: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 20. November 2004

Viva muerte

Der notorische Stefan Niggemeier trifft auf die nicht minder notorische Charlotte Roche. Das Ergebnis sollte jeder lesen, der sich überlegt, in den Medien etwas jenseits der Quoten zu machen, was nicht der einfach niemals totzukriegende Aufbau ist.

"Fast jede Redaktion ist panisch und hat Zukunftsangst. Und wenn die Leute im Büro anrufen, um mit ihren Chefs Termine zu kriegen, bekommen sie zu hören, wartet mal, ich weiß selber nicht, ob ich noch einen Job habe."

Das gibt noch viel Futter für DCT. Von Viva wird nicht mehr bleiben als die Marke.

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Man darf nie vergessen.

Die Stadt gehört fraglos zu den angenehmsten Vorhöfen, die die Spiesserhölle zu bieten hat. Die Menschen hier sind nicht dumm, aber dumpf, und sie können immer in den Spiegel schauen, denn sie reflektieren nie. Das Geld, das hier in Mengen vorhanden ist, entbindet sie von allen Zweifeln, denn es ist der Beweis, das sie alles, alles richtig gemacht haben. Und nachdem das schon seit langem so ist, wird sich das auch nicht mehr ändern. Die Republik ist voller Almosenempfänger - hier sind die Almosengeber. Und wie zum Hohn, wenn der Rest der Republik im Schneechaos versinkt und der arme Ossi in die Leitplanken knallt, weil er sich keine Winterreifen leisten kann, bricht hier am Samstag Mittag die Sonne durch und enthüllt das Wintermärchen, das ein weiterer Beweis für die Gottgefälligkeit der Spiesserhölle ist.



Der Wochenmarkt ist auf den Platz vor dem Neuen Schloss verlegt; eine Investitionsruine des 15. Jahrhunderts, gebaut von einem Top-Consultant der damaligen Zeit, dessen Ratschläge für das Königreich Frankreich wenig nützlich, für ihn aber sehr gewinnbringend waren. Am Rande: Wer glaubt, dass die Berater bei der Arbeitsagentur, Toll Collect und Hartz IV geschlampt haben, sollte sich erst mal den Track Record von Ludwig dem Gebarteten und seiner kleinen Schwester Isabell anschauen. Das sind wirklich mal Pleiten, die ein Land in den Abgrund führten.

An den Ständen sind Schlangen, als wäre hier eine Ausgabestelle für Farbfernseher in der DDR. Die bessere Gesellschaft der Stadt überlässt den Aldi den Russen, den Zugereisten und den Grattlern, und trifft sich hier auf einen kleinen Ratsch. Vor mir beim Käsestand ist die alte Frau D******, und aus ihrer Fendi-Tasche schaut sorglos ein dicker Geldbeutel heraus; protzig und vergleichbar den offen getragenen Geldkatzen des Mittelalters. Die D****** sind seit Jahrhunderten echte "Stadterer" und haben noch ihr Stammhaus im Zentrum, sind aber auch längst in die Vorstadt gezogen. Die Matrone kauft für 40 Euro Käse, dann nochmal für fünf Euro Parmesan, weil sie den vergessen hat. Als ich sie demonstrativ freundlich gegrüsst haben, erzählt sie mir gezwungen, dass ihre Tochter heute zu Besuch kommt. Ich frage mich, wie Julia heute wohl aussieht, bestelle ihr schöne Grüsse und schreibe ihr meine Handynummer auf, wohl wissend, dass Frau D******, deren Familie alte Nazis waren, es wahrscheinlich nicht ausrichten wird. Es gibt da so alte Geschichten... Geschichten, die Julia bewogen haben, zu gehen.

Es ist ja nicht so, dass diese Stadt braune Leichen im Keller hat. Die braunen Typen wie der alte D******, die die Leichen gemacht haben, kamen sofort wieder aus dem Keller und stellten bald nach dem Krieg wieder die Spitze der Gesellschaft. Nach dem begann Krieg auch der Boom; viele Leute zogen hier her, machten Geld und Karriere, da konnten die braunen Reste leicht untertauchen; selbst ein katholischer Religionslehrer, der seinen Schülern von seinen lustigen Abenteuern bei der Partisanenbekämpfung an der Ostfront erzählte, machte "das Kraut nicht fett", wie man hier sagt.

Ich vermute, dass Frau D****** das Gemälde des seines Kameraden schleppenden Landsers, das früher im Flur ihres Hauses hing, längst durch eine Graphik von Rosina Wachtmeister ersetzt hat. Dort, wo früher die Orden und die schwarzweissrote Fahne waren, ist jetzt vielleicht ein brauner Herbstkranz. Ich war nur ein paar Mal mit Julia dort, als ihre Eltern in Urlaub waren. Julia war alles andere als stolz auf diesen Krempel und die Geschichte, sie war auch ganz anders als die grobschlächtigen, dickhalsigen, semmelblonden Spitzbäuche ihrer Familie: Klein, zierlich, dunkel, und vor allem war sie weit weg, sobald sie ihr Abitur hatte.

Vielleicht hat die Frau auch nur gelogen, wie so viele andere. Gelogen wird hier viel, wenn es um die Kinder geht. Ich höre es immer wieder, dass die Kinder angeblich zu Besuch kommen werden; eigentlich müsste diese Stadt übervoll mit den erfolgreichen Kindern der besseren Gesellschaft sein. Ist sie aber nicht. Vielleicht sagen sie am Telefon nur vage, dass sie vielleicht kommen, falls sie nicht doch arbeiten müssten, also bitte nichts für sie einkaufen, aber die alten Frauen hören nicht darauf, setzen sich auf die grauen Ledersitze der S-Klasse und fahren auf den Markt, um teure Feinkost und Käse zu kaufen, der dann im Kühlschrank verschimmelt. Das für sie ungewohnte Ciabatta werden sie mit einem gewissen Ekel selbst essen, und der Wein hält eine Weile, zumindest bis Weihnachten, wenn die Julias der Stadt dann wirklich kommen, um sich nach 2 Stunden Familiensimulation in ihr Zimmer zu verkriechen, wo das Landsergemälde in seiner öligen Schaurigkeit inzwischen einen Ehrenplatz hat. So ist das in dieser Stadt, in diesem Vorhof. Ich gebe Frau D****** die Hand - ihre Finger sind kalt, knorpelig, schwach und glitschig - und besorge das, was ich zum Leben brauche. Man darf es, man darf die D****** nie, nie, niemals vergessen.



Sonst kocht man am Abend unter Stuck und Kristalllüster die handgemachten Trüffel-Kürbis-Ravioli, nur ganz dezent mit einer Sauce aus Olivenöl, roten Zwiebeln, Schmand, Pecorino und frischen Gewürzen versehen, trinkt dazu gegen die Kälte da draussen eine heisse, unbehandelte Zitrone, deren gelbe Schale im Schein der Bienenwachskerzen auf dem Familiensilber funkelt, und fängt beim Panorama über die Stadt beim ersten Mondeslicht an, sich an das alles hier zu gewöhnen, an die Schönheit, an den Überfluss, an das geregelte Leben, an die Sauberkeit, und dann übersieht man schnell die Mutter aller Sauberkeiten: Die korrupten Politiker, die schwarzbraunen Säue, die fetten Vertriebenenapparatschiks, die klerikalen Halsabschneider, dieses ganze Pack, das nach 45 gelernt hat, dass ihr lukrativer Privatfaschismus auch in der Demokratie ganz ohne Völkermord und Lebensraum im Osten geht, der Moloch, hier sein Zentrum hat, und der so alt und erfolgreich wie die Dummheit ist.

Das darf man nie vergessen.

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DaimlerChysler Venture GmbH (DCV) geht Richtung DCT

Girl finalisiert den grossen Brocken. Mann, hatten die damals eine grosse Klappe - Krümel-VCs werden vergehen, Old-Eco-Vcs werden bestehen, Corporate VCs waren sowieso das Top Thema Ende 2001.

Ich muss irgendwann auch noch mal eine Geschichte dazu schreiben, von einer Nacht im Keller mit DCV, November 2001. Tolle Zeiten. Sollte man erlebt haben, bevor man Bloggen zum Business, auch bekannt als Business Bullshit Bingo, erhebt, ihr Armen.

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Kleiner Hinweis an alle nach fast einem Jahr

2 Dinge: Einerseits gibt es hier inzwischen so viele Kommentare, dass ich sie teilweise nicht mehr finde, wenn ich mal 24 Stunden nicht online bin. Wie eine Party, bei der man den Überblick über die lieben Gäste verliert. Insofern bitte ich als Gastgeber um Nachsicht, wenn ich in der Hektik mal auf Fragen oder Beiträge nicht antworten sollte. Ich freue mich wirklich über die Vielzahl an Beiträgen, und wenn ich mal im Altersheim bin, werde ich das alles in Ruhe statt der Apothekenumschau lesen, versprochen. ;-)

Andererseits ist das hier eine Party auf einer rein private Website, in meinem virtuellen Wohnzimmer, kein Forum, Dotcomtod2.0 oder ähnliches. Wer als Besucher auf den Teppich kotzt, fliegt raus. Beim ersten Mal editiere ich nur, wenn das nichts bringt, wird alles als Spam behandelt und gelöscht - auch, damit die anderen hier in Ruhe weiterhin am Buffet stehen und Smalltalk betreiben können.

Aber das betrifft nur die allerwenigsten. Und jetzt weiterhin viel Spass.

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