Schöne Tradition

Es gibt in der Kulturgeschichte die Theorie, dass frühe, agrarische Kulturen sehr klar zwischen Sommer- und Wintertätigkeiten unterschieden haben. Nehmen wir nur mal das Beispiel Sex: Es war durchaus sinnvoll, das im Winter zu betreiben; draussen war eh nichts zu tun, drinnen wurde es dabei warm, und die Kinder kamen zu einer Zeit auf die Welt, da die Leute gerade mit der Ernte fertig, satt und gut bevorratet waren. Ähnlich auch das Handwerk: Das Schleifen eines Steinbeils ist eine langwierige Sache, das macht man besser, wenn viel Zeit bleibt, und wenn ohnehin das Holzhacken ansteht. In den winterlichen Strick- und Häkelarbeiten mancher Bekannter, oder Mütter von Bekannten, steckt noch etwas von dieser alten Zeitaufteilung drin.

Nur - ich kann nicht stricken.

Also habe ich die Tradition in diesem Winter anders ausgelebt, denn wenn ich auch mit Nadel und Faden ein Versager bin - mit dem Inbus und dem Kurbelabzieher kenne ich mich aus. Man kann es durchaus als Abwechslungsarbeit von der Schreiberei betrachten, das Faggin Piemonte, dessen Rahmenrest ich praktisch kostenlos zu der daran verbauten Dura Ace Kurbel erstand .





Das gestern zum ersten Mal auf die bitter kalte 30-km-Runde hoch auf die Juraanhöhen gelbknallen durfte. Faggin ist eine dieser kleinen, langsam aussterbenden Edelschmieden in Italien, die den Trend zu Aluminium vor 10 Jahren noch mitgehen konnten, aber mit Carbon mehr und mehr Probleme bekommen. Weil man Italianita nicht messen kann, Gewicht aber durchaus.



Grossbild. 1380 Gramm wiegt der Rahmen, 400 mehr als die leichtesten Carbonversionen aus Fernost. 2000 war das extrem leicht, 2011 ist es veraltet. Man sieht es an den Details, dass Faggin das Gewicht nicht so arg wichtig war; das aufgelegte Firmenzeichen mit den Sternen etwa, das Blechschild auf den Steuerrohr, die Gravuren, die verschliffenen Schweissnähte: Handwerklich prima gemacht und technisch sinnlos. Der Plastikfunktionalismus hat im Fahrradbau gewonnen; unten, weil es billig ist und oben, weil es leichter ist. Kein Mensch will heute noch Alu.





Ich schon. Beispielsweise wegen des natürlich längst ausgestorbenen Cinellilenkers, der mit dem Vorbeu verschweisst ist, und den man in den Tagen von Cipollini haben musste. Sieht eben so ausgefallen aus, wie es sinnlos ist, zumal an kalten Tagen, wenn das Metall durch den Fahrtwind auskühlt. Aber eigentlich ist es ja nur eine Ablenkung von der Arbeit gewesen, eine Grille, eine Deckchenhäkelei in Metall. Es lag hier noch viel Zeug rum, das ich an den Rahmen bauen konnte, und das Schrauben macht den Kopf frei.





Wenn man dann so schraubt, und draussen fällt der Schnee, denkt man, wie es wäre, wenn es warm wird, und man wieder... andere saufen sich den Winter schön, rauchen sich die Lunge kaputt oder versuchen, mit Kinderkriegen ihre Beziehung zu retten. Jeder braucht etwas Hoffnung und Ablenkung, und immer nur Internet, Lesen und Musik kann es auch nicht sein.

Ausserdem bin ich zu fett geworden.

Samstag, 26. Februar 2011, 03:39, von donalphons | |comment

 
Velo-Pron ist durchaus erbauend, allerdings denke ich manchmal mit etwas Bedauern an den Food-Pron zurück.

Der führte einem auch den eigenen Bewegungsmangel nicht so drastisch vor Augen.

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Von den beiden Reindln Apfelstrudel sind leider nur noch die Reindln da. Das war nach Frankfurt, die waren sofort weg. Und deshalb muss ich auch radeln.

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nun mit 1380g liegt man auch nur 100g unter den besten Stahlrahmen die mitte der 90er auf den Markt gekommen sind. die glänzten auch mit verschliffenen Nähten, geringen rohrdurchmessern und hoher Lebensdauer.
Im weiteren Bekanntenkreis erfreuen sich die div. Alubomber aber noch einer großen Beleiebtheit, solange damit ernsthaft Sport getrieben wird und man das Sprotvelo nicht in 1. Linie als Lifestyleelement missbraucht. Plastik findet sich da maximal im Bereich der Gabel oder vereinzelt eine Sattelstütze. Die vollplastegeschosse werden fürs Training eher kritisch beäugt, da man sie für zu anfällig hält. Das regelmäßige ersetzen bröseligen Plastiks überlässt man der MAMIL-Fraktion mit Zahnartztbrieftasche.
In die handwerkliche Qualität eines Faggin würde von denen aber auch niemand investieren. Die robotergeschweißten Wurstnähte aus China reichen dem breitensportler völlig.

Mit dem Lenker scheinen sie aber ne richtige Rarität ausgegraben zu haben. im aktuellen (eher schon abklingenden ) fixieboom hats von dem vorbau (ohne lenker) glatt eine Neuauflage gegeben (und dann werfen sich irgendwelche Banausen so ein Alumonster ans schlanke Stahlrad )

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Ich finde knallig bunte Farben, ob an Kleidung oder Fahrrad, stillos. Es verwundert mich beim Don: Seine Autos, Möbel, Handschuhe und Koffer... alles in "richtigen", passenden, dezenten Farben, nur bei seinen Fahrrädern, da schlägt er zu, da wird er zum geschmacklosen Teenager; klebt sogar Reklameaufkleber drauf. Ich versteh's nicht.

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Weil es Spielzeug für Erwachsene ist. Abgesehen davon ist das Faggin schon etwas entlabelt.

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mhh für stilvollere auftritte könnte man sich ja noch ein verspieltes Hetchins zulegen.

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Endlich
mal wieder ein Radl, dessen Anblick einem nicht die Netzhaut verätzt!
(Das Colnago weiter unten ist natürlich nicht gemeint ;-)
Wirklich seeehr gelungen, danke!
Das Cinelli-Teil ist wirklich unglaublich schön, das muß der Neid Ihnen lassen. (Allerdings, ich hätte ihn wohl noch etwas weiter gewickelt, aus
Komfort-Gründen; ich stelle mir vor, so fährt es sich nicht nur kalt, sondern auch ziemlich hart?)
Ent-labelt ist wohl die Gabel? Karbon?

(Ich frage mich schon lange, woraus die Retro-Wellen der nächsten 15, 20 Jahre sich wohl speisen mögen; die Plastikbomber von 2011 werden's doch wohl kaum sein?)

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@jeeves
Die Aufkleber auf italienischen Rennmaschinen gehören so.
Auf meinem Gios prangt der Name 14! mal.
Das ist eben der speziell italienische Chic.
Love it or hate it.

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Ich trau einem Carbongaul einfach nicht zu, 5 oder mehr Jahre irgendwo rumzustehen und nach einer 30-Minuten-Inspektion wieder fahrbereit zu sein. So lief es bei meinem Cube (mit Flight Deck, außerdem ists in Alu nett anzuschaun), und so wars mit der MTB-Schleuder (Judy XL gepimpt mit Vorjahresinnenleben, Shimano-Keramik-Felgen, eine der ersten Maguras, XT - ist das heutige Zeugs wirklich besser?). Nur das Knarren igendwo im Tretlagerbereich bei richtig Druck bekomm ich dem Cube nicht abgewöhnt.

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Der Integralter war quasi mit dabei, ich fand den schon immer recht annwehmbar. Man muss nicht wickeln, es ist sehr bequem, selbst wenn es nicht so aussieht. Insgesamt ein eher normales Rad für lange Strecken, gut geradeaus, sehr präzise, recht leicht, aber auch nicht wirklich sportlich.

Hetchins - nett, aber ein wenig zu viel, nach meiner Meinung. Ausserdem würde das bei mir nur rumstehen.

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@ mea culpa,

lange standzeiten machen einem Carbonrenner nichts aus. Das Material altert eigentlich weniger als beispielsweise Stahl (also keine oxidation o.ä.). Man kann auch heute noch diverse serh frühe Kohlerahmen bekommen (70er 80er) überwiegend aus den Häusern Vitus, TVT oder ALAN.

Kohle ist nur materialimmanent nach Stürzen deutlich anfälliger für totalschäden, da jeder Riss und jeder Lunker zum Totalversagen des Materials führen können. Da entwickelt sich aber ebenfalls gerade eine Reperaturindustrie, die auch solche Problemfälle wieder fahrtauglich macht. Die Chancen stehen eigentlich so schlecht nicht, dass viele der Plastikbomber auch in 20 Jahren noch Straßentauglich sein werden.

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Aber wie werden sie aussehen, rollproll,
"Die Chancen stehen eigentlich so schlecht nicht, dass viele der Plastikbomber auch in 20 Jahren noch Straßentauglich sein werden."

– wie werden die Dinger aussehen?
Alle drei, vier Jahre update/-grade ich die Karbongabeln, am Titan-,
wie auch am Pinarello-Stahlrohr-Renner; sei es wg. Unfallschäden, sei es
aus Neu–Gier ... was man da dann wegwirft, ist (ok, beim Viel- und Allwetterfahrer!) so was von unansehnlich ... 'In Ehren gealtert' sieht,
weiß Gott, anders aus!

Ich schätze mal, 'retro in 20 Jahren' wird 'ne teure Angelegenheit; aber wahrscheinlich haben sie dann Sprühlacke, die das Gerümpel wieder aufhübschen ...

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mhh solange es nur optische schäden sind ... anschleifen, klarlacken, evtl vorher cfk haftgrund sprühen.

was kohle angeht kenn ich eigentlich nur die oben aufgezählten klassiker. die es von denen noch in die entsprechenden klassikerbörsen schaffen sehen alle noch recht ordentlich aus.

für stahl gilt aber auch , dass semiprofessionell bewegtes material irgendwann weichgetreten ist.

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Not so
"Kein Mensch will heute noch Alu".
Neulich sprach mich ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund auf mein 80er-Alu-Müsing an und meinte, das wäre "extremgeilst". Und welcher Velophile wollte ihm da widersprechen?
Ich seh oben Handschuhe im Bild. Bräuchte mal 'nen Tip, wieviel man wo wofür anlegen muss, um etwas weniger erfrierungsgefährdet zu fahren, als das bei mir in diesem Winter der Fall war. Abhärtung ist ja schön und gut, aber nach der Tour stundenlang keine Tastatur bedienen zu können, ist kein Spass. (Natürlich befürchte ich, dass es sich mal wieder um das letzte Paar handelt, das ein Italiener dir in einem Seitenstrassen-Laden vor Jahren verkaufte, bevor er anschliessend sein Geschäft dichtmachte... wenn es nicht eh vom Flohmarkt stammt...)

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Flohmarkt. In jeder grösseren italienischen Stadt gibt es solche Handschuhe, oft in Verbiundung mit Krawatten und auch gar nicht teuer aus italienischer Produktion.

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