: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 29. März 2007

Über Sprache

Es war im ersten Moment sicher ein innerer Reichsparteit eine tiefe innerliche Befriedigung für manche Business-Blogger, die die Blogs gern sanfter, professioneller und vor allem netter haben wollen: Mit einem emotionalen Posting veröffentlichte ihre amerikanische Kollegin Kathy Sierra, dass es eine Morddrohung und sexistische Beleidigungengegen sie gegeben hatte. Das ist leider für bekanntere Blogger nichts allzu Besonderes; während der grossen Debatte um StudiVZ oder um rechtsgerichtete Blogger bekommt man schon mal anonyme Post, die man mit den Augen des Rechtsawaltes zur Anzeige hätte bringen können. Kann man áuch posten, muss man aber nicht. Sierra hätte sich dennoch einen Gefallen getan, wenn sie in der Sache nicht gleich noch in einem gewissen Chris Locke den vermeintlich Schuldigen ausgemacht hätte, einen alten Gegner und Betreiber eines deutlich formulierenden Blogs, mit dem sie schon etwas länger Probleme hat. Was dann folgte, war - hoffentlich - eine Mischung aus "nur" Missverständnissen und Vorverurteilungen durch Sierras Anhänger, was schliesslich zu einer etwas genervten Klarstellung durch Locke führte: Er hat das, was man ihm bisweilen unterstellte, nicht getan, jemand hat auf seinem Blog diese Dinge kommentiert, er hat sie gelöscht - was auch Sierra inzwischen einräumt. Reichlich spät. Und so richtig gut sehen beide Parteien nicht aus.

Jetzt könnte man sagen: OK, es gibt immer anonyme Deppen, die in den Kommentaren ausser Kontrolle geraten. Im Fall eines Neocons wurde ich (ziemlich prozionistischer, aber nicht extremer Jude mit einem klaren Ja zum Selbstverteidigungsrecht Israels) von einem anonymen Kommentator als Antisemit bezeichnet. Umgekehrt tut man gut daran, in den eigenen Kommentaren auch ab und zu die Schere anzusetzen - namentlich bei Leuten, die eine falsche Email angeben und als Neulinge an einem Brandherd aufkreuzen. Ansonsten und solange mir keiner mit Löschwunsch in mein Wohnzimmer kotzt, sind die Leute erwachsen und müssen selbst wissen, was sie tun und sagen. Das ist Meinungsfreiheit, und die darf man durchaus weit auslegen. Umgekehrt - und abgesehen von dem obigen Fall - werde ich auch nicht bei anderen vorstellig, wenn mal wieder einer mit einem Kommentar eine alte Rechnung zu begleichen versucht. Ist halt so. Mei.

Was meines Erachtens aber absolut nicht ist, ist das, was momentan von einigen PR-Bloggern in den USA und Deutschland versucht wird: Einseitige Parteinahme für Sierra ohne Berücksichtigung oder auch nur Erwähnung der anderen Seite mit dem Ziel, sich als Instanz der politischen Korrektheit aufzuspielen. Da gibt es einige, herausgreifen möchte ich aber die Jungs von der PR-Agentur Edelman, etwa Steve Rubel, der mal wieder einen konstruktiven Dialog mit Leuten wie ihm fordert - was Edeman-Standard nach ihren Pleiten mit Fakeblogs für Wal Mart und anderen, durch Blogger aufgedeckte Versuche der Einflussnahme ist. In eine ähnliche Kerbe haut PR-Mitarbeiter Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach mit deutlichen Referenzen an meine Person.
Es ist nicht einfach nur leichtfertig, es ist absolut verachtenswürdig, wie hier mit Frauen und überhaupt mit Menchen umgegangen wird. Erinnert mich sehr an das trollige Verhalten, das auch hier in manchen Ecken Klein-Bloggersdorfs um sich griff in den letzten Jahren, wenn jemand am Fluss saß und auf die Leichen wartete oder dauernd von Johurnaille oder Linkhuren sprach. Oder davon, dass jede meiner Kolleginnen ein williges Opfer männlicher Allmachtsfantasien sei (oder wie soll ich das bekloppte misogyne Ichf*ckeuchalle der marktfreien Groupies von Exrebellen interpretieren?).
Dazu könnte man anmerken, dass man in diesem Fall durchaus von Trittbrettfahrer reden kann, wenn eine Morddrohung gegen eine Einzelperson der Anlass ist, eine Verbindung zu ziehen zur berufstypischen Verballhornung zweier Stände wie Johurnaille und PR-ostitution, denen anzugehören ich auch das Vergnügen hatte/habe. Und dass keine Frau je "Ficken" gesagt haben soll, wage ich in den Bereich der Mythen zu verweisen. Man könnte natürlich auch darüber reden, dass Wolfgang, bevor er selbst wegen der Aufhübschung diverser unschöner Geschichten ins Gerede kam, nicht das geringste Problem hatte, die auf meinem Blog verursachten Krisen anderer PR-Leute in seinen Seminaren als Fallbeispiel zu monetarisieren. Aber ich will auf etwas anderes hinaus.

Wenn wir heute in den Blogs in der Lage sind, Dinge deutlich und explizit anzusprechen, wenn wir nicht kuschen müssen und es keine Instanz gibt, die uns in unserer Ausdrucksfähigkeit begrenzt - nun, dann haben wir es Leuten zu verdanken, die dafür verfolgt wurden, wenn sie ficken sagten oder schrieben. Nicht umsonst war der Kampf um die Aufklärung auch ein Kampf um das Recht, über Sex und alle seine Formen reden zu dürfen. Während es die französische Regentin Margarethe von Navarra schon in Schwierigkeiten brachte, sich über die Sexgewohnheiten von Priestern zu äussern, gingen de Sade und Mirabeau dafür ins Gefängnis. Und Henry Miller musste noch im Amerika des letzten Jahrhunderts für einen Roman kämpfen, der weitaus härter als das ist, was in den amerikanischen Nipplegates wieder zum Skandal hochstilisiert wird. Hier darf man das - noch. Auch in Zeiten, wo sich ein paar Spiesser wegen ein paar Photos einer Landrätin aufregen - na und?

Denn es gab auch ausgesprochen höfliche Umschreibungen und gediegene Konversation, die nie auf den Punkt kam. Da hat PR beste Beispiele dafür geliefert. Schergen in Spanien hiessen heilige Hernandad, Anstand hiess sexuelle Unterdrückung vom viktorianischen England über das Bayern der 50er Jahre bishin zu den Irren in Teheran, Staatsterror war Staatssicherheit, und wer es nicht glaubt, lege einfach mal de Sades Philosophie im Bodoir neben Stalins Linguistikbriefe. Mir sind Leute, die die Nase rümpfen, allemal lieber als Leute, die sich das nicht mehr tun.weil jemand bestimmt, dass es keinen Anlass dazu gibt. Es gibt ein Recht, Missstände mit drastischen Worten zu umschreiben. Es gibt auch ein Recht, darauf direkt zu reagieren. Diskurse, so hart sie auch sein mögen, so persönlich das auch werden mag, sind nicht per se schlecht. Es gibt manchmal Debatten, die geführt werden müssen. Dass es im Netz härter zugeht als im Fäule Feuilleton der Zeit, muss absolut kein Nachteil sein.

Schlecht ist nur der Versuch, das zu verhindern mit dem Ziel, etwas zu vertuschen oder schönzulügen. Wie das geht, hat der New Yorker am Beispiel Edelman und ihres Kunden Wal Mart sehr schön herausgearbeitet. Edelman kassiert 10 Millionen Dollar im Jahr, um Journalisten zu bezirzen und Kritiker im Netz zum Schweigen zu bringen. Ein Wal Mart-Techniker hat das Telefon eines kritischen Journalsiten abgehört, und die Firma hat eine Einsatztruppe mit Privatflugzeug, die innerhalb kürzester Zeit mit Gewerkschaftsbestrebungen in den USA Schluss macht. Es gibt eine Menge sprachliche Wendungen, mit denen man das beschönigen kann, und auch manche, die sich der gewünschten Sprache anpassen - aber ich will verflucht sein, wenn ich zulasse, dass Leute, die für diese Firma arbeiten, irgendein verficktes Recht haben mir zu sagen, wie ich und in welcher Sprache ich über sie und ihresgleichen berichte.

Famos zum gleichen Thema auch die bei gewissen Edelman-Neocons verhasste und verfolgte Amanda Chapel.

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Die im Schatten


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