Real Life 4.7.08 - Das Geschäftsgeheimnis der Loddirrl

Frau S., die bekanntlich keinen kleinen Anteil daran hat, dass du dem Tegernsee nahe kamst und dich nun als südlichster der bekannteren deutschen Blogger bezeichnen darfst, Frau S. nun erkennt dich, der du auf der Rückreise vom verhinderten Besuch der Silvretta Classic kommst (Autobiographische Skizze "Bildnis des Don als junger Geck") an meinem Gefährt im Rückspiegel, hält an, gebietet dir zu bremsen und nötigte dich, noch hinten mit einzusteigen, um sie, das Hannerl und eine Bekannte nach München zu begleiten. Dort sei das Wetter schöner, und du wärst sicher ein idealer Begleiter für das, was zu tun sei. Ich verrenkst dir also die Füsse auf der Rückbank eines alten 450er SLC in "Dallas Special" Gold, fürchtest dich etwas wegen der 3-Satzes der Geschwindigkeit (225 km/h, (vermutlich reale) 75 Jahre am Steuer und 25 Liter Verbrauch) und findest dich zuletzt unverletzt in einem bestimmten Antiquitätenladen wieder, in dem alles zufällig arrangiert wirkt, aber in Wirklichkeit in seiner verstaubten Überfülle verkaufsträchtig angeordnet ist.



Man denkt, dass in all dem zerfledderten Kram, bei all den zerschlissenen Stoffen und der gestapelten Melange aus echtem Rokoko und angepinselten Stilmöbeln des späten 60er Jahre irgendwas dabei sein müsste, das dem Betrachter gefällt und gleichzeitig finanzierbar wäre, wenn man es nicht gerade zur Einrichtung eines Luxusgeschäfts in der Münchner Innenstadt braucht und steuerlich geltend machen kann -

Exkurs: Wusste die Leserschaft übrigens, wie das geht? Ein grosser Teil der überteuerten Antiquitäten werden beim Kauf durch Anwalt, Architekt und Ladenbesitzer nicht heruntergehandelt, sondern zu Package Deals vereint. Statt also ein Dutzend Imariteller zu kaufen, nimmt man noch eine Karaffe und eine Teekanne dazu, die Rechnung aber nennt nur die Teller zum hohen Originalpreis, der dann benutzt wird, um die Stücke als Dekoration beim Finanzamt geltend zu machen, und nach zwei Jahren räumt man sie in die eigene Wohnung, wo Teekanne und Karaffe schon warten, und das Spiel beginnt von vorne. Nur so kann man die manchmal atemberaubenden Preise erklären. Exkurs Ende.

Man steht also mittendrin zwischen dem Eberkopf und Möbel aus der Zeit des geköpften Louis XVI, und denkt, da müsste doch was zu machen sein. Aber nein: Teuer, teuer, so teuer, dass man auch mit Steuertricks nie, nie, nie irgendwas auch nur halbwegs güsntig erstehen könnte. Findet auch Frau S., die es dann doch nicht so arg nötig hat, ein weiteres Sofa für die Männer zu kaufen, die auf den Auswahlprozess ihrer modebedürftigen Frauen warten, erwirbt nur ein paar Gläser als Ersatz für einige Exemplare, die der Hund letzte Woche umgeworfen hatte, und dann zieht ihr weiter. Hierhin.



Das hier sieht nicht nur aus, wie ein ordinäres Heizkraftwerk, es ist auch eines. Hoch, verglast, unten ein Klotz und oben Schornsteine. Nicht wirklich das, was man in der Skyline sehen möchte, wenn man, sagen wir mal, 100 m² an der Isar hat und dann über den hinteren Balkon Richtung Altstadt schaut. Diese Panoramaverschandelung des Gärtnerplatzviertels hat einen wenig klangvolle Adresse - Müllerstrasse nämlich - und ist seit Neuestem der feuchte Traum der Münchner High End Immobilienenentwickler. Am anderen Ende der Alsttadt läuft der Verkauf der neostalinistischen Lenbachgärten gleich neben den Nazibau der Oberfinanzdirektion nach deinem Wissen nicht allzu gut, hier entsteht gewissermassen das neue, jüngere Gegenstück. Bei den Lenbachgärten wurden Universitätsgebäude abgerissen, um Platz für eine globale Elite zu machen, hier nun wird ein Heizkraftwerk umgebaut. Und du stehst davor und begreifts nicht, wie man signifikant mehr als für eine Altbauwohnung zahlen kann, nur um im alten Heizkraftwerk zu wohnen.

Wissen S´, erkärt dir Frau S. mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als reale Geschäftsfrau, das ist wie hinten beim Antiquitätenladen: Sie brauchen für so einen Verkauf eine Frau und ein Loddirrl.

Exkurs 2: Loddirrl ist bayerisch für Lattentür. Eine Lattentür sind ein paar zusammengenagelte Bretter, die wenig Haltekraft haben; ein Tritt, und sie brechen zusammen. Diese Eigenschaft haben auch gewisse verheiratete Ehemänner, was dazu führt, dass man sie bei und nicht als Pantoffelhelden bezeichnet, sondern als Loddirrl. Exkurs 2 Ende.

Das geht dann so, doziert Frau S.. Die Frau und ihr Loddirrl sitzen beim Verkäufer, und der erzählt dann etwas von der exklusiven Lage, die natürlich auch den hohen Preis zur Folge hat. So sei die Wohnung dann natürlich nicht für jedermann, da kämen nur ganz bestimmte Leute rein. Dann sage man dem Loddirrl, das er, das erkenne man sofort, natürlich zu dieser Klientel zähle. Bei der Frau nun laufen zwei Prozesse ab: Einerseits will sie natürlich irgendwo leben, wo nicht alle leben, und natürlich will sie auch ein Loddirrl, der lahm und feige ist, gleichsam aber reich, potent und fähig, ihr genau das zu bieten. Am Abend lässt sie ihn dann spüren, dass sie nur zu ihm aufschauen kann, wenn er sich auch als entsprechend erfolgreich und potent erweist - und so bekommt sie am Ende die Wohnung, er mehr Spass in der Nacht und der Immobilienentwickler das Geld. So - und nur so -wird aus einem maroden Heizkraftwerk der Stadt München eine Topadresse für global agierendes Publikum.

Wie die Loddirrl und die Frauen erst mal zu solchen Immobilien kommen, schob sie nach, geht übrigens so: Wenn man ein paar Jahre eine gewisse Modezeitschrift im Abo hat, bekommt man Einladungen von "exklusiven Events" in München. Erst irgendwas kleines, um die Person einordnen zu können, und wenn die Erscheinung passt, folgen Empfänge und Modeschauen in Immobilienobjekten, die zufällig gerade fertig und zu verkaufen sind - und natürlich ist das theoretisch nicht zugänglich, aber man macht jetzt mal eine Ausnahme und zeigt eine Musterwohnung - so kommt das Loddirrl dann erst zum Verkäufer, und die Modezeitung zu sehr viel mehr Geld, als 10 Anzeigenseiten brächten. Frau S. lächelte auf eine Weise, die man mit viel gutem Willen als mokant bezeichnen könnte, aber doch eher verschlagen und zynisch war.

Du denkst etwas darüber nach, gibst Frau S. recht, und nach einem Stück Torte geht es auf der linken Spur wieder zurück an den Tegernsee, der nicht billig ist, aber spottbillig im Vergleich zu dem, was Loddirrl in München für einen verbesserten Blowjob ausgeben - bis zu dem Tag, da der nächste Investor das neueste Projekt aufmacht, und die Süddeutsche Zeitung erneut einen euphorischen Bericht bringt.

Samstag, 5. Juli 2008, 15:20, von donalphons | |comment

 
Loddirrl ist für mein Empfinden phonetisch falsch - zumindest im Münchner Süden heißt der Typ Laddirrl. Und von denen gibts hier Richtung Starnberger See ein paar schöne Exemplare.

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Die Ausssprache des Bayrischen variiert von Landkreis zu Landkreis. Wir sagen auch Loamsiada zu solchen Herren.

Aber das ist wieder so ein Blogeintrag, da möchte man dauernd aufspringen und rufen: So isses! Genauso isses!

Köstlich.

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ad Exkurs1

Das erinnert mich an einen Ex-Chef von mir. Der ließ sich für allzu zahlreiches, teures Geld impressionistische Gemälde nachmalen (fürs Original reichte es halt nicht), überaus großflächig, und zwar zunächst als: Büroausstattung.

Nach Ablauf der Abschreibungsfrist (5 Jahre) und Abwarten der nächsten betrieblichen Steuerprüfung wurde das Zeug umgehend ins eines seiner Privathäuser verschafft.

Als Chef war er übrigens superklasse und extrem fair.

(...und wenn ich ehrlich bin, habe ich ähnliche Verfahren später zu meinem eigenen Gunsten angewendet, nicht in diesem Maßstab, aber ebenfalls unter tatkräftiger Hilfe des firmeneigenen Fahrdienstes.)

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Ich habe bei Frau Mama nochmal nachgefragt, und sie sagt tatsächlich Loddirrl. Ich kenne so eine Verschiebung auch bei Abend: Ambd sagt man in München, Ombd in der mittelbayerischen Provinz. Wie auch immer: Auf den Inhalt kommt es an.

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"Korrekte" Dialekte gibt es längst nicht mehr. Selbst ich, der ich in München geboren, aufgewachsen bin und BEIDE Elternteile ebenfalls geborene Münchner sind (eine Seltenheit inzwischen) spreche kein "astreines" Münchnerisch. Hier kommt einfach zuviel aus anderen Gegenden zusammen.

Wer regional "saubere" Dialekte sucht, findet sie vielleicht noch im Austragshäusl isolierter Bauernhöfe.

Einen (witzigerweise norddeutschen) Linguisten, der mir mal sagte, das wäre jetzt aber nich so korrektet Bayrisch, wa... musste ich daher zur Antwort geben:

"Eam schaug o, da ganz da anda!"

Er hat glaube ich den tieferen Sinn des zweiten Halbsatz nicht ganz überrissen.

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A so a vohuzlda Kachebrundsa...

Es ist nur normal, dass sich Dialekte ändern. Allerdings würde ich bezweifeln wollen, dass er am Ende ist - dazu gibt es zu viele Käffer in Bayern. Schlimmer finde ich dagegen die Adaption des Bayerischen durch Leute, die es zum Party machen brauchen. Stichwort Kocherlball: Zugereiste Unterschicht erinnert sich der eigenen miserablen Herkunft und macht eine Tradition vergangener Unterschichten nach. Die ganze Trachtenscheisse. Kein Schtodara in Baxern hätte früher diese Bauernkluft oder ihre Abarten angezogen. Man war wer und hatte einen Ruf zu verlieren.

Zugereiste und hausgemachte Brennsuppnschwimmer - das tötet Bayern.

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Ist wie auf dem Oktoberfest. Da siehst du noch Originaltrachten, aber das meiste ist pinkmintplastik aus China.

Als Kind haben wir schon Lederhosen getragen, ganz normale natürlich, aber damit konnte man ja auch wirklich ohne Angst über jeden Zaun und auf jeden Baum.

Aber meine Eltern hätten den Teufel getan und irgendwas Trachtiges angezogen, schon gar nicht auf Landpartien.

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Nun, das mit der Plastiktracht hat sich erst wieder durchgesetzt - in den 80er Jahren waren Volksfeste in den mittleren Städten einfach nur Abfüllanlagen für das Gschleaf aus der Umgebung. Trachtenzug zwengs Folklore am Anfang, der Rest waren stinknormale Vollprolls. Heute ist das bavarian Fasching, bei dem die Oberschicht denen da unten Volksnähe zeigen kann. Eine gut geölte PR-Masnahme für den Standort Bayern. Erinnert mich ein wenig an das Aufmacherbild meiner hiesigen Gemeindezeitung - da sind dann alle im Trachtenjanker zu sehen, auch wenn sie im realen Leben ganz normal rumlaufen. Der Abschuss ist der Bürgermeister in Volltracht beim Sommerrodeln am Ödberg.

Die gated Communities dieses Landes jedoch scheinen das irgendwie zu brauchen, bei uns ist das Bräustüberl, das wie ein Biergarten tut und sich als Promitreff aufführt, da kommt dann alles zusammen. Oder gerade zur Stunde: Das Sommerfest der Gebirgsschützen Kompanie Tegernsee. Ein Muss für alle, die ansonsten Gewerbeimmobilien in Berlin verkaufen, Hallen vermieten, Kriegsgerät schieben oder sonstwie global tätig sind. Bayerische Tünche, wie das Hotel Charls in den Lenbachgärten englische Tünche hat, und das Heizkraftwerk als Münchner Meilenstein verkauft wird.

Ohne erfundene Tradition geht gar nicht mehr. Vielleicht bekommt auch der mittelalterliche Beruf des Stammbaumerfinders bald wieder konjunktur (Urgrossmutter wurde Zimmermädchen von Freiherr zu Schlitzkrachern genagelt, etc. pp. )

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Ohne erfundene Tradition geht gar nicht mehr.

selber schuldig, wenn der mut fehlt, neues anzufangen: die schönste überlieferung muss irgendwo ihren anfang haben.

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Angesichts der sozialen Schichtung des Landes im 19. Jahrhundert und der Industrialisierung ist bei den meisten mit Tradition nichts zu wollen, und auch die, die sich haben, kennen die schwarzen, nicht wirklich vorzeigbaren Flecke. So ein Jäger etwa galt zwar was in der Zeit vor 1933, aber so arg cool finde ich das Viecher niederballern dann auch nicht. Wie etliches andere, was einen eher dazu bringen sollte, sich um den eigenen Nachruhm zu kümmern, statt den nicht vorhandenen Traditionsweg sexy auszubauen.

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Ich erinnere mich gut an einen aus dem Sauerland in die Miesbacher Gegend umgesiedelten und in München residierenden führenden Herrn eines kunstsponsorenden Nahrungsmittelkonzerns, der mir voller Stolz mit ersten bayerndialektartigen Bröckchen mitteilte, als erste Amtshandlung habe er bei einem nicht minder führenden Münchner Modehaus einen Trachtenjanker geordert und sich bei den Schützen seiner Marktgemeinde angemeldet. Man müsse sich schließlich integrieren, meinte er. Ehrlich.

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Das geht gar nicht. Bayerntum ist ein mittelprächtriger Geburtsfehler und nur durch Tod behandelbar, springt aber nachweislich nicht über die Artengrenzen. Man kann sich verkleiden, aber nicht werden. Und schon gar nicht in Miesbach, wo das Verbrennen von Hexen und anderen Preussen noch zum geschützten Brauchtum gehört.

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Die Tradition wird nur benutzt. Eine Zutat für den Eventkalender einer Grossstadt. Besonders während des Sommers werden die Grossstädte zu Eventarenen. Ob Sport, Kultur, Musik, Tradition, abstruse Hobbys - irgendwie meint jeder Veranstalter, unbedingt in die Innenstädte der Metropolen heimsuchen zu müssen. Und die Städte machen da mit, weil es alle machen und die Stadtoberen Angst haben bei PR-, Image- oder Tourismus abgehängt zu werden.

Habe ich gestern wieder erlebt. Zwei Grossveranstaltungen gleichzeitig in der Stadt (eigentlich sogar drei, wenn man einen internationalenStudenten- Sportwettkampf dazuzählt).

Ein Grossteil der Besucher reist aus dem Umland an. Die Stadt als grosse laute Bühne, wo es die Provinzler richtig krachen lassen können. Ist es das, was die Städter wollen? Das Mega-Ballermanngefühl? Als Dorfbewohner kann ich das nicht so recht nachvollziehen.

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Und ich wollte grad was Lobendes zu den Innsbrucker Festwochen und den Konzerten auf Schloss Ambras schreiben...

Das Gute hier ist, dass die Typen zum Feiern in den Wald gehen. Ich denke, die Dörfer machen das ganz ähnlich; ich erinnere mich mit Schaudern an den Gruppenzwang eines Kaffs in der Provinz, als die "Bankerlhocker" e.V. den loalen MSC zur PS-Parade durch das Dorf angeheuert haben.

Wie auch immer: Bei uns in der Altstadt ist man schon wieder etwas davon abgekommen, die schlimmsten Exzesse sind erst mal abgeschafft. Weil man sowas wirklich nicht gern in der guten Stube hat. Desto bewohnter die Innenstädte sind, deste eher überlegt man sich Standortalternativen.

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