Irgendeines Gottes (kein spezieller, soll ja einige geben) Inferno

...und falls Sie befürchten, man könnte ihre religiösen Gefühle verletzen, sollten Sie diesen künstlerisch-satirischen und deshalb dürfenden Text einfach nicht lesen.

Und am neunten Tag, als Gott auch noch den Höllenbausatz fertig hatte, sah er, dass es endlich gut. Die erste Woche war ja noch ziemlich blöd gelaufen, wie es nun mal so ist, wenn man Anfängern irgendwelche Bastelsets in die Hand drückt. Es kotzte ihn ziemlich an, wenn er einen Blick auf das Paradies oder besser gesagt, das, was er daraus gemacht hatte, warf. Die Hölle war dagegen gelungen, auch die schäbige Bemalung und das verkrüppelte Personal und die windigen Warner vor eben dieser Hölle waren in ihrer verhärmten Hässlichkeit sein Ebenbild, wenn er die Mundwinkel verzog, wie er es nach den Pleiten der letzten Woche verdammt oft getan hatte. Er bohrte zufrieden in der Nase, und überlegte, was er jetzt tun sollte. Zu seinem Pläsier entdeckte er einen weiteren Bausatz, worauf stand "Vorhof zur Hölle mit Provinzstadt-Tarnung, Masstab 1:144".

Und siehe, Gott machte sich daran, sein Werk vor den Toren der Hölle zu vollenden. Er nahm das grosses, breites, nebliges Tal aus der Verpackung, und sah, dass es eine gute Idee war, denn damit würden alle zukünftigen Kreaturen weder Weitblick noch klare Sicht haben. Er schüttete alles rein, was er in der Schachtel fand: Ordentliche Böden und Äcker, Wald, Wiesen und einen breiten, gemächlichen Fluss, der in seiner braunen Behäbigkeit als Lebensmodell herhalten konnte. Dann bohrte er ein grosses Loch als Zugang zum Höllenschlund in die Landschaft, lötete die Hölle unten dran und setzte den Sockel für die Stadt oben drauf. Er machte eine malerische Altstadt und schnitt zynisch die Hälfte der Gebäude wieder raus, um Schneisen zu schlagen für postmoderne Kaufhäuser und betonbunte, familiengerechte Wohnanlagen, die aber wie alte Häuser taten.



Draussen dann setzte sich alles im frohen Mix der Scheusslichkeiten fort. Er setzte vor die Tore einiges an berufsmässigen Söldnertruppen, sowie grosse Industrieanlagen, in denen gute Autos und feinste, fliegende Massenvernichtungswaffen hergestellt wurde, von denen ab und zu eine mit lustigem Knall auf den Äckern zerschellte. Meine Schöpfung macht die besten Knallfrösche, dachte Gott und bastelte aufgeregt weiter. Es war schon nach Mitternacht, er war irgendwo zwischen Euphorie und Übermüdung, und wenn ihn die Augen zuzufallen drohten, setzte er noch irgendwohin ein Gymnasium, in dem sadistische Lehrer ihre Schüler zu Höchstleistungen anspornten, oder auch nur zum Besteigen eines Fahrstuhls, um dann von einem Hochhaus herunter Selbstmord zu begehen, weil irgendeine alte, von einem Idioten im Ministerium mit Erziehung beauftragte Betschwesternschachtel gezielt ihren Lebenstraum vernichtet hatte.

Das waren dann auch die ersten Bewohner aus seiner Lieblingsschöpfung, der Hölle, die Gott nach und nach ansiedelte, damit sofort klar war, wer hier die mehreren sein würden, bis zum jüngsten Tag. Nur einmal, als sich die Bewohner auffallend viele braunen Hemden gekauft hatten, Völkermord mitbegingen und auch noch ein paar Flieger lynchten, kamen danach die Amis und gaben kurzfristig anderen Leuten in Führung. Aber schon bald renkte sich alles wieder ein, und die Schriftstellerin, die das Inferno unter der Stadt erkannt hatte, musste zur Strafe hier ihren Lebensabend lebendig begraben als verachtete, gehasste arme Frau zubringen. Lange nach ihrem Tod benannte man die Bibliothek nach ihr, in der es Konsalik und auch einiges an Kirchenvätern gibt. Dann sagte Gott zu mir, ich solle ihm mal die Vorstädte rüberreichen. Die Hundehütten setzte er im Osten hin, wo eine paar stinkende Raffinerie-Attrappen ahnen lassen, was sich unter der Stadt abspielt. Im Norden lag ein Kleinbürgerviertel, das nach einem Frommen benannt ist, im Süden die Architekturträume geschmackloser Aufsteiger, und im Westen dann die Anwesen derer, bei denen das Geld alles möglich macht, vom holzvertäfelten Burgen-Surrogat bis hin zum Palladio-Zitat in Pastell.



Hey, Gott sah, dass es echt gut war, trank ein Red Bull und setzte alle paar Jahrhunderte auch noch eine reaktionäre Elite-Hochschule in die Stadt, denn er wollte, dass sich die Lehren seines Meisterwerks in der ganzen Welt verbreiten, to, äh, wie nennt ihr das, lallte er mich gegen 6 Uhr Morgens an. Top-Down, sagte ich, du willst, dass sie oben was diktieren und unten alle die Fresse halten. Genau, sagte Gott, ich sehe, dass es fucking gut ist, nicht? Ich sagte gar nichts, denn Gott hatte sich schon dem letzten Problem zugewandt. Über die dreispurige Autobahn versuchten einige, den Vorhof zur Hölle zu verlassen. Gott schickte ihnen Flüche hinterher, worauf sie das Falsche studierten und in den Metropolen verhungerten, oder zurückkamen und heirateten, oder sich irgendwo mit ihren übermotorisierten Karren heimischer Produktion überschlugen.

Oooops, sagte Gott, als er gegen 7 Uhr mal wieder jemand frontal in einen Überholer mit dem Kennzeichen ND (wie NationalDepp) hatte knallen lassen, das waren doch eigentlich ordentliche Leute, Stützen meiner Gesellschaft. Konzertverein, Kirchenvorstand, Tennisclub, die Kinder golfen und sind hier an der Uni, was wollten die denn ausserhalb? Eine Verschwörung? Er knetete missgünstig die Warze an seinem Kinn. Du Idiot, brüllte ich ihn an, die wollten doch nur auf den Antikmarkt nach Pfaffenhofen, die gehen trotzdem immer in die Kirche, nur eben an diesem Sonntag nicht, da gehen sie immer schon Samstag. Und Gott sah, dass das nun doch nicht so gut war. Deshalb setzte er inmitten der Stadt gegenüber dem Dom auch noch einen extrem teuren Antikhändler, der von nun an die reichen Spiesser nach dem Kirchgang anzog, und Gott sein Vernichtungswerk an den Fliehenden erheblich vereinfachte.



Und Gott sah, dass es gut gut .... gut ..... gute ..... Guten Morgen, gurrten die Tauben vor meinem Fenster, und die bayerische Sonne knallte vom reinbeissblauen Himmel. Ich hielt mich an der Damastdecke fest und zählte bis 10. Ich bin im Bett, es gibt keinen Gott, alles in Ordnung. Nur schlecht geträumt. Nur -- schlecht -- geträumt, das war alles nicht real. Gestern abend zu viel Tee getrunken, und vielleicht hätte ich nicht so viel an die alten Geschichten denken sollen, von denen die meisten längst stumm unter den dummen Grabsteinen der Provinz vermodern. Ich sollte mir nichts daraus machen, dass in meinem Haus Mörder wohnten, die Menschen nur deshalb vor dem Verbrennen retteten, um sie dann erdrosseln zu lassen und ihre Körper zu sezieren. Mengele war nicht wirklich einzigartig, zwei Stockwerke unter mir war das noch vor 300 Jahren eine gesellschaftlich legitimierte, gottgefällige Handlung.

Ich sollte nicht immer an sie und ihr Lachen denken, die gegenüber von meinem Haus in der Schule war, bis ihr die frommen Frauen dann sagten, dass sie im Abi durchgefallen ist und sich einen Dreck um die Folgen scherten, oder an die wenigen Lehrer, die etwas anderes als die typischen Psychopathen waren und sich deshalb umbrachten. Ich sollte vielleicht rausgehen, mich an der unzweifelhaften Schönheit der Stadt erfreuen, und nicht daran denken, dass hier das Fegefeuer ist, denn das gibt es doch gar nicht, und auch diesen Gott gibt es nicht. Alles nicht wahr. Sicher? Sicher. Ich zog mich an, ging hinunter und atmete die kalte, klare Luft ein. Alles wieder gut, Don? Alles wieder gut. Ich ging zwei Strassen weiter, und als ich an einer Passage vorbeikam, sah ich das:



Heute fahre ich nach Berlin. Nicht so schnell wie möglich, aber dennoch.

Freitag, 26. November 2004, 17:58, von donalphons | |comment

 
Die Hochhausspringerin hatte ein solch furchtbares Lachen, dass meine Mutter nach jedem Besuch von ihr sagte: "Die stirbt mal keines natürlichen Todes." Das war ihr im Mai 1988 dann ziemlich arg, meiner Mutter.

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Ich kann heute noch nicht an dem Tor vorbei gehen, ohne dass mir der kalte Hass hochkommt.

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Meine Herrn, es wird sowas von Zeit, dass Du wieder nach Berlin kommst.

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Ja, die letzten paar Tage waren etwas härter. Im Moment kommt vieles wieder hoch, die Geschichte holt mich ein, wenn ich mich nicht ab und zu umdrehe und ein paar Geister abknalle.

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Warum wir 'Gott' brauchen
Karl Kraus hat ebenfalls an Gott nicht geglaubt; er brauchte ihn ebenfalls aus dramaturgischen Gründen. "Gott" ist der Fluchtpunkt ästhetischer Konstruktion. Im "Dr. Faustus" hat Thomas Mann das durchdekliniert: Solange wir die Kunst brauchen, brauchen wir "Gott".

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Einmal nachgefragt
Einige Einträge früher hast Du Ludwig den Gebarteten als einen Consultant bezeichnet, der zu seiner Zeit mit seinen Ratschlägen ein ganzes Land an den Rand des Abgrunds gebracht hatte. Ich kenne den Gebarteten eigentlich nur als Bayernherzog, der einen Kaperkrieg auf der Donau um Salz etc. führte, viele Festungen baute und einige wieder schleifen musste. Was hat der Mann mit Frankreich, Beratung und Katastrophen zu tun?

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