: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 19. März 2007

Ich find den Michi gut

Drüben bei Thomas und an anderen Stellen amüsiert man sich in nicht wirklich netter Weise über Wirtschaftsminister Michael Glos und seine Bemerkung, dass er Leute habe, die für ihn das Internet machen. Obwohl ich alles andere als ein Fan der CSU im Allgemeinen und Michael Glos im Besonderen bin - I beg to differ.

Ich habe bekanntlich ein paar Jahre in der Munich Area mitgamacht, wo ähnliche Ignoranten nicht nur behaupteten, das Internet zu können, sondern sich auch einreden liessen, wie toll das sei. Internetdeppen gab es auch in Nordrhein-Westfalen bei den Sozis, die sich allen Ernstes von einer Handelsblatt-Tochter ein PR-Projekt namens GH100 aufschwatzen liessen, und in Bremen mit einem E-Commerce-Professor, dessen Uni von einem Telefonunternehmer gesponsort werden sollte, der dann pleite ging, und was da an Irrsinn mehr war. München, und ich bitte mir da zu glauben, München jedoch war der Platz, wo die grösste politische Unvernunft auf die grössten Finanzmittel und zugleich die ruchlosesten Gründer traf. Nichts, noch nicht mal Sophia Antipolis oder die Tel Aviv Area, war mit dem Morast vergleichbar, den die Privatisierungserlöse des Freistaates in Zusammenarbeit mit einer komplett versagenden Ministerialbürokratie und ihres Umfeldes verursachten; angefangen bei zwei konkurrierenden Ansiedlungsagenturen bis zum Niedergang von EMTV, Kirch, und aberhundert Firmen.

So ein Typ wie der Glos, der den Sparifankerln ohne Nachsicht ins Mikro sagt, dass ihn der Schmarrn nicht interessiert und damit verdeutlicht, dass sie nie so nah an ihn rangeschleimt kommen werden wie ein normaler Mittelständler aus dem bayerischen Wald, einer, bei dem klar ist, dass sich daran nie wieder was ändern wird und er das Geschmeiss da draussen im Netz zutiefst verachten würde, wenn er es wahrnehmen täte - so ein Mann ist der Richtige am richtigen Ort just zu der Zeit, als es sich zeigt, dass man den 2000er Abschaum doch besser auf die Galeeren geschickt hätte - und falls jetzt jemand sagt, dass Galeeren heute erheblich unter dem Wasserspiegel liegen: Egal! Auch nicht tiefer als die Aktienkurse ihrer bombensicheren Investments.

So ein Michi wird nie so dumm sein, dieses Land nochmal in eine Aktienhysterie zu treiben. Er wird keine Pleitiers zu Internetbeiräten machen, er wird keine Staatsmillionen zur Förderung von Onlinedreck rausrücken, an denen sich der Agenthurendreck bereichert, er wird sie mit ein paar Brocken abspeisen, damit sie ihm den Kot von den fränkischen Reitstiefeln lecken, kurz: In all seiner Beschränktheit sorgt er dafür, dass sie bekommen, was sie verdienen.

Und unser Internet noch lange frei bleibt von expansionsirren Ministerialdirigenten und anderen bedrängnissen, die wir schon mal hatten. Es geht prima ohne sie. Wer etwas anderen meint, mag sich den Glos-Podcast vorstellen, beraten von den Haffa-Brüdern, getextet von Bernd Kolb und produziert von SinnerSchrader, und Ihr alle müsst ihm dann unter dem Lobpreis von Mark Pohlmann bei der Next07 den Staub vom Rocksaum lutschen.

Will jetzt noch jemand einen interneterfahrenen Wirtschaftsminister?

... link (22 Kommentare)   ... comment


Das gibt es nicht nur in Gelsenkirchen

Letztlich ist es ein Problem des Brandings. Denn - seien wir ehrlich: Niemand wird sich heute finden, der irgendein Möbel des Barock, einen Reinaissancepalast oder eine gotische kathedrale heute als Kitsch oder Geschmacksverirrung abtun würde. Das Problem ist einzig und allein mit dem Wandel der Zeit die Bauqualität. Sobald wir über Biedermeier oder ältere Epochen reden, verschwindet der Kitsch und wird allenfalls vom Ramsch ersetzt. Obwohl, und das ist uns allen bewusst, es früher durchaus andere Urteile über Kunst und Stil gab. Genauso, wie das Empire den Rokokoschnörkel verdammte, hasste die neue Sachlichkeit den Jugendstilbogen, und dennoch finden wir das heute alles irgendwie grossartig, toll und begehrenswert in den Auktionskatalogen wieder.

Es gibt allerdings noch Ausnahmen: Deutscher Historismus und - Gelsenkirchner Barock, gewissermassen die Antibewegung zum Bauhaus und der dominierende Stil der 20er bis 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, der dann von Eiche Rustikal abgelöst wurde. Beim Historismus findet im Moment das gleiche Umdenken statt, das in England die victorianische Epoche zu neuer Blüte verholfen hat, schliesslich war es die letzte Epoche vor dem massenhaften Aufkommen der billigen Fabrikmöbel. Ungeliebt, verachtet und zu billigsten Preisen bei den Wohnungsauflösern schmachtet dagegen das als Nazistil verhasste Gelsenkirchner Barock, kongenial zum Ausdruck kommend in den dickbäuchigen, geschwungenen Küchenschränken dieser Epoche, die von den Träumen der Krisen und Kriege sowie ihrer Erfüllung im Wirtschaftswunder erzählen.



Kritiker werden zudem einwerfen, dass diese Dekoration ausgerechnet der Küche ein Symbol der Unterjochung der Frau an Heim und Herd ist. Und natürlich ist so ein Stück mit seiner Glasvitrine und der Spiegelfurnierfront das Gegenteil der Frankfurter Kücher unserer verehrten Margarete Schütte-Lihotzky. Es ist ein Stück für das lange Arbeiten der Hausfrau, und nicht für die schnelle Küche der Angestellten, an die man in den 20er Jahren in fortschrittlichen Kreisen dachte. Und mutmasslich ist es auch ein Nazimöbel, gefertigt nach 1933.

Wie seine französischen Cousins, die unter dem Begriff Art Deco laufen. Oder die Vettern aus Amerika, die man gern als Streamline Design verkauft. Oder schlicht und einfach 30ies, das Branding, mit dem diese Dinge hierzulande gekauft und dann in Italien und England weiter verkauft werden. Zu horrenden Preisen, was niemanden überrascht, der einmal eine Tür öffnet: Das ist Vollholz, hier gibt es kein Pressspan wie nach 1945, Vorkrieg, und Edelholz in der Küche könnte sich heute kein Mensch mehr leisten.

Also, was tun? Verbleiben in der alten Ideologie, die alles schlecht macht, was der Zeit entsprungen ist? Akzeptiert man die Urteile der Gegenwart, statt die Chancen der Zukunft zu nutzen? Heute noch ist es kontrovers, die Hälfte der Besucher werden schaudern - aber in 20 Jahren wird die andere Hälfte wissen wollen, woher man so etwas bekommt.

Letztlich geht es nur um die Frage, wie man Gelsenkirchen los wird.

... link (38 Kommentare)   ... comment