Wie daheim. Nur schmutziger

Es ist 23.20 Uhr, Mittwoch Abend in Berlin. Nicht irgendwo, sondern auf der Strasse hinter der Kulturbrauerei im Slumbezirk "Prenzlauer Berg" in Berlin a. d. Spree, kurz vor Marzahn. Das Wetter ist für Februar erträglich, ungefähr 4 Grad über Null, es regnet nicht, und auch der sonst eisige Wind ist kaum zu spüren. Kurz, das hier ist Teil des zentrums der Vergnügungen, die man sich in der Provinz von Berlin ausmalt. Party, Events, Kunst, Spass bis zum Morgengrauen mit Leuten, die entweder arm oder schwäbisch sind, aber in jedem Fall sexy. Das sieht dann so aus:



Ganz vorne an der Strasse ist ein eilig nach Hause hastendes Mädchen. Ein Porsche hat sichtbare Schäden, mutmasslich vom erfolglosen Kampf gegen die Übermacht der Kombis und Familienkutschen. Ein Lokal ganz vorne hat noch offen, obwohl nur noch ein halbes Dutzend Leute da ist. Ein Abend wie in der tiefsten Provinz.

Ich war hier vor drei Jahren länger unterwegs, und ich hatte damals durchaus Probleme, den Ausklang der nacht mit dem beginn meiner Tätigkeit ohne Überschneidungen zu gestalten. Im Januar 2004 war das hier eine Ausgehmeile. In der Kulturbrauerei war es immer laut und hell, auf den Strassen wälzten sich Girlies in Rok und Hose in Vergnügungstempel wie das Drei am Helmholtzplatz, das jetzt auch schon ziemlich verlassen daliegt.

Und nochwas hat sich geändert: Gardinen. Hatte man hier früher noch freien Blick auf von Stuckdecken hängenden, nackten Glühbirnen, sind jetzt allerorten Vorhänge und Gardinen vor den Fenstern. An nichts kann man die Verbürgerlichung eines Viertels besser erkennen als an Gardinen. Denn wer Gardinen hat, will nicht, dass man ihm Nachts reinschaut. Weshalb er nachts zu Hause sein muss. Wäre er weg, wäre es egal. Aber sie sind daheim. Weil das Kind plärrt, weil man hier eben wohnt, weil es schick ist, weil man am nächsten Morgen in das Ministerium muss.Vermutlich gibt es Deutschlandweit aus diesem Grund einen Boom bei elterlichen bekannten Gardinengeschäften.

Vielleicht werden die Sofas auch nur rausgestellt, um einmal noch etwas Rebellisches zu tun, bevor man sich auf die fraglos vorhandenen Vorzüge eines Bausparers und die Altersvorsorge konzentriert. Das frühere ausgehviertel wird noch lange den Ruf prägen, so wie "Montmatre" oder "Quartier Latin" heute eben auch bevorzugte Wohnlagen sind. Der Ablöungsprozess der Party People ist keiner; wer sich hier heute sein Nest baut, ist eigentlich wegen des Vergnügens hergezogen. Die Menschen altern und das Viertel mit ihnen. Und wenn sie dann heim nach Schwaben fahren, müssen sie sich schon erheblich belügen, um noch einen Unterschied zwischen sich und dem Stuttgarter Zahnarztehepaar zu sehen.

Einkommen aussen vor, klar.

Donnerstag, 1. Februar 2007, 12:11, von donalphons | |comment

 
[ein letztes mal OT]: Warst du mal im Falafel Daye? Straße runter, rechts, solange geradeaus bis du an einem Dönerzwilling vorbeikommst. Der hintere ist es. Er verkaufte bis vor ein paar Jahren nur falafel (naja keinen Döner) und hat sich seinen Charme erhalten. Wir sind wegen der Erinnerungen auch schon durch die halbe Stadt dorthin gefahren.
Also falls dir dort heut abend der Magen knurrt.
SE

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Der Daye ist der Beste in der Ecke, keine Frage. Obwohl es unzwischen auch sehr feinen Haloumi gibt. Die Pepperoni ist imnmer noch das Markenzeichen.

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Die Spur der Sofas.
Und jetzt wird auch der sprunghafte Anstieg der herrenlos auf den Strassen Berlin streunenden Sofas erklärlich:

Von kaltherzigen, ehemals hippen, Grossstadtprovinzlern skrupellos auf die Strasse gejagt um für das noch nicht ganz abbezahlte Traummodell von B&B Italia aus der AD vom letzten Jahr Platz zu schaffen.

Es gibt aber einen Unterschied zu I-Town: man trägt im Prenzelberg vergeleichsweise weniger Kropf.

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Natürlich nicht! Dafür spricht man aber schlimmstes Schwäbisch. Mitte ist das neue Freiburg i. Breisgau.

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Im Breisgau
hustet spricht man alemannisch, nicht schwäbisch. Den Unterschied erkennt man an den Kehllauten. Welchen Sprachatlas verwendest Du noch mal? ;-)

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Wie jetzt ? Mitte oder Prenzelberg ?

Aber was willst Du. Eine sehr nette junge Dame, die dort um die Ecke zu Studizeiten gerade mal Leib und Seele zusammen halten konnte ist jetzt bei der Niederlassung einer eigentlich münchner Grosskanzlei am G-Markt und reisst dort einen erheblichen Gehaltsstreifen ab. Grössere Wohnung, Gardinen und neues Sofa sowie neuer Fernseher - aber alles auch im P-Berg. So kommte es auch zu den alten Sofas, alten Fernsehen, und alten Schränken auf den Strassen.

Damals flipfloppte sie sommerlich daher. Leider ist sie mittlerweile dick geworden.

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Mark, was immer in Südwestpreussen röchelt - es ist der Schwob aus bayerischer Sicht.

Und tatsächlich sieht es so aus, als läge der Kampf um die Prenzlauer Höhe in seinen letzten Zügen: Die Leute wollen nicht weg, zumal sich dort eine Gemeinschaft der Kinderwagenschieber gefunden hat, die vor Dauerwerfen gar keine Zeit mehr für das Umziehen hat.

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Tja. Fast wie Kreuzberg ohne Kopftücher, halt.

Sprechen aber genau so gebrochen Hochdeutsch.

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Don,
was auch immer ein Ashkenasi-Bazi Seppeltürke von der Donau als Südwestpreussen deklariert, es hat mit den landsmannschaftlichen und geographischen Realitäten westlich von Neu-Ulm wenig zu tun. ;-)

Aber der hohe Schwabenanteil in bestimmten Berliner Bezirken ist mir auch schon aufgefallen.

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Ja, so ist das mit den Modevierteln für junge Leute. Das ist aber nicht Prenzlauerberg-typisch, das gibt es in jeder größeren Stadt. Die Angelsachsen nennen diesen Prozess "Gentrification".

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moooment mal!
bullenburg im schei*gau mag ja alles sein: miefig, provinziell, ein rentnerparadies, kitschig und spießig. eines ist es aber garantiert nicht: schwäbisch! auch wenn verdammt viele spätzlefresser zum studieren hinkommen! im übrigen war freiburg meines wissens nach nie preußisch, sondern zähringisch, vorderösterreichisch und dann badisch. also.

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Das eigentlich ärgerliche dabei ist aber doch das dies im vorliegenden Falle irgendwelche dahergelaufnen oder ihrer eigenen dumpfen Provinz davongelaufenen selbst ernannten szenigen Kiddies tun. Und das ohne nach Erlaubnis zu fragen, ganz ohne Formular und Genehmigung.

Wären sie daheim geblieben, so würden sie schön dorthin ziehen und so leben müssen, wo sie Herkunft und sozialer Status verortet, und alles hätte seine gute, alte Ordnung. Es sind Störenfriede, die die zu allem Überfluss manchmal auch noch die Penetranz haben hip sein zu wollen, weiter nichts. Es ist verständlich dafür wenig Verständnis zu haben.

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Prenzelberg ist genauso wie bei uns in HH die Schanze. Der Vorteil: die Gehwege sind breiter. Da kann man den Kinderwagen besser ausweichen.

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Nicht nur die Schanze, Ottensen entwickelt sich genauso. Und früher konnte man das in Hamburg in Eppendorf und EImsbüttel beobachten, in Berlin ist es Charlottenburg nicht anders gegangen, aus der den wilden WGs wurden schicke Professorenwohnungen

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Sicherlich ist es für die ehemalige Oberschicht einfach unschön um nicht zu sagen vulgär wie die ehemalige Unterschicht nach den Symbolen des Wohllebens greift, und nicht an dem ihr nach der natürlichen und götzlichen Ordnung zugewiesenen Platz bleiben will.

Nur drängt sich die Frage auf : Na Und ?

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Lebemann, ich glaube Sie verwechseln da was.
Die Leute, die die ehemalig alternativen Virtel besiedelten, rekrutierten sich mitnichten aus der Unterschicht. Die kamen immer schon eher aus der bürgerlichen Mitte, der sie aber zu entfliehen glaubten.
Dass sie dort dann nach und nach selber eine neue Bürgerlichkeit etablierten, ist nur folgerichtig. Die sogenannte Unterschicht hat dagegen schon immer eher in spießigen reinen Wohngebieten gewohnt.

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@ mymspro

Übertreibungen dienen der Emphase. Im übrigen ist "Unterschicht" und "Oberschicht" relativ.

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der müntefranz hat die unterschicht per dekret
für nichtexistent erklärt.

(ist ja auch interessanter, angehörige der mittelschicht morgens um 9 am büdchen im grün-violetten jogginganzug schnaps saufen zu sehen...)

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wäre mal eine idee für reiche erben:

eine stiftung einzurichten, die die von jolly rogers genannten mittelschichtler in armani kleidet, um sie dann abwechselnd mit bestem highländ und altem bordeaux zu bewirten.

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Ich habe gelesen, dass im Prenzlauer Berg die Mieten Richtung 10 Euro/qm kalt tendieren. Für Berlin sehr beachtlich. Da musste ich mich an eine Bekannte erinnern, die einige tage nach dem Mauerfall getroffen habe. Sie hatte von ihrer Oma eine Mietwohnung in der Husemannstr. "übernommen". Sah grausam dort aus, obwohl die Husemannstr. zur 750-Jahrfeier zu einer Art 1900-Disneyland verwandelt worden war.

Dass die Mieten gerademal 17 Jahre später 20 DM kalt betragen, hätten wohl nur optimistisch zugedröhnte Spekulanten behauptet. Das ist meiner Meinung auch nicht ganz mit der normalen "Alterung" eines Stadtteils zu erklären. Jetzt kommen die internationalen Immobilienentwickler. 10 Euro ist nicht das letzte Wort. Prenzlauer Berg ist ein "Brand" - da kann man mehr rausholen. Das werden auch die neubürgerlichen Familien noch schmerzhaft merken.

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Prenzelberg...
.... das Schwabing Berlins. Dann doch lieber in Friedrichshain oder 'good old' Kreuzberg ausgehen. Dort gibt es noch schön siffige und gemütliche Ecken und Eckkneipen.
Kreuzberg lässt grüßen.....

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Da war ich heute. Muss ich nachher erzählen.

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<klugscheißmodus>Das schreibt sich übrigens eigentlich syphig, ursprünglich kommt das nämlich von "so dreckig, dass man die Syphilis kriegt"</klugscheißmodus>

SO36, Wedding, der Rand von Neukölln in der Nähe der Hasenheide oder als Kontrastprogramm Wannsee und Zehlendorf. Das übrige Berlin ist für die Wildschweine.

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Das ist Absicht!
Es gibt eine geheime Abmachung zwischen den Urberlinern, Zugereisten Mitte und Friedrichshain als hipp und in zu verkaufen, damit sie die anderen Bezirke in Ruhe lassen und man in Kreuzberg noch ausgehen kann..

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"Im übrigen ist 'Unterschicht' und 'Oberschicht' relativ."

Stimmt wohl. Aus Moulinettensicht.

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