Strassenkampfmann

So weit, so gut. Schreiben geht wieder, denken geht wieder, ich schlafe noch sehr viel und zu lang, aber alles kommt zurück zu den gewohnten Abläufen. Inzwischen ist es mir auch wieder etwas peinlich, wenn um 10 Uhr die Paketpost kommt, und ich immer noch im Bademantel stecke, Privileg des Unwohlseins und des Umstandes, nichts wirklich Sinnvolles tun zu können. Selbst für das Bilder- und Spiegelumhängetetris bräuchte man einen klaren Kopf.



Nichts Sinnvolles ist wohl auch das Motto in England. Mit etwas Pech schaffen es ein paar Tausend entfesselter Plünderer, eine Art Vorentscheidung der politischen Konflikte des kommenden Jahres durchzusetzen; für ein paar Klamotten und Elektroartikel wird der Mehrheit vorgeführt, wie das aussieht, wenn die Jugend revoltiert. Das kann auch ganz anders sein, das hat man in Ägypten, Israel und Barcelona gesehen - aber was immer in Italien, Ungarn und anderen Ländern kommen wird, die Polizeireaktion wird auf Londoner Verhältnisse abgestellt sein. Zum Schutze der unbescholtenen Bürger natürlich. Man hat ja gesehen, wo das endet. Und vermutlich haben wir in den nächsten Tagen auch die nächste Geistesblendgranate des Übels im Innenministerium, das versuchen wird, die Scharte mit der Onlineanonymität auszuwetzen: Das muss ein Ende haben, damit man auch hier eventuelle Gewalttäter identifizieren kann.



Was ich in London ganz erstaunlich finde: Die Stadt ist Vorreiter bei der Überwachung des öffentlichen Raumes mit Videokameras. Es gibt sogar einen TV-Sender mit Bildern der Überwachung. Weite Teile der Stadt sind komplett abgedeckt, mit Schichten privater und öffentlicher Beobachtung, und die besseren Regionen gelten deshalb auch als vergleichsweise sicher. Es hat niemanden abgehalten. Man hat sich an die Kameras gewöhnt, die Krawallmacher haben eine Antwort darauf gefunden - Kapuze, gleichförmige Kleidung, eine Masse - und schon ist die Überwachung nur noch so gut wie die Überwacher dahinter. Überfordert, oder auch demotiviert von den eigenen Arbeitsbedingungen. London ist voll von privaten Wachdiensten. Genutzt hat das nicht wirklich viel. Und im Vergleich zu dem, was in Paris geschah, waren in London gar nicht mal so viele Leute unterwegs.



Was da passiert ist, ist schlimm, aber wenn man das nur ein wenig weiter denkt, sind die Schlussfolgerungen gar nicht so angenehm. Mehr Polizei, mehr Wachdienste und mehr Kameras und Überwachung, das alles hatte man in London, es hat nicht funktioniert, wenn sich nur genug Gruppen zusammenrotten und sehen, dass das System überfordert ist. Viel gehört nicht dazu, in der reichen Hauptstadt eines grossen Landes. Wer einen typischen Samstag Abend in einer Innenstadt nahe einer Disco kennt, ist jetzt aber auch nicht sonderlich überrascht. Die Anlagen dazu sind längst vorhanden, auch bei uns.

Hoffen wir mal, dass sich andere eher an Barcelona und Tel Aviv orientieren. Und die andere Seite ein Einsehen hat, bevor es keinen Respekt vor dem Staat und der Gemeinschaft mehr gibt.

Mittwoch, 10. August 2011, 01:10, von donalphons | |comment

 
Zu den Ursachen der Krawalle ist ja schon viel richtiges geschrieben worden ( soziale Unterschiede, Schere geht weiter auf etc.)
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Was ist aber im das richtige Maß der Überwachung und des Einschreitens?
Soll man wegen ein paar brüllender Säufer in der oberbayrischen Altstadt gleich die Polzei rufen? Soll man nur einen Eimer Wasser rausschütten. Wann wird es gefährlich, ab wann muß man einschreiten, daß es kein Tottenham wird?
Es ist ein schwieriger Grenzgang.
Ich weiß es nicht.

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Seitdem es hier den ersten Toten gab, nachdem sich die Beteiligten zweimal in Lokalen und dreimal auf der Strasse über eine Stunde hinweg prügeln konnten (150 Meter von hier) bin ich da etwas kritisch. Einen anderen hätten sie am Busbahnhof beinahe umgebracht, 100 Meter von der Polizeihauptwache entfernt, vor laufenden Kameras. Bei uns (Vollbeschäftigung) hat das überhaupt nichts mit sozialer Schere zu tun, alle Täter und Opfer waren in Lohn und Brot. Nachdem ich ja öfters die Polizei rufe, kann ich nur das weitergeben, was die sagen: Früher reichte es, wenn sie gekommen sind. Heute kommen sie immer gleich zu sechst, weil sie damit rechnen, von mehr als einer Person angegriffen zu werden. Oft auch von allen Beteiligten einer Rauferei. Gründe? Alkohol, und eine Kultur der Gewalt.

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@don ferrando: It depends.

Der interessante Punkt ist das Sein, das das Bewusstsein schärft/trübt/sediert. Hier im brav-bürgerlichen Neuhausen-Nymphenburg endet das Straßenfest sonntags Punkt 22 Uhr. Weil die Feiernden ab Montagmorgen in der Frühe wieder Autos bauen, Software entwickeln, Gene manipulieren, Filme produzieren und Finanzierungen strukturieren müssen.

Andernorts braucht's dann eben die Nationalgarde, um den beschäftigungslosen, aber ähnlich vitalen Pöbel einzuhegen....

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@don alphonso: OK, das sollte nicht verharmlosend wirken. Aber biertrübe Schlägereienmit Todesfolge gehören z.B. schon in "Erfolg" zum konstituierenden Element bürgerlicher Erzählung.....

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@wohlwollendes-Übersehen
ich will Sie nicht falsch verstehen. In den Jugenderinnerungen des großen Bayern Thoma, den Lausbubengeschichten finden Sie viele sehr amüsante Dinge. Amüsant für den, der gesund davon kommt und für den Leser. Betroffen wollte ich nicht davon sein. Aber es gehört zur Natur des Menschen und wird sich immer wieder Bahn brechen. Wie die Auswirkungen begrenzt werden, das definiert unsere Gesellschaft. Ein Anruf bei der Polizei oder gar ein Einschreiten ist wirksamer als elektronische Dauerüberwachung für alle. Und für unsere Demokratie gesünder. Ich selbst bin aber kein Dominik Brunner. Allerhöchstens ein halber Brunner.

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Vielen Dank für einen Beitrag, der die Vorgänge als das beschreibt, was sie sind - keine politische Demonstration, sondern Menschen, die eindeutig keinen Anstand haben.

Allerdings machen sich viele nicht einmal mehr die Mühe, sich vor den Kameras zu schützen. Wenn manch sich die Bilder (CCTV, Journalisten, Privat) anschaut, zeigen die meisten Plünderer ihr Gesicht (manche protzen sogar mit ihrer Beute). Ich bin gespannt, ob (und was) sich in England jetzt ändern wird.

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Nichts wird sich in England ändern, der absonderliche Umgang mit dem Pöbel führte schliesslich zur Besiedlung Australiens und Karl M. hat nicht umsonst in London viele Ideen zum Manchesterkapitalismus aufgegriffen. Sich prügeln gehört in England zur Popkultur, das ist da echte Folklore wohingegen es bei uns im Dorf bei den diversen Stadtfesten recht friedlich abgeht und unsere Wohnlage mit der des geschätzten Gastgebers vergleichbar ist. (auch wenn hier bloß NRW ist)

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Es wird sich ganz sicher etwas ändern - die Frage ist nur, ob sich einfach nur Strafen verschärfen werden, oder ob man versuchen wird, ernsthaft Ursachen zu suchen und zu beseitigen. Die Unruhen, die durch rassistische Übergriffe der Met verursacht wurden, haben schließlich auch zu Änderungen im Polizeiwesen geführt.

Die bisherigen Unruhen hatten ja immer einen halbwegs nachvollziehbaren politischen Grund, aber das fehlt in diesem Fall fast vollständig - Turnschuhe, Plasmafernseher und Mittel gegen Durchfall lassen sich schlecht mit einem unterdrückten Proletariat erklären (es versuchen auch erstaunlich wenige).

Transportation ist ja leider keine Option mehr, obwohl man in Australien sieht, daß das recht gut funktionieren kann.

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Entscheidend ändert sich wohl wenig...
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Ein Feature im dlf (dradio.de) ging heute Nacht dieser Frage in den ban-lieus in Fr nach und kam zum Schluss: An den Verhältnissen hat sich kaum was geändert - keine Aussichten auf ein besseres Leben für die Einwohner.
In einem näher vorgestellten ban-lieu war das einzige was schnell und frisch wieder aufgebaut wurde, das Polizeigebäude.
Der maire meinte, sein ban-lieu (15km von Paris weg) sei eine Schande für diesen Staat - und er hätte alle Hände voll zu tun, den Deckel auf dem Topf zu halten... !

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http://wyborcza.pl/1,75248,10091486,Lodzianie_szturmuja_kantory__Nie_ma_juz_frankow_.html

andere form von "überfall" zumindest in Lodz werden die Franken in den Wechselstuben knapp, weil die günstigere Kurse anbieten als die Banken.

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Das Potential des Mobs, sich mal so richtig mächtig fühlen zu wollen und dem ganzen besseren Dreckvolk zu zeigen wo der Molli fliegt ist auch hierzulande mehr als gegeben. Ich möchte nicht wissen, was in Berlin los wäre, wenn Plündern und Brandschatzen en vogue würden und man sich via Facebook, Twitter und Hastenichjesehn aus lauter Belanglosigkeit zum gemeinschaftlichen Lungern mit Brand- und Todesfolge verabredete. Da brauchts nur einen gehirnbefreiten Idioten zu, der die Lawine lostritt und zehn weitere Vollpfosten, die mitmachen, und schon geht das los und dann hammwa den lustigen Karneval für Arme auch hier. Ich fürchte, wir können uns bei BBC World oder Sky News grad entspannt ansehen was uns demnächst ebenfalls blüht. Noch haben die Leute genug Butter auf der Stulle und der Knackpunkt ist noch nicht erreicht. Noch sindse nur heillos aggressiv und abgenervt. In Berlin fehlt nicht mehr wirklich viel. Ich weiß schon, warum ich gerade im Affentempo den Umzug aufs Land organisiere. Nicht, daß es da nicht ebenfalls knallen wird, aber ich habe die vage Hoffnung, daß es im ländlichen Umfeld etwas weniger drastisch abläuft als in den Ballungsräumen.

Und klar drehen die Herren und Damen in den hiesigen höheren Etagen jetzt durch und glauben mit hysterischem Kontrollwahn irgendwas zu erreichen. Es wird überhaupt nichts mehr nutzen. Man kann schwerlich Jahrzehnte gesellschaftlichen Abstiegs auf den letzten 5 Metern zurückdrehen.

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mhh wenn ich mich recht erinner gibts in Berlin doch sowas wie die maifestspiele ... sind leider dieses jahr ausgefallen - die ruhe vor dem sturm?
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wenn ich aber so mit dem rad durch die südlichen problembezirke ( NK+ nachbarbezirke ) fahre (und ich fahre da ziemlich viel) dann kann ich nirgendswo zusammenrottungen o.ä. beobachten. alles ruhig und friedlich - kann mich nichtmal an ne blöde situation erinnern in die ich dort geraten wäre. Wedding ist auch ein hort von ruhe und frieden.
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welches berlin meinen se frau jott?

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Früher
Ich habe mit meinem Sohn über das Thema gesprochen und versucht zu ergründen warum die Hemmschwelle derart gesunken ist. Vor 30 Jahren war eine Rauferei beendet, wenn einer der Kombatanten am Boden lag. Nachtreten galt als feig, und wurde geächtet bzw. kam nicht vor.
Einzig die bei uns stationierten englischen Soldaten missachteten diese Regel gründlich, was zur Folge hatte das man sie mied.
Das wir heute auf dem selben Level sind wie die Tommys kann nur an der fortschreitenden Verblödung liegen!
Alle anderen Erklärungsversuche sind gescheitert.

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tjor ich habs andersrum gemacht und mal meinen Vadder drauf angesprochen ... der hat beruflich den ganzen tag mit westprekariat zu tun ist eher der meinung es hätte sich alles deutlich entspannt. in seiner Dorfjugendzeit hätte es 1. viel öfter wemmse gegeben und 2. auch deutlich heftiger.
messer hatte jeder in der tasche, im zweifel wurden auch latten und Ketten organisiert (oder man hatte sie eh grad dabei).

i dont buy this "früher war alles besser" bullshit!

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gegen "gefühlte" bessere oder schlechtere Zeiten hilft die Kriminalstatistik!

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auch nur bedingt ... die von mir da angerissenen dinge sind mit sicherheit nie aktenkundig geworden und auch nicht sowas wie schusswaffeneinsatz gegen minderjährige obstdiebe ...

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@don alphonso
Kann es nicht auch sein, daß die Gründe in einer verlohren gegangenen Achtung vor Älteren, Eigentum anderer, den eigenen Eltern etc zu suchen sind? Dieser nennen wir es Respekt hat früher die Leute von derartigen Dingen zurückgehalten. Heute macht man halt hemmungslos, was man möchte. Was zählt ist die Befriedigung des eigenen Egos. Sonst nichts.

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@ chiton: Kann es sein?! Liebe Güte, hier in Berlin wird man von den Umstehenden ungeduldig dreist angepöbelt und/oder gleich rücksichtslos aus dem Weg geschoben wenn man älteren Herrschaften den Vortritt lassen will. Respekt ist ein Fremdwort. Ego ist alles. Es wurde den Leuten ja auch lange genug von allen Seiten in die nicht besonders hellen Köppe gedonnert. Also jetzt bitte nicht wundern, daß sich eine allseitige Verrohung und Egomanie breitgemacht hat, die einem den Angstschweiß hochtreiben kann ...

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kleiner realitätsabgleich berlin =| deutschland...

das die gesamtberliner mischpoke kein Benehmen hat ist ne Binse. da hat sich seit Kästner nicht viel geändert.
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btw hat sokrates nicht auch schon über die verlotterte jugend hergezogen ?
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die rollatorfraktion scheint zu allen zeiten die gleichen sorgen gequält zu haben.

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Jetzt-
lautet der Titel eines Buches von Eckhart Tolle.

Das ist hier die Frage: Was kann man jetzt gegen ausufernde Gewalt hervorgerufen durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen ? unternehmen. Der Verweis auf "früher war alles besser" ist dabei ebenso wenig zielführend wie ein "das war schon immer so".

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Respekt und Rücksicht
Man kann eigentlich nicht sagen, daß es den Engländern im allgemeinen daran mangelt. Die Leute sind in der Regel höflich, stehen an, drängeln nicht (interessanterweise nicht einmal, wenn man an einer Ampel nicht schnell genug weg kommt) etc. - es ist ja auch nur eine Minderheit, die sich hier daneben benimmt.

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Eigentum und dessen Verteilung ist das einzig Erwähnenswerte bzgl. der Ursachen.

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Biedermeierlösung
Meine neue Hausratversicherung greift jetzt auch bei Inneren Unruhen und Wertsachen sind ohne Aufschlag bis zur Versicherungssumme dabei.
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Keine Lösung des Gesamtproblems, ich weiß, aber eine virtuelle Beruhigungspille falls Herr Mob mal bei mir klingelt. Ob die Pille dann im Ernstfall tatsächlich wirkt, keene Ahnung.

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Kleine gegoogelte Liste:

1980: Miami Riots (Miami, Florida)
1980: Chattanooga Riot (Chattanooga, Tennessee)
1984: Lawrence, Massachusetts Race Riot: A small scale riot centered at the intersection of Haverhill and railroad streets between working class whites and Hispanics; several buildings were destroyed by Molotov cocktails; August 8, 1984.[46]
1990: Inglewood High School riot (Inglewood, California): A riot that broke out in front of the school between 30 Latinos and blacks after the black students leave the Cinco de Mayo day as revenge for running out on Black History Day.
1991: Crown Heights riot (Crown Heights neighborhood, Brooklyn, New York)
1992: Los Angeles Riots (Los Angeles, California): In a reaction to the acquittal of all LA police officers involved in the videotaped beating of Rodney King; riots broke out mainly involving black youths in the black neighborhoods and shop owners in Korean neighborhoods.
1996: St. Petersburg Riots (St. Petersburg, Florida): After Officer Jim Knight stopped 18 yr. old Tyron Lewis for speeding, his car lurched forward causing Knight to fire his weapon, fatally wounding the black teenager. Riots broke out and lasted for about 2 days.
2001: 2001 Cincinnati riots (Cincinnati, Ohio): In a reaction to the acquittal of Steven Roach after the fatal shooting of an unarmed young black male, Timothy Thomas, during a foot pursuit, riots broke out over the span of a few days.
2003: Benton Harbor riots (Benton Harbor, Michigan)
2005: 2005 Toledo Riot (Toledo, Ohio): A race riot that broke out after the Neo-Nazi protest marched through a black neighborhood.
2006: Fontana High School riot (Fontana, California): Riot involving about 500 Latino and black students[47]
2006: Prison Race Riots (California): A war between Latino and black prison gangs set off a series of riots across California[48][49]
2008: Locke High School riot[50] (Los Angeles, California)
2008: Hempstead High School riot (Hempstead, New York): Two days of fighting between Hispanic and black students.[51]
2009: 2009 Oakland Riots (Oakland, California): Peaceful protests turned into rioting after the fatal shooting of an unarmed black man, Oscar Grant, by a BART transit policeman.
2010: Hempstead High School riot (Hempstead, New York): A whole week Of fighting between Latinos and blacks.[citation needed]

Das sind nur Unruhen der neueren Zeit, die ganzen Rassenunruhen der 60ger und 70ger Jahre hab ich mal weggelassen. Da waren einige Riots drunter, dagegen sind London und Birmingham, so schlimm es für die betroffenen und verletzten Anwohner und Besitzer zerstörter, ausgeplünderter und niedergebrannter Geschäfte auch sein mag, aber auch die "ins Feuer geschickten Polizisten", Pfadfinder-Lagerfeuerchen mit Wattekugelwerfen.

Wenn die Riot-Pics jetzt nicht aus England gekommen wären, sondern bspw. aus Damaskus, dann hätten einzelne Kommentare hier wohl einen anderen Tenor gehabt.

Etwas irritiert.

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Die Romantisierung der Vergangenheit schreitet voran.

Der Volksaufstand war in der Kulturgeschichte des Menschen bisher das einzige wirksame Mittel für "entrechtete" (disenfranchised trifft es eigentlich besser) die Zustände wirksam und auf Dauer zu verändern.

Manche davon werden bis heute als "Aufstand der Gerechten" romantisiert und gefeiert (Sturm auf die Bastille z.B.) andere halt als "Aufstand des dummen, faulen und gewaltbereiten Pöbels" denunziert.

Hängt wohl auch davon ab ob man der mit Fackel und Mistgabel oder der auf dem Schafott ist.

Ich denke für die Bürger und die Aristokratie im Frankreich von 1789 war es klar was vom rebellierenden Pöbel zu halten war.

Die heute in Frankreich oder England protestieren sind schon die 3. oder 4. Generation für die sich kein Schwein interessiert, für die sich auch die nächsten dreissig Jahre kein Schwein interessiert hätte, hätte es die Krawalle nicht gegeben.

Aber sobald es halt um brennende Autos und Läden geht und nicht um gegen ein Schweineregime protestierende Araber, sondern um gegen eine andere Art von Schweinesystem protestierende Unterschichtler, hört für den Mittelschichtler der Spass auf.

"Die dürfen ja gerne protestieren aber bitte nur zwischen 9:00 Uhr und 18:00 Uhr, nicht lauter als 75 dB(A) und bitte keine Autos abfackeln oder sich gegen die Festnahme wehren".

Das sind Menschen für die sich in Mittel und Oberschicht seit 30 Jahren kein Schwein interessiert hat und denen man im Zuge der Sparmassnahmen nun als erstes das wenige was sie haben wegnimmt. Sie hatten keinen Vorteil als der Rest des Landes die virtuellen Gewinne der Finanzprodukte ausgegeben hat (noch nicht mal Bildung oder Jobs) und leiden jetzt als erstes unter den "Sparmassnahmen"

Außerdem machen die dass, was in jedem Thread zur Finanzkrise mindestens einmal gefordert wurde ("Geht auf die Strasse!". "Nacht der langen Messer" etc.)

Aber sobald es um den Mittelklassewagen geht hört halt der Spaß auf.

Außerdem sind die Menschen heute nicht wesentlich gewaltbereiter als früher. Früher gab es bei jedem Burschenvereinsfest in der bayerischen Provinz mehr Schwerverletzte (und im Mittel auch Tote) als bisher bei den "Aufständen" in England.

Damals waren es auch keine gewaltbereiten Ausländer sondern halt gewaltbereite Niederbayern die sich geschlägert haben (Maßkrug ins Gesicht geht schnell böse aus).

Das geht halt wie so vieles als "Brauchtum" durch.

Ganz im Ernst, das sich nach allem was in letzter Zeit passiert ist nur so wenig tut und in der Regel "relativ" friedlich ist absolut erstaunlich.

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Ich glaube nicht, daß sich niemand für die Menschen interessiert hat - man hat sie aber vielleicht nicht genug "gefordert". Das Sozialsystem hat ja viele derer, die jetzt unterwegs sind, einigermaßen gut versorgt mit Wohnung, Essen, medizinischer Versorgung etc (es geht mir hier weniger um das Niveau der entsprechenden Versorgung, sondern darum, daß es hier nicht um Menschen geht, die hungern müssen oder obdachlos sind). Allerdings hat man damit die Menschen auch aufgegeben, weil man keinerlei Forderungen gestellt hat. In England kann man wegen Fehlverhalten von der Schule fliegen - und dann? Dann gibt es Geld vom Staat und vielleicht den einen oder anderen Sozialarbeiter, aber man ist in der Regel froh, diese Problemfälle losgeworden zu sein.

Vielleicht wäre es besser, wenn man eben doch mehr gefordert hätte - auf der Schule, oder auch im späteren Leben, um zu zeigen, daß man mit Leistung und dem entsprechenden Willen auch etwas erreichen kann (Beispiele dafür gibt es ja viele). Aber für viele derer, die jetzt auf die Straße gehen, scheint das Leben einfach ohne jegliche Perspektive, und sie kommen auch nicht auf die Idee, daran etwas zu ändern.

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Was Sie sagen, gux. Ich vermute, um Perspektive und deren Änderung steht es eher noch schlimmer: Es wären zwar allerhand Unterstützungs- und Förderprogramme da, es fehlt den Leuten aber am Willen, selbst etwas beizutragen.
(Um die Jahrtausendwende lebte ich einige Zeit in London und hatte engen Kontakt zu Leuten, die sich beruflich und ehrenamtlich um "Angehörige der benachteiligten Schichten" kümmerten. Dadurch kam ich auch in Kontakt mit entsprechenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie stammten in der Regel aus Familien, die in zweiter, dritter oder vierter Generation Sozialhilfe bezogen. Wirtschaftlich ging es ihnen deutlich besser als vielen Erwerbstätigen, sie waren immer nach der neusten Mode gekleidet, besaßen jede erdenkliche Unterhaltungselektronik, leisteten sich regelmäßige Sauftouren, Markenzigaretten und illegale Drogen, und stand ihnen der Sinn nach einer eigenen Wohnung, so zeugten sie ein Kind. So etwas wie Bildung oder (legale) Erwerbstätigkeit lehnten sie explizit ab, das sei etwas für Dumme. Allenfalls eine Karriere als Model, Schauspieler oder Pop-Sänger wäre in Frage gekommen, da werde man auf der Straße entdeckt und gleich berühmt.)

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A propos Perspektive: Falls jemand von Ihnen jemandem zu einer Perspektive verhelfen möchte, der seine durch die Krawalle verloren hat:

http://keepaaroncutting.blogspot.com

(Sie haben vielleicht das Foto des alten Herrn gesehen, der seinen verwüsteten Friseursalon begutachtet? Für ihn wurde diese Seite eingerichtet. Er arbeitete nicht aus lauter Spaß noch mit 89.)

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Herrjemine, ich habe zwar keinen direkten Kontakt zu solchen Leuten, allerdings sehe ich den Aufwand, der betrieben wird, um so 'social equality' herzustellen. Und mehr als 10 Jahre New Labour haben anscheinend überhaupt nichts gebracht (obwohl das ja eines der Hauptziele von Blair war).

Die Möglichkeiten, die sich den jungen Leuten bieten, sind ja nicht so schlecht, wie man es in diversen Medien (interessanterweise ist SPON hier ganz vorne) hört. Sicher, die Studiengebühren sind abschreckend, allerdings werden sie erst nach dem Studium fällig, wenn man mehr als 21,000 GBP verdient; und für Studenten aus sozial schwachen gebieten gibt es Fördermittel. Hochschulen müssen ja auch zeigen, daß sie benachteiligte Studenten unterstützen (und gerade Oxbridge macht das auch - deren Problem ist, daß sich nicht genug qualifizierte Schüler bewerben).

Daher denke ich, daß das Problem vielleicht eine "kostenlos-Kultur" ist, in der Leistung ohne Gegenleistung erbracht wird.


(Zu dem Friseursalon: ja, das Bild habe ich gesehen - auch das von anderen Geschäften, die geplündert oder einfach nur verwüstet wurden, zum Teil ganz in der Gegend von London, die ich ganz gut kenne. Wenn man solche Bilder sieht, dann fehlt ein wenig das Verständnis für diejenigen, die hier durch die Straßen gezogen sind. )

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Nachtrag:

In diesem Fall dürfte es sich wohl kaum um eine benachteiligte Randgruppe handeln:

http://www.telegraph.co.uk/news/uknews/crime/8694655/UK-riots-grammar-school-girl-is-accused-of-theft.html

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Einerseits mag ich diese Art des englischen Prangers gar nicht.

Andererseits macht Gelegenheit sicher Diebe.

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Ich hätte gerne einen Artikel ohne Bild und Namen verwendet, allerdings habe ich keinen gefunden.

Den Pranger kann man nicht mehr verhindern - und ich denke, das wußten auch diejenigen, die unterwegs waren. Und manche werden die veröffentlichen Bilder wahrscheinlich sogar als eine Art Trophäe betrachten.

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"My name is **** ****, a sixth form student studying English literature, classical civilisation"
. Classical civilisation als Studienfach und dann beteiligt an Plünderungen.
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Irgendetwas passt da nicht mehr zusammen.

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Da passen nur unsere Vorurteile nicht mit der Wirklichkeit zusammen. Ansonsten passt da alles.

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Sie meinen, es sei ein Vorurteil anzunehmen, daß das belegte Studienfach Einfluß auf die Persönlichkeit des Studierenden nähme oder umgekehrt, daß die Persönlichkeit Einfluß auf die Studienwahl nimmt?

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Vielleicht besteht das Vorurteil eher gegenüber der "Classical Civilisation"? Die Antike zählt ja nicht unbedingt zu den Zeiten, in denen Gewalt und Plünderungen unbekannt gewesen wären.

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Gux, böse Zungen behaupten ja, das Neue an Labour bestehe im Thatcherismus. -- Ernsthaft: Mir fällt kein anderes europäisches Land ein, in dem es eine solche Vielfalt an Bemühungen gibt, Leuten gleiche Chancen auf Bildung zu ermöglichen: Die diversen Programme der Hochschulen, die Open University, Alphabetisierungs-, Nachschulungs- und Vorbereitungskurse, Berufsleute und Wissenschaftler, die sich in ihrer Freizeit um junge Leute aus bildungsfernen Schichten bemühen, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen, die Stipendien gewähren, Lehrmittel und/oder Lernplätze zur Verfügung stellen, etc. pp.

Das kann zu beachtlichen Ergebnissen führen. Besonders beeindruckt hat mich ein Mädchen aus sehr ungünstigen Verhältnissen, das sich mit sechzehn entschloss, doch noch lesen und schreiben zu lernen, danach im Eiltempo ihre anderen Lücken schloss und heute mit Begeisterung Mathematik studiert. Ich weiß nicht, ob ihr dies in einem anderen Land möglich gewesen wäre.

Die "Kostenlos-Kultur" im Sinne von "weshalb sollte ich mich anstrengen, wenn ich auch so alles erhalte" ist allerdings eine Knacknuss. Was soll man konkret tun, wenn jemand jegliche Gegenleistung verweigert? Hartnäckig? Auch solche Menschen kann man ja schlecht in das Elend sinken lassen, das vor der Erfindung des Wohlfahrtsstaates üblich war. Kürzt man die Leistungen generell, auf dass das Auffangnetz unbequemer werde, träfe es auch Leute, für die das Netz gedacht ist: diejenigen, die bei bestem Willen nicht in der Lage sind, eine Gegenleistung zu erbringen, für die eine Nachfrage besteht.

Was die Randalierenden betrifft, egal aus welcher Schicht, wäre es vielleicht ratsam, sie erfahren zu lassen, dass inakzeptables Verhalten unangenehme Konsequenzen hat. Am besten möglichst zeitnah (ohgott, jetzt habe ich dieses Wort auch verwendet), damit sie den Zusammenhang auch herstellen.

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Nachdem jetzt mehr Informationen über diejenigen bekannt werden, die vor dem Magistrate waren (der Guardian hat dazu eine detaillierte Webseite), scheint klar zu werden, daß eine tiefergehende Ursachenforschung wahrscheinlich gar nicht möglich ist; es sind eben nicht nur die "downtrodden masses".


Das Problem, ein Sozialsystem gerecht und sinnvoll zu gestalten, hat vermutlich keine einfache Lösung; vermutlich konnte man sich bei der Einführung auch nicht vorstellen, daß Menschen sich freiwillig ausschließlich auf Sozialleistungen verlassen würden. Jetzt gibt es ja Pläne, sowohl Sozialleistungen als auch Sozialwohnungen denjenigen zu streichen, die an den Krawallen teilgenommen haben - das klingt vielleicht auf den ersten Blick vernünftig, aber was ist dann das Ergebnis?

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"Was die Randalierenden betrifft ..."

Die wissen schon, was für Konsequenzen ihr Handeln hat. Es ist ihnen aber egal, da sie der Meinung sind, dass sie eh keine Chance auf ein "gutes" Leben haben, ob jetzt mit Vorstrafen oder ohne. Mit Vorstrafen haben sie wenigstens die Aufnahmeprüfung für eine kriminelle Laufbahn geschafft und werden diese auch mehr oder minder zielstrebig weiterverfolgen.

Die traditionellen Mechanismen von Sünde, Strafe und Reue greifen hier nicht, es ändet sich nichts, es verhärtet nur die Fronten.

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gux, eine, äh, tolle Idee. – Meine wäre allerdings kaum praktikabler: Aufräum- und Wiederaufbaudienst. Dann hätten sie wenigstens einen Teil des Schadens ausgeglichen und einmal etwas Konstruktives getan. Denjenigen, die den Dienst verweigern oder nur bummeln, könnte man als Alternative einen längeren Entzug sämtlicher Unterhaltungsmedien anbieten. (Gegen ersteres spricht natürlich die Zeit – man kann ja die Straßen und Häuser nicht verwüstet lassen, bis die Prozesse vorüber sind – und gegen beides die Schwierigkeit, geeignetes Aufsichtspersonal zu finden.)

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diamantspeerspitze, ein Mangel an Aussicht auf ein gutes Leben mag ja in manchen Fällen die Plünderungen erklären. Aber das Zusammenschlagen und Totfahren von Menschen, das Ausrauben eines Verletzten, das Abfackeln von Wohnhäusern?

Die Geschichte von Reue und Besserung durch Strafe, so fürchte ich, ist ein recht gut widerlegter Wunschglaube. Dass die subjektive Bewertung der möglichen Konsequenzen eine Rolle spielt, vermute allerdings auch ich. Die meisten wird man ja nicht erwischen. Geht man von den Sanktionen bei früheren Krawallen aus, werden die anderen wohl mit Hausarrest oder kürzeren Haftstrafen davonkommen, die zum ersten Mal Erwischten ohnehin auf Bewährung. Das Verbot, andere mutwillig zu schädigen, läßt sich also ohne deutlich negative Konsequenzen brechen. Mehr noch: das bringt sogar Vorteile (materiellen Gewinn, Thrill, Rebellenstatus, Aufmerksamkeit). Belohnt wird also nicht das anständige Verhalten, sondern das unanständige.

Das ist ein Problem, denn gemäß diverser Studien halten sich viele Menschen eher aus opportunistischen Gründen an Normen denn aus der Einsicht, dass man anderen nicht zufügt, was man selbst nicht erfahren mag. Sinkt die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit negativer Sanktionen, dürfte bei diesen Leuten auch die Hemmschwelle sinken, sich bei Gelegenheit ebenfalls Belohnung zu holen.

(Natürlich sind die opportunistischen Gründe das eigentliche Problem. Bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen, und um die geht es im Fall dieser Krawalle ja vorwiegend, lässt sich das aber nur noch selten dauerhaft in Richtung "das füg' auch keinem andern zu" beinflussen.)

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Sehnen-Erkrankungen durch Antibiotika

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2001/0502/wissenschaft/0239/index.html

(Torte ist so magnesiumarm, oder gibt´s Vollkorntorte?)

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