Papst starb. Der übernächste Papst Clemens V. war dann nur noch eine Marionette von Philipp, und leitete das Papsttum von Avignon ein. Und Baillet erzählte diese Geschichte nicht ganz ohne Hohn, Kritik an der Kirche und leichten Sympathiebekundungen für Philipp. Im hinteren Teil des Buches standen dann noch die nicht wirklich schmeichelhaften Quellen, auf die er sich bezog. Jeder konnte jetzt lesen, wie man 1303 so mit Päpsten und der kirchlichen Allmacht umging. Wirklich jeder. Das war der eigentliche Sprengstoff.



Verbrennen konnte man Baillet nicht mehr. Das Buch war ein Anschlag auf die Macht der Kirche und des Papsttums. Posthum liess der Autor damit den damals um die geistliche und weltliche Vorherrschaft ringenden Jesuiten die Hosen runter. Minutiös schilderte er das Wesen der damaligen Kirche, und wer wollte, konnte Parallelen zu den Bemühungen der Gesellschaft Jesu erkennen. Das Buch wurde der literarische Skandal des Jahres 1718, und das Geplärre der Jesuiten sorgte nur weiter für die Popularität des Buches. Mit Baillet konnte man zeigen, was man von den Ansprüchen der Kirche hielt: Nichts.

Weshalb viele Exemplare - wie auch meines - einen sehr feinen Einband haben. Baillet lesen und besitzen, namentlich dieses Buch, war ein Plädoyer für den säkularen Staat und ein politischer Standpunkt gegen die christlich-reaktionären Kräfte, die in den nächsten Jahrzehnten die erbittertsten Gegner der Aufklärung werden sollten. Davon - bald mehr.

Freitag, 5. Januar 2007, 00:22, von donalphons | |comment

 
Geschichte ist mehr...
als die dortige Rolle der römisch-katholischen Kirche.

"die christlich-reaktionären Kräfte, die in den nächsten Jahrzehnten die erbittertsten Gegner der Aufklärung werden sollten".
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Das klingt ja schon fast nach dem Geschichts- und Staatsbürgerunterrichtblasen der DDR. <g>

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Nun, wenn man Pech hatte, konnte man noch Mitte des 18. Jahrhunderts für ein paar flockige Sprüche und den Besitz von Voltaires kleinem philosophischen Worterbuch als Ketzer enthauptet werden - oder die Gesellschaft sah lächelnd zu, wenn ein verrückter Mörder einen ungeliebten Politiker meucheln wollte... man sollte dabei bedenken, dass die Gesellschaft letztlich vom Papst selbst verboten wurde, wegen solcher Geschichten.

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THX
Grossartiger Text am Morgen. Gerne bitte mehr, schon vorab vielen Dank.

@ funzen

na ja, das war damals halt so: die Machtblöcke lagen fast immer als Rom contra Despot X. zutage. Und Aufklärung = weltlicher Machtverlust der Päpste und ihrer weitläufigen - auch nationalen - Cliquen. Nur das Schwenken von Weihrauchfässern bringt es halt auf Dauer nicht. Letztlich ging es immer um das gleiche: Macht und Geld, diese guten alten Dinge.

Und Phil the Model, das war doch auch der mit den Templern, den ersten Bankiers des Abendlandes. Phil the Fair war auch bekannt dafür das er Juden unter den üblichen billigen Vorwänden in den Kerker werfen liess und ihnen ihr Vermögen abpresste - nur sehr reichen Juden, versteht sich. Also eine Art Vorläufer der sozialen Gerechtigkeit, wenn man so will.

"I rob banks, cos' that's where the money is" äußerte sich mal ein englischer Serienbankräuber zu dem Grund seines Tuns. Follow the money, honey.

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Danke
So gehe ich frisch gestärkt in den Morgen. Ich hatte die Wochen schon sehnsüchtig auf die Fortsetzung der Hausbibliothek gewartet.

(Selbstkritik): Wer betreibt denn heute noch Quellen-Studium? Ich?

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Dafür gibt es ja Blogs :-)

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Vielen Dank dafür, you made my day (stimmt gar nicht, den mache ich selber)!


Geschichte wiederholt sich irgendwo doch: In dem Film Iwan Grosny, der schwarzweiß anfing und in Farbe endete, weil der Farbfilm während der Produktion gerade erfunden wurde, schildert Sergej Eisenstein Aufstieg, Herrschaft, Wahnsinn und Tod eines Despoten und machte zu Lebzeiten Stalins deutlich, dass dessen Ende kommen wird.

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@ che

So ähnlich bei Phil the Pretty : mit seinem Tod zerfiel sein Haus (nicht die Immo), es begann der Hundertjährige Krieg der weite Teile des heutigen Frankreich verwüstete. Agnicourt dort nicht zulezt deshalb eines der Highlights weil da die Blüte des französichen Adels niedergemacht wurde bzw. in ihren Rüstungen erstickte, sondern weil dort der proletarische Bogenschütze gegen den adeligen Ritter die Schlacht für sich entschied.

Aber warum hat Phil auch die Auld Alliance ratifiziert. Das perfide Albion war schon immer tricky, wie es ja auch später der Westwall lernen musste.

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Es ist ja auch nicht ohne Ironie, dass am Ende dieser Geschichte, deren Teil das Buch ist, selbst wiederum das Blutgerüst in Paris steht. Manchmal ist es gar nicht so dumm, sich mit Geschichte auseinander zu setzen.

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Viele, die auf der Guillotine endeten, hatten vorher für die Spitzenplätze auf der Honoratiorentribüne gezahlt, wenn Marterungen oder Räderungen unter dem Ancien Régime angestanden hatten. Und aus der Menge rief bei der Enthauptung des Königs ein Anonymus: "Jaques de Molay, wieder einmal bist Du gerächt!".

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Nun, es steht zu vermuten, dass während der Terreurs auch manche abgerübt worden wären, die man als Aufklärer feierte - Denis Diderot zum Beispiel starb gerade noch rechtzeitig eines natürlichen Todes, den Graf von Lauzun dagegen retteten seine Memoiren nicht.

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Nicht zu vergessen Danton, Desmoulins, Mme. Roland, Chenier, Trenck u.v.a.

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dir, don,

meinen tiefen dank für teil III und die allerbesten wünsche fürs neue jahr.

so ist das mit dem aufgeklärten eigeninteresse, je besser es dem don geht, desto bessere sachen schreibt er, und um so besser geht es dann auch mir.

ein detail der französichen revolution:
sieburg schreibt in seinem blick durchs fenster (rororo nr. 201, s. 11) vom cour du commerce st. andre, einem durchgang zwischen damals der alten comedie francaise, heute, nach haussmann, dem boulevard st. germain - ja, wir sind im 6. arr - und der rue st andre des arts:

"... Das nächste Haus ist eine uralte Druckerei, in der die ersten revolutionären Flugschriften und Broschüren heimlich hergestellt wurden - viele sagen, mit dem Gelde des Orleans, der dann nichtsdestoweniger als Bürger Egalite unter der Gouillotine endete."

cour du commerce st. andre: http://www.insecula.com/salle/MS02015.html

bürger egalite:
http://de.wikipedia.org/wiki/Louis-Philippe_II._Joseph_de_Bourbon%2C_duc_d%27Orl%C3%A9ans

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Wirklich schön. Ich glaube ich werde meine Principia Mathematica Philosophiae Naturalis auch mal wieder in die Hand nehmen und ein paar der schönsten Seiten abfotografieren...

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