: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 16. Januar 2008

Sehr zu empfehlen - Opaque de Sarreguemines

Wir müssen nochmal über Berlin reden. Über eine Ecke, die fast so stillos und verdreckt wie der Prenzlauer Berg ist, und sozial so unangenehm wie der Potsdamer Platz. Diese Ecke ist die Flughafenstrasse in Neukölln an deren Anfang ein hässliches Einkaufszentrum steht, das nur einen Vorteil hat: Einen Sparkassen-Geldautomaten. Es ist neben dem Automaten bei der Bergmannstrasse derjenige, wo ich das meiste Geld abhebe. Mitten in Neukölln, ohne Hang zu billigen Drogen oder billigen Rappern. Der alleinige Grund dafür ist die Flughafenstrasse. In der ich noch nie war, ohne etwas zu finden, angefangen von den beiden Chinageschäften unten, über den mit seinen Nachbarn Skat spielenden Nachlasshändler in der Mitte bis zu den Wohnungsauflösern mit den gefälschten Bronzestatuen oben, die inzwischen schon so lange in den verstaubten Fenstern stehen, dass sie in die Antiquität altern.

Dort jedenfalls, neben einer klobigen, gussnahtverschandelten Pseudo-Chryselephantine stand ein Teeservice im Schaufenster. Von Ferne hätte man es für Kakiemon-Keramik halten können, wüsste man nicht, dass das originale Kakiemon keine Teekannen kannte. Andererseits wurden die Dekore in Europa seit dem 18. Jahrhndert gnadenlos kopiert, was in Japan ein Auslaufen der Produktion zur Folge hatte - man sollte also vorsichtig sein, wenn man heute Asien wegen Produktpiraterie angreift, Europa ist da auch nicht unschuldig.

Hineingehen, anschauen, umdrehen war eins. Nein, Kakiemon ist es natürlich nicht, aber auch etwas, das nicht ganz ohne Wert ist: Opaque de Sarreguemines, einer der erfolgreicheren Versuche des späten 18. und 19. Jahrhunderts, auf Steinzeugbasis Porzellan nachzumachen. Der Bayer Paul Utzschneider hat die Firma in Frankreich gross und berühmt gemacht, Bürger und Fürsten damit beliefert, und mit seinen Nachfolgern die Marke zu einem Inbegriff für Louis Phillipe und Belle Epoque gemacht. Nun habe ich schon etwas mehr als ein Service, und benötige weder Tassen, noch Teller oder gar eine weitere Teekanne - da habe ich schon zwei Dutzend - aber was tut man nicht alles, als diesem doppelten Landsmann meiner Familienstämme aus einem staubigen Fenster zu befreien. 20 Euro Lösegeld wollte man für meinen Produktpiraten haben, das zahlt man doch gerne für Museumsstücke, um sie ahnungslosen Berlinern zu nehmen, die sie zumindest vorsichtig verpacken.

Ich bin ganz gross im Erklären, wozu ich so etwas trotz allem noch brauche. Ich mein, ich stamme aus einer Familie, deren Oberhäupter lieber noch einen Schrank gekauft haben, als ein Service nicht zu erwerben. Irgendwann ist das in den Genen. Hier jedoch ist es anders, die Stücke sind gut 120 bis 160 Jahre alt, und damit eigentlich nicht mehr zu benutzen. Jedenfalls nicht so, dass sie Schaden nehmen könnten. Es wäre wirklich sehr schade, würde man darauf mit Gabeln kratzen oder unachtsam mit ihnen umgehen. Was also faktisch tun mit dieser japanischen, französischen, bayerischen, aus Berlin geretteten Kostbarkeit? So wie der Apetit beim Essen kommt, ereilt einen nach durchdachter Fahrt die Lösung am Frühstückstisch:


das ist noch kein Food porn, deshalb nur in mittlerer Auflösung hier

Ich habe nämlich noch kein Service für ein kleines französisches Frühstück. Ich habe Schränke voll mit diesen grossen, 78 Teile umfassenden Hutschenteuther Systemen, mit dem man Hochzeitsgesellschaften abspeisen kann und Jubiläen feiern, ich könnte hier perlweisses Porzellan vor Barcampsäue werfen, ich könnte auffahren, bis die Tische brechen, wie es hier üblich ist in meinen Kreisen, wo man es als Schande empfindet, wenn Gäste nachher ohne Bauchschmerzen aufstehen können - aber ich hatte bis dato tatsächlich kein Service für ein kleines, schnelles Frühstück. Man kennt das, man hat wenig Zeit, man kann nur schnell zwei Quarknudeln mit Marmelade von Frau Moretti essen und zwei Tassen Tee trinken, vielleicht ein Croissant, mehr passt nicht auf die Teller, danach muss man hinaus in die Kälte, der nächste Antikmarkt ruft,es stimmt einen für die Jagd auf ein weiteres Service ein, noch eines mit asiatischen Anklängen und Formen des 18. Jahrhunderts vielleicht - dafür ist es hervorragend geeignet.

Es war also ein sinnvoller, geradezu notwendiger Kauf. Nicht dass einer behauptet, ich würde Berlin um das Plündern und Verarmens wegen ausnehmen.

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