Hausbibliothek der Aufklärung V

Keine Diktatur währt ewig, und jedes totalitäre System trägt den Untergang in sich selbst; das vergisst man mitunter, wenn man die Bilder der Mörder in Burma, China, dem Sudan und andernorts sieht. Und manchmal, wenn man wirklich viel Glück hat, reisst es damit auch gleich noch ein anderes totalitäres Regime in den Abgrund.

1766 erscheint das Buch "Le Compere Mathieu ou Les bigarrures de l´esprit humain" von Henri-Joseph du Laurens, einem entlaufenen Priester, der darin geistreich gegen Obrigkeit, Jesuitismus, Borniertheit und jede Form der Intoleranz anschreibt. Im sechsten Kapitel lässt er den abergläubischen Don Diego eine ironisch gemeinte Wallfahrt zu den berüchtigten Jesuiten seiner Zeit vorschlagen, und an einer Stelle nennt er auch einen gewissen Busenbaum, versieht den Namen mit einem * und schreibt dazu: Die Geschichte des Patriarchen Busenbaum und seines Kommentators la Croix ist zu bekannt, als dass man sie hier erzählen sollte.

Busenbaum, wird man hierzulande vielleicht fragen, was soll bitte sein mit Busenbaum und la Croix? Was haben diese beiden jesuitischen Moraltheologen, die in Deutschland wirkten, in einer Reihe mit Schändern, Mördern, Verschwörern und Intriganten aus der Gesellschaft Jesu zu tun, die Don Diego da aufmacht? Und warum stehen sie in dieser Reihe der Bücher der Aufklärung? Kann man sich etwas verstockteres, unaufgeklärteres vorstellen als die 9 in Köln gedruckten Bände, in denen Claudius la Croix von 17o7 bis 1720 die Ideen von Hermann Busenbaum in dieses epische, 6000 Seiten umfassende Mass bringt?



Nun war Busenbaum nichts weiter als ein Professor an der Kölner Universität, der zum Zeitpunkt der spitzen Worte des Laurens schon hundert Jahre nicht mehr unter den Lebenden weilte. Und Claudius la Croix selbst starb bereits 1714 vor der Veröffentlichung des obigen, in hellem Pergament gebundenen und höchst seltenen Indexband des Werkes "Theologia moralis antehac breviter concinnata a R. P. Hermann Busenbaum SJ nunc pluribus partibus aucta a R. P. Claudio la Croix ex ejusdem Societ. Jesu". Auch er war hochangesehener Moraltheologe seiner Zeit, askethisch, streng, und genauso sieht auch sein Werk in der Originalausgabe aus. Ein typischer Jesuitendruck für andere verhärmte Hungerleider, weitgehend schmucklos, eng bedruckt und natürlich in der Approbatio voller Lob weiterer Jesuiten, die sich mit diesem Buch ganz auf einer Linie mit Papst und Kaiser wissen wollen. Kurz, la Croix ist alles andere als ein Aufklärer, er steckt voll im Glauben, und zudem im Glauben seiner jesuitischsten Ausprägung. Was la Croix von Busenbaum ableitet, wird von Jesuiten in ganz Europa übernommen.



Es hat sogar ein Kaiserliches Privileg, das sich auf die Kaiser Rudolf II, Ferdinad III, Leopold I, Joseph I und Karl VI beruft, und geschrieben wurde von Friedrich Carl Schönborn, Bischof von Bamberg und Würzburg, und Neffe des berühmten Lothar Franz von Schönborn. Wir stecken mit diesem Buch also ganz tief in der katholischen Restauration. Man muss nur mal lesen, was la Croix zum Sperma zu sagen hat - ausserhalb des natürlichen Gefässes sei es die Todsünde der Sodomie, wichsen war also definitiv überhaupt nicht und strafwürdigst - um zu begreifen, dass hier der alte, jesuitische Starrsinn herrscht.

Oder?



Friedrich Carl Schönborn war ein bekannter Bauherr, er interessierte sich mehr für seine prunkvollen Schlösser als für das Gekrakel irgendwelcher vertatterter Professoren in Köln. Und bei 6000 Seiten kann es schon mal sein, dass man etwas überliest. So etwa in den Kapiteln, in denen sich la Croix mit den Themen Notwehr, Mord und Vergebung desselben bei der Beichte beschäftigt. Als Vertreter der Zeit nach dem 30jährigen Kieg haben Busenbaum und la Crix da eine etwas lockere Haltung, wurde damals doch von der jeweiligen Gegenseite nicht gejammert, wenn ein Wallenstein erstochen wurde, ein Gustav Adolph verblutete oder ein Tilly krepierte. In diesen rauen Zeiten wusste man den Tod eines Gegners durchaus zu schätzen; vorbei war es mit der generellen Unberührbarkeit des Adels, dessen Därme nur zu oft die Spitzen der Piken zierten. Tatsächlich erlauben die Jesuiten es, sich in Notwehr oder bei Bedrohung des einzig richtigen Glaubens gegen höher gestellte Personen zu wenden, und sie, wenn es nicht anders geht oder in der Hitze des Gefechts passiert, auch zu töten. Man darf annehmen, dass la Croix dabei vor allem an die Ermordung nichtkatholischer Häretiker dachte, an Freigeister, Zwinglianer und Spinozisten, aber wie es nun mal so ist: Bücher können auch falsch verstanden werden.



Ein solcher potenzieller Missversteher hiess Robert François Damiens, ehemaliger Dienstbote des Jesuitenkollegs zu Paris und religiöser Extremist im 18. Jahrhundert. Überzeugt, dass die Probleme Frankreichs nur durch den Tod seines Monarchen beseitigt werden konnten, der zu dieser Zeit mit einer Reihe wenig schmeichelhafter Schriften überschüttet wurde, versuchte er am 5. Januar 1757, Ludwig XV. zu erstechen. Gerüchte wollten wissen, dass Damiens dazu von den Jesuiten angestachelt wurde, und bei der Untersuchung kam dem Parlament eben jene Kommentare von la Croix und seine Grundlagen von Busenbaum in die Hände, die nur zu gut zu dieser Theorie passten. Das Parlament verurteilte das Buch, liess es mit grossem Pomp von Hand des Henkers als höchst verwerflich verbrennen, und Damiens wurde auf eher unschöne Art zu Tode gebracht -

und die Folgen? Nun, die Gesellschaft Jesu hatte danach natürlich ein Imageproblem, und die Aufklärer einen hervorragenden Grund, die Gesellschaft als Handlanger des Königsmordes zu verunglimpfen. Das öde Machwerk von la Croix wurde zur schlimmsten Ansehenspleite der Jesuiten und der Kirche im 18. Jahrhundert, schlimmer als Diderots Nonne der die philosophische Therese, und sogar schlimmer als der Finanzskandal um Antoine de LaValette. Bis zu ihrer Austreibung der Gesellschaft aus Frankreich 1764 und dem Verbot von 1773 sollten sich die Jesuiten nicht mehr von dem Ruf der Königsmörder befreien können.

Aber: Gerade, weil dadurch Königsmord überhaupt erst als denkbares und machbares Mittel der Politik eingebracht wurde, weil in diesem verbotenen Buch scheinbar darüber diskutiert wurde, war das Verbrechen an sich nicht mehr undenkbar. Natürlich bemühte sich jeder zu erklären, dass es ganz abscheulich sei, man empfand das als Verbrechen, man diskutierte darüber, es wurde zum Thema, man musste sich dazu eine Meinung bilden - und eben jener Henker Charles Henri Sanson, der bei der Hinrichtung des Königsmörders Damiens seine Premierenvorstellung erreichte, sollte seinen grössten Auftritt haben, als er Ludwig XVI. und dessen Gattin Marie Antoinette 1793 enthauptete.

Die Geschichte geht manchmal seltsame Wege und bedient sich fragwürdiger Mittel, um Diktatoren abzuschütteln, aber wenn ein Buch schon durch ein Missverständnis die Grundlage beschreibt, auf der am Ende der Aberglaube vertrieben und der Despot enthauptet wird, dann hat es auch jedes Recht, in meiner Hausbibliothek gleich neben den feinsten Schriften der grossen Aufklärer zu stehen.

Donnerstag, 4. Oktober 2007, 16:50, von donalphons | |comment

 
Nach *foodporn* jetzt *jesuitenporn* ?

Ist Heiner Geißler nicht auch einer ?

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Jesuitensplatter, wenn dann.

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Foodporn
ist eher das hier:



Tarte Tatin in der grossen, flachen Variante. Trotzdem sind da 8 grosse Äpfel drauf. Man kann sich den konzentrierten, auf 10 Millimeter Apfelmasse eingedampften Geschmack vorstellen.

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*sabber*

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Mal schaun, wann ich das nächste Mal durch FFM komme.

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dann will ich aber auch was ab. mit sternchen obendrauf.

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Jaja, klar, mach ich. (Ich habe den falschen Beruf, ich hätte Bäcker werden sollen).

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Scharfrichtertum scheint ja ein krisensicheres Gewerbe zu sein. Und bei dem selbsternannten Adel von Burma erscheint es die für alle Seiten beste Lösung zu sein, aber sie haben mal wieder deutlich gemacht das Blicke in die Vergangenheit die Augen für die Gegenwart klären. Als erstmal zurück ins Studierstübchen bevor ich die Guillotine unbedacht zimmere.

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Gewisse Dienstleistungen rund um den Tod wird man, da er unausweichlich ist, immer brauchen.

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Neidneidneidauchhabenauchhabenauchhaben

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Torte? Gern.

Bücher? Frag meine Erben. Wenn sie verkaufen, verfluche ich sie.

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Noch so ein Bild und ich lad mich selber ein.
(*immerwiederaufdietartetartinstarr*)

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Dialektik als Bookporn! Gegen die Tarte habe ich selbstverständlich auch nichts einzuwenden.

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Ah, und wieso haben beide Bände die identische Illustration? Darf ich das nochmal in gross sehen?

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Es sind neun einzelne Bücher aus der gleichen Reihe, und wenn man das Impressum genau anschaut, sieht man auch die Unterschiede in der Setzung.

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Dr. Dean: Du kommst zu spät, fürchte ich :-)

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Danke, Don. Jetzt weiß ich auch, was der Herr Damiens angestellt hatte, dessen Hinrichtung in einem von MomoRules empfohlenen Buch beschrieben wird, das ich gerade nebenbei lese.
"Damiens wurde auf eher unschöne Art zu Tode gebracht", das ist auf jeden Fall die Untertreibung des Tages. Würg.

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Das war damals eben so üblich. Zeitgemäss, wenn man so will. In der Folge wurde dann prompt über den Strafvollzug gesprochen, und ob das wirklich so hart sein müsse.

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neben dem lesen des artikels
verspeiste ich eine solide nußecke und dann tauchten meine zähne in einen saftigen mohnkuchen und zuckerguß schmiegte sich an meinen gaumen, da war ich noch gefeit. jetzt Speichele ich schon wieder auffällig

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Damiens hat Louis mit einem Obstmesser angegriffen, mit dem er ihn nicht hätte töten können. Es wird gemutmaßt, dass das Ganze symbolisch war und er den König eigentlich hatte zwingen wollen, seine Klagen über das Leiden des Volkes anzuhören. Als er gemartert und am Ende gevierteilt wurde, war das für das Publikum ein Großes Hallo mit viel Spaß; man sagt, so Einige hätten nach dem Anschauen der Hinrichtung guten Sex gehabt. Für die, die bei Damiens Hinrichtung auf den vorderen Plätzen der eigens aufgebauten Tribüne gesessen hatten und nach 1791 noch lebten, gab es dann Extraplätze auf der Guillotine.

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Nun, Damiens hat schon sehr genau gezielt, und ohne Folgen ist es auch nicht geblieben, versank doch der damals durch winterliche Bekleidung geschützte Louis in Depressionen - und dass es nicht so gemeint war, sagten nachher doch alle. Und bitte: So übel ging es dem Volk damals nicht mehr und wenn, dann wegen der von den Jesuiten verschuldeten Skandals um Antoine de LaValette - hätten sie mal besser nicht investiert, dann wäre der grosse Jammer ausgeblieben.

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