Manchmal bereue ich es,

2000/2001 kaum Photos von der "Szene" gemacht zu haben. Irgendwie war mir der Film für dieses Umfeld zu schade, und so gibt es viele Bilder von Leuten und besonders den "Prinzessinnen" am Rand des Geschehens, aber wenig Material aus der Todeszone selbst. Nur in drei aufgelösten Firmen hatte ich die Kamera dabei, und nur in einer habe ich aus Spass geknipst - die Bilder aus den anderen beiden Startups schlummern jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Akten einer Kanzlei, die es in der damaligen Form auch nicht mehr gibt. Dabei wäre es so leicht gewesen, sich die Bilder direkt aus den Webcams der Startups zu besorgen.

Vieles von dem, was damals normale Anblicke waren, hat aufgehört zu existieren. Es war fast selbstverständlich, den Argonauten in München über deren Webcam beim Arbeiten zuzuschauen, und zu wissen, dass dort im Moment die Kosten aus dem Ruder liefen. Sie waren zu schnell gewachsen und segelten mit voller Besatzung in die Flaute. Sie stellten ihre überflüssigen Leute dann für ein Charity-Projekt ab. Egal, was man auf den Events über die Auftragslage und die selbstmörderischen Pitches gegen die anderen Agenturkolosse hörte, es wurde in den Räumen immer gearbeitet. 2001 war die Argonauten-Webcam sowas wie ein Tamagotchi für mich, in den langen Nächten eilten sie durch das bunte Büro, 3 Kilometer von mir entfernt, und bereiteten die hoffnungslosen Präsis vor, sinnlos und doch mit angeblich 30 Manntagen so ausgeklügelt, dass sich die kleineren Konkurrenten beim besten Willen nicht vorstellen konnten, dass es gut gehen würde.

Es ging auch nicht gut. Dass das bei Dotcomtod stand, konnten sie nicht leiden; schliesslich brachte doch die Wirtschaftswoche die netten Tagebücher, die ihre Praktikanten unter dem Titel "Ar go east" schrieben. Die Angst, die Verbitterung und das mühsam zusammengeklatschte Traumleben, dessen zentrale Legende das "Meeting im Pool" war, verursachten zumindest in meinem Erleben schizophrene Zustände bei den Betroffenen. Irgendwann schaltete ich den Bilderstram ab, weil es Nachts leerer wurde, und ich kannte kaum mehr Leute, die dort noch arbeiteten.

Heute, in Berlin, bin ich auch wieder nur 3 Kilometer von den hiesigen Argos entfernt, und wie es der Zufall haben will, ist gleich um die Ecke eine Art "Prinzessin", wie die, die auch in München nahe der dortigen Zentrale lebte. Eine Webcam gibt es dort nicht. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so, denn wenn ich mir in dreissig Jahren die Bilder vom anbrechenden neuen Jahrtausend anschaue, das so hoffnungsvoll begann und dann in den langen Abschwung bis 2010 rutschte, dann werde ich die gestylten Fassaden, die bunten Wände und Pillen, die netten PR-Mädchen mit ihren netten Lügen und die leeren Gänge der finalisierten Dotcoms und ihre Kultur, ihren Kultus und ihre Ideologie vergessen haben.

Was bleibt, sind Bilder von jungen Frauen, die früh genug die Reissleine gezogen haben und im späten Winter am Starnberger See die Schwäne misstrauisch beäugen, und danach, warm eingepackt, den ersten Tag ohne Dotcom-Job zum ersten Tag am See machen. Und sagen, da sollte man doch ein Buch draus machen.

Sonntag, 7. November 2004, 18:29, von donalphons | |comment

 
mal ein kleines remarque ...
... 2000/2001 ist doch schon ganz schoen lange her, wie waere es denn mal damit mal wieder nach vorne zu schauen? Ich sehe ja ein, die 1998-2001er waren unsere Initiationsjahre, aber diesen ganzen Quark werden wir so huebsch sobald nicht wieder haben - stattdessen truebes Mittelmaß allerorten - aber irgendwelche juengerschen Sehnsuechte nach "Stahlgewittern" bringen uns doch auch nicht weiter - und vorallendingen die Caipis, PR-Tanten, argonauten, WEBcams und sonstigen trallalla nicht zurueck. Also maitre alphonso nicht soviel weinen - die argonauten heissen jetzt argonauten360 die WEBcams sind aus, statt Caipi gibts 4711 und die PR-Tanten - tja die wachsen nach ... obwohl ein paar mehr photos haette ich da auch gerne gemacht - denn so kann ich meinen Enkelchen spaeter nur vom Krieg ERZAEHLEN.

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Jau. Perlen für die Erinnerung. Der Mann hat halt ne große Zukunft hinter sich. Aber auf die Dauer... nä.
Irgendwie hat das alles den Geschmack von Landser auf einem One-trick-pony...gähn.

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Kriegspoetik...
...auch wenns mir nicht gefällt, wofür Hr. Jünger hier verwurschtet wird:

Zur Unterstützung des hier schreibenden Autors setzen wir gleichmal ein anderes Zitat eines Autors der Zeit daneben:

"Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem dies kroch" ;-)

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hier kriecht nix ...
... und wenn dann nur am Boden - mal ehrlich - was ist denn hier jetzt noch fruchtbar? Ich sach ja: "so huebsch wirds nicht wieder" - lass mal rechnen 18 bis 39 - jau 19 Jahre - also das waere dann so um 2020 - hey dann sitze ich doch wohl hoffentlich in meinem Bahnwaerterhaeusschen im Burgund und schaue den Gurken beim wachsen zu ... sollen die PR-Tanten und Heads-of-was-weiss -ich-nicht-wass dann doch meinetwegen wieder meeten bis der Pizzabote kommt ...

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KQNM
...KarstadtQuelle NewMedia....

kriecht heute noch...gemästet vom siechenden Konzern, nebenbei Besitzer eines TV-Senders und Sportportals mit denen sie nix anzufangen wissen. Und um beim Konzern zu bleiben: Quelle freut sich besonders über das neue ebay-Urteil: da muss ins bodenlose Konzept gleich nochmal ne 1/4 Mio in ne ebay-Retourenabteilung versenkt werden...für 14 €-BraunRasierer-Verkäufe (UVP: 140 €).

Ich würde denen gerne mal das eine oder andere Foto von damals an die Bürotür nageln...aber ich will mich jetzt net aufregen

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Es gibt noch 65.000 weitere Blogs.
Und ich schreibe das hier zuallererst mal für mich. Dann für mich, für mich, und dann erst für andere, aber auch nicht immer. Es ist auch kein DCT2.0 ( ;-) ), sondern bewusst als private Seite angelegt worden.

Zufällig gehöre ich zu denen, die noch sowas wie eine Zukunft ihr eigen nennen, im Gegensatz zu vielen anderen... und "gross" war die Zeit damals ganz sicher nicht, zumindest nicht in meinen Augen. Kein Anlass zur Trauer.

Trotzdem: Die Erinnerung und die Beschreibung der Folgen ist das zentrale Ziel dieses Blogs. Wer das nicht mag, ist hier, so leid es mir tut, nicht an der richtigen Stelle. Gähnen mag also bitte andernorts vorgebracht werden. Und bitte nicht vergessen - ich habe auch noch so etwas wie ein normales Leben, von dem so gut wie nichts in diesem Blog steht.

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Versoehnung ueber Graebern
ist ja gut, ist ja gut - wir haben ja alle noch ne prima Zukunft vor uns - und auch ein mehr oder wenig monothematisch ausgelegtes Gesamtwerk hindert nicht daran "quiet famous" zu werden. Erich Maria hats ja aus Osnabrueck auch nach Hollywood geschafft und dort ist es ja auch teilweise plusminus ganz ordentlich gelaufen (zumindest mit die Frauen), ansonsten noch Bundesverdienstkreuz undsoweiterundsofort. Fuer Herrn Alphonso ist mir also nicht Bange und KarstadtQuelle ist mir sowas von egal ...

Und irgendwie ists ja auch doch wieder schoen von frueher zu erzaehlen .... haett' ich doch nur mehr Photos gemacht.

Mist.

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Wollen sehen
Ich halte es gar nicht für ausgemacht, dass das nicht wiederkommt - in einem anderen Gewand und anderen Branchen. Die dem NE-Hype zugrundeliegenden Strukturen sind nach wie vor wirksam, die gemachten Fehler sind nicht wirklich durchschaut geschweige denn verarbeitet worden. Also gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass das nicht wieder passiert, vielleicht bei den Immobilienfonds, vielleicht in der Nanotechnologie oder dem Saatgutsektor (Monsanto und so). Vielleicht gibt es keine Dienstporsches, aber das sind Äußerlichkeiten.

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gut dann gucken wir mal ...
... obwohl ich glaube, dass das so wie Geschehen nicht wieder kommt. Nanotechnologie und Saatgutsektor erfordern grundlegendes Verstaendniss von Physik, Chemie und/oder Bioltechnologie, so dass weite Kreise von typischen adabeis erstmal ausgeschlossen sind - Immobilienfonds werden auf absehbare Zeit erstmal sicher nicht so im Fokus stehen (hier gibt es ja schoene Aufsaetze von Herrn Alphonso zu). Fuer irgendetwas Anderes fehlt mir Augenblicklich die Phantasie... Aber was auch kommt - ich werde mich dann hoffentlich schon ausschliesslich um meine Gurken kuemmern koennen ... damit die schoen wachsen.

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Komisch, in Martinsried bei den Biotechs haben doch auch ein paar halbgare Absolventen, ein paar begeisterte berater und eine Menge Staatsknete gereicht - ich hatte aufgrund der Pleiten nicht immer den Eindruck, dass die wirklich wussten, was sie da taten.

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doch, doch das ist Kompetenz - in den Absolventen ...
... frisch von der Bench - da ist dann noch das gute Uniwissen und der unverdorbene Forscherdrang drin. Das wringt man dann aus und 100 Kraftpunktpraesentationen spaeter koennen die auf Beraterseite wechseln, sich fuer Ihren Dienstwagen, Beteiligungen und die naechste Finnazierungsrunde interessieren. (Aber grundsaetzlich haben sie schoen alles gehoert - phys./org./anorg. Chemie usw. ruff und runter - haben sich im Grundstudium in Mathe gequaelt (kann man ja als Chemiker grundsaetzlich nicht) und gekocht und gekocht und gekocht ....

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Wovon reden wir?
Die New Economy, die ich kennengelernt habe, bestand zu einem großen Teil aus anspruchsvoller Software-Entwicklung auf Java 2 und C++ Basis und dazugehörigen, nicht einfach zu verstehenden Abläufen und Anwendungen (Supply Chain Management, ERP-Systemen etc pp). Man müsste also sagen, solche Bereiche erforderten grundlegendes Verständnis von Rationalisierungspotenzialen in der Industrie plus Softwarearchitekturen und Programmsprachen. Trotzdem waren die Adabeis massiv vertreten.

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Ratet mal, warum dieses Blog Rebellen OHNE MARKT heisst.

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>anspruchsvoller Software-Entwicklung auf Java 2 und C++ Basis
>nicht einfach zu verstehenden Abläufen und Anwendungen (Supply Chain Management, ERP-Systemen etc pp).

jo - das gabs wohl auch - aber ungeachtet des tatsaechlichen
Schwierigkeitsgrades ist es fuer einen - sagen wir mal durchschnittlich intelligenten BWLer eher moeglich sich grosskotzig zu Fragen des SCM zu aeusseren als sinnvolle Beitraege zu, sagen wir " heteromolekularen, organische Nanostrukturen auf SI-Substraten" leisten.

Und BWLer (und Juristen) sind doch wohl massgeblich auf der Senkenseite von kollabierenden Unternehmumgen zu finden ... destowgen meine Einschaetzung von oben.

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Wenn die NE-Ex-Heros gebasht werden, dann habe ich immer das Gefühl im Hintergrund stehen Gedanken wie: Warum habe ich damals nicht die Investoren abgezogen und mich mit ein paar hunderttausend/millionen zur Ruhe gesetzt. Don ist sicher über diese Gedanken erhaben, denke ich, hoffe ich,... Männer/Frauen, die verlorenen Gelegenheiten hinterher trauern, sind im Prinzip fast schon in der Kiste (gefühlte emotionale Temperatur).

Wenn immer noch auf die NE geschimpft wird, dann oft auch, weil es für die Kritiker die erste und einzige Branche ist, wo sie mitgemischt haben. In anderen Business-Zweigen ist es auch nicht besser. Blender, Glücksritter, Nervköpfe und andere Unfähige, die ihr Schäfchen ins Trockene bringen wollen oder wenigstens ihre Miete für die 1-Raum-Wohnung im angesagten Viertel verdienen wollen, gibt es mittlerweile überall, auch ausserhalb der Medien/IT. Da kann man zwar hochmütig drüber stehen, aber wenigstens kämpfen die und lassen sich nicht resignierend auf Hartz IV ein.

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Ah. Dank Frau hella. Lag mir auf der Zunge. Nichts anderes intendierte mein alter-Sack-kondensiertes "Gähn". Schliesslich ist das Phänomen seit der Tulip Mania bekannt. Die übergeordnete Frage wäre: Welche Strukturen müsste eine Gesellschaft haben, um es den "Adabeis" zu verunmöglichen ihre egistischen bis soziopathischen Charakterzüge auszuleben? Die Frage schwelt leider unbeantwortet seit mehr als 2000 Jahren in allen Ecken der Weltgeschichte rum.
@nanotech: Ich glaub schon das wird das nächste tulip-Paradies. Phänomene exponentieller Prozesse...Erst Überschätzen, dann Unterschätzten usw...

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Ja, Nanotech. Und das Beste: Selbst für Lieschen Müller ist der Nutzen klar ersichtlich, wenn die Kloschüssel Dank Nano-Beschichtung sauber bleibt. Hat also alle Chancen auf einen Hype.

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Dass ich nicht lache
@anspruchsvoller Software-Entwicklung auf Java 2 und C++ Basis
>nicht einfach zu verstehenden Abläufen und Anwendungen (Supply Chain Management, ERP-Systemen etc pp).

jo - das gabs wohl auch - aber ungeachtet des tatsaechlichen
Schwierigkeitsgrades ist es fuer einen - sagen wir mal durchschnittlich intelligenten BWLer eher moeglich sich grosskotzig zu Fragen des SCM zu aeusseren als sinnvolle Beitraege zu, sagen wir " heteromolekularen, organische Nanostrukturen auf SI-Substraten" leisten.

Genau das passiert aber seit Jahren. Da wird im Zweifelsfall von "kreativen Proteinen" oder "quirligen Peptiden" gefaselt. Statt BWLer nimmt man dafür auch ganz gerne Germanisten oder Theologen, die sind in der Überzeugungsarbeit besser.

@ Hella: Natürlich gilt das auch für andere Branchen. Ich war schon lange dafür, auch bei DCT, diese Selbstbeschränkung auf die NE aufzuheben.

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@hella
ganz ehrlich: es ist manchmal auch das gute gefühl recht gehabt zu haben. und ein noch besseres gefühl ist es, im nachhinein feststellen zu können, dass es richtig war, sich nicht allzu sehr die hände schmutzig gemacht zu machen.

da waren vc's die fremdes geld zu verantworten hatten; die gaben es leuten, die damit unverantwortlich umgingen, weil es ja fremdes geld war. und beschissen wurden dann meist wie immer die kleinen: die normalen programmierer, die leute aus dem office und der handwerker um die ecke, der die schicke küchenzeile montiert hat. solchen verlorenen gelegenheiten trauert man nicht hinterher, wenn man es einmal gesehen hat. im gegenteil, man dreht sich angewidert weg.

ach und nochwas bzgl aktualität: vc gelder kamen mitnichten nur immer von reichen unternehmern, sondern auch von den beteiligungsgesellschaften der landesbanken und aus staatlichen und privaten pensionskassen. also teilweise gelder von uns allen, teilweise gelder vom kleinen mann am fliessband. die gelder sind im nirgendwo verdampft, tauchen als abschreibungen jetzt gerade in den bilanzen auf und sollten eigentlich viel medienwirksamer hinterfragt werden

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Der Hype
@ hella, girl:

Es gibt schon nanobeschichtete Dachziegel, die nach jedem Regen wieder sauber sind. Nix mit exotischer, schwer erklärbarer Materie. Außerdem sollten wir nicht so tun, als ob der Hype Jahrhunderte her wäre. Als ich den Downturn und Absturz erlebte, schrieben wir 2001, das ist für mich eben gerade gewesen. Und hey, die meisten Geldwäscher und Goldgräber sind noch unter uns, und sie sind nicht gerade moralisch geläutert worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze sich in einer anderen Branche (oder mehreren) wiederholt, ist höher, als dass dies nicht geschieht.

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Nicht umsonst plane ich ja schon seit längerem die Gründung einer "Agentur zur Wiedereinführung des Goldenen Zeitalters" ©.

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