: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 12. März 2007

Der Wermutstropfen

ist der Kran. Da wird nichts gebaut, den braucht man zur Restaurierung. Eines Gebäudes, das etwas mehr als 20 Jahre alt ist. Wir brauchten den ersten Kran nach 398 Jahren. Soviel zum Thema Bauqualität, und nun zum eigentlich Wichtigen: Die Sonne schafft es am Mittag und am Abend wieder auf die Dachterasse.



Und wenn der Kran weg ist, kann man wieder den ganzen Tag draussen sitzen. So etwa in drei, vier Wochen geht es los.

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Die grosse Berliner Strassenbrücke

Liebe Berliner Freunde,

soweit ich sehe, habt Ihr auch diesen Winter, der gar nicht mal so entsetzlich sibirisch war, überlebt - dank der globalen Erwärmung, die Euch zuverlässig in einigen Dekaden voller Taifune bis zum 2. Stock Eurer verrotteten Immobilien unter Wasser setzen wird. Seht es positiv, dann liegt kein Dreck mehr auf den Strassen.

Bis dahin komme ich noch mindestens einmal - so um den 23. März in Berlin vorbei, um unter anderm eine Lesung mit der famosen Modeste zu besuchen, und Leute zu treffen. Wie Ihr alle wisst, komme ich aus dem wohlversorgten Bayern. So Ihr irgendwelche Wünsche nach den hiesigen Spezialitäten habt, lasst es mich wissen. Das meiste sollte unbeschadet in Berlin ankommen.

Herzlichst,

Euer Don

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Eine Geschichte der Armut

Es ist für einen Historiker mit Schwerpunkt auf Realienkunde ein wenig schade, heute leben zu müssen. Das Leben im nächsten Jahrhundert würde die Jetztzeit zwischen 1945 und rund 2020 zum Forschungsgegenstand machen, und damit ein wirklich spannendes Thema haben. Dann wären zum ersten Mal in der menschlichen Geschichtsforschung unumstössliche Erkenntnisse über das an Gegenständen erkennbare Verhalten nichts mehr wert.

Reichtum erkannte man an den Abfallgräben, den Kloaken und der Höhe der Siedlungsschichten. Reich sein bedeutet Abfall produzieren. Dass die Geschichtsschreibung so wenig über das Leben der normalen Menschen zu berichten weiss, hat vor allem damit zu tun, dass sie kaum schriftliche und gegenständliche Zeugnisse hinterlassen hat. Luxus definierte sich durch den Besitz von weitgehend sinnlosen Dingen. Es musste stets das Neueste sein, das Fortschrittlichste und das Prächtigste.

Neutral betrachtet, findet man diese Merkmale des Luxus und der Überflusses heute bei der Unterschicht: Plastik, Wegwerfgläseer, Einweggeschirr, sinnlose Verpackungen und alle drei Jahre neue Möbel aus Pressspan. Gemessen an unserem alten Wissen über das Verhalten der armen Leute, die nichts wegwarfen und es sich nicht leisten konnten, neue oder überflüssige Dinge zu kaufen, wäre das technisch und vom Formenspektrum her veraltete Ensemble hier ein Beispiel für Armut:



Bestens vergleichbar mit Nachlassregistern des 19. Jahrhunderts, wo fein säuberlich vermerkt wird, woher die Stücke kommen und wie alt sie inzwischen sind. Zum ersten Mal leben wir in einer Eroche, in der materieller Überfluss und die Option praktisch unbegrenzten Konsums die alten Begriffe von Luxus und Armut auflöst. Es hat sicher auch etwas mit der Entwicklung weg von einer Nachfragewirtschaft, die durch den Mangel definiert wird, hin zu einer Konsumwirtschaft zu tun, in der es nur noch darum geht, den produzierten Überfluss irgendwie durch schnelle Müllwerdung des Alten weiterhin an die Kunden zu bringen. Wie so etwas geht, sehen wir alle auf den Kommoden unserer Eltern: Wie lange haben sich dort Telefone gehalten - und wie häufig wechseln wir heute unsere ein Vielfaches teureren Mobiltelefone.

Armut hat ihr Gesicht gewandelt. Arm ist nicht mehr der Analphabet, arm ist die Unterschicht zwischen Bildzeitung und Glotze. Arm ist nicht mehr Wille zum Aufstieg, arm ist das Rumhängen in der Shopping Mall. Arm ist nicht mehr der Sportverein, sonder die Fettsucht, das Rauchen und der Alkoholismus. Arm ist Konsum und Überfluss. Rabatte signalisieren nicht "billiger", sondern "Noch mehr für das gleiche Geld". Statt die Armut vals solche zu bekämpfen, scheisst man sie mit billigem, in China produzierten Pseudoluxus zu, gewissermassen dem Imariporzellan der Gegenwart. Die Werbung scheisst sie mit Müll zu, das macht sie zufrieden, fett, unpolitisch und dumm.

Und für sie ist das individuell eine gute Sache. Armut heute ist überhaupt kein Vergleich mit Armut, wie wir sie früher aus der Sachkultur kennen. Ich war heute auf dem Flohmarkt und habe dort einen rund 200 Jahre alten Weidling gefunden, und das ist Armut, wie wir sie historisch kennen:



Idioten, bayerische zumal, die an die gute, alte Zeit glauben, nennen diese Form "Knödelschüssel". Damit verbunden ist die Vorstellung, dass fette Bayern am Mittagstisch fette Knödel aus dieser Riesenschüssel auf die Teller wuchteten. Das ist so falsch, wie die wahre Geschichte erbärmlich ist. Denn der Weidling hat mit Tischsitten erst mal gar nichts zu tun. Die Form entsteht während des 30-jährigen Kriegs, als man in der Not von der langwierigen, riskanten Felderwirtschaft auf Viehwirtschaft umstellt. Mit Rindern kann man vor marodierenden Banden davonlaufen, aber nicht mit den Feldfrüchten. In dieser Zeit erst finden Nahrungsmittel wie Butter und Käse, eben alles, was man aus Rahm und vergorener Milch machen kann, bei uns grössere Verbreitung. Zum Gären der Milch und zum Abschöpfen des Rahms braucht man diese flachen Schüsseln mit den hochgezogenen Lippen, mit denen man präzise, ohne Verluste abtropfen lassen kann. Diese Form gibt es zuerst nur in der Landwirtschaft.

Und erst, wenn die Glasur erste Schäden hat und die Schüssel für die Rahmproduktion nicht mehr sauber genug zu bekommen ist, wandert sie auf den Küchentisch. Und bleibt dort so lange, bis der Boden vollig leergekratzt ist. Glasuren sind mit das Beständigste, was der Mensch vor der Industrialisierung erfunden hat; sie überdauern im Erdreich 5000 Jahre ohne erkennbaren Schaden. Man kann sich nicht mehr vorstellen, mit welcher Gier da unten auf dem Boden dieser Schüssel mit Löffeln gekratzt wurde, um auch noch den letzten Rest herauszuholen. Glasur ist hart, aber niemals so hart wie der Hunger. Und erst, wenn diese Schüssel völlig verdreckt und die Glasur herausgelöffelt war, wenn man sie nicht mehr sauber bekam - wurde sie als Vorratsgefäss weiterbenutzt, und eine andere Schüssel, das für die Milchwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen war, kam auf den Tisch.

In meiner Familie findet man dergleichen nicht, hier setzte die Verbürgerung schon zu einer Zeit lange vor Entstehung dieses Weidlings ein. Was jetzt die irrwitzige Folge hat, dass die Nachfahren der Armen, auf die dieses Stück gekommen ist, es unter einem Haufen Plastikramsch, Videospielen und billigsten Kleidern für 5 Euro an mich verkaufen. Weil es beschädigt ist. Und weil sie weder den Wert des Stücks, noch den Wert der Geschichte kennen. Das sind die Momente, in denen schenke ich mir das Verhandeln.

Sie sind sehr zufrieden, lachen vermutlich über den Deppen, der das Ding gekauft hat und haben jetzt 5 Euro für das nächste Konsolengame. Und genau so viel Zukunft. Sie sind immer noch arm, anders arm vielleicht und nicht mehr hungrig.

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