An der digitalen Stanzmaschine

Manche Dinge gehen nicht einfach so an mir vorbei.





Da ist einmal die Erkenntnis, dass mit ein paar falschen Entscheidungen und Verhaltensweisen das Leben doch eine recht fragile Sache sein kann. Ohne jetzt in den allgemeinen Schlankheitswahn verfallen zu wollen: Der Umstand, dass Alkohol, Nikotin und Drogen nicht zu meinen Erfahrungen gehören, berechtigt mich nicht, andernorts die Zügel schleifen zu lassen. Es muss sein. Jeden Tag ein wenig zumindest. Es fallen mir gerade zu viele vom Stangerl, als dass ich das ignorieren könnte. Manche kriechen danach weiter, andere nicht. Das gibt zu denken, und ich fetze doch so gerne, selbst wenn es weh tut.





Die andere Sache ist komplexer, nimmt aber dort ihren Ausgang. Man muss ja nicht gleich tot vom Stangerl fallen. Über das Internet hat man einen guten Vergleich, wie die anderen nach 3, 5 oder 7 Jahren so aussehen. Da gibt es solche und solche. Manche möchte man eigentlich gar nicht sehen, aber wenn es dann wieder soweit ist - ich glaube, man tut denen nicht unrecht, wenn man sagt, diese Siffexistenz in Berlin ist nicht gerade dem Äusserlichen förderlich. Die kommen ja auch gar nicht raus, die leben Jahr und Tag in Abgasen und Dauerstress. Das schlägt sich dann eben heftig nieder.





Hier bei uns tragen die Bäume so viel, dass sie gestützt werden müssen. Sonst würden die Arme unter der Last abbrechen. Dieser Überfluss, diese Freizügigkeit bis zur Selbstaufgabe, diese Lust an der Hingabe ist etwas, das ich sehr schätze. In so einem Baum ist mehr Lebensfreude als in Dutzenden von Existenzen, die sich irgendwie digitalen. Vieles würde ich gar nicht lesen, wäre es nicht leider, leider, inzwischen auch durch meine Tätigkeit bedingt: Meine Befürchtung ist, dass das Digitale die Menschen oft etwas bipolar stört. Einerseits der Glaube, dass sie alles im Griff haben und besser als die anderen. Abgeleitet das Versagen, wenn sie wirklich mal das tun müssten, was sie anderen immer gerne predigen. Und dann auf der anderen Seite die dumpfe Ahnung, dass sie die 10 Jahre in diesem Hamsterrad nirgendwohin gebracht haben. Schnell zu Googleplus, da ist was Neues, nicht nachdenken, das wäre jetzt nur schädlich. Dürre Äste, Aber gestützt werden müssen sie trotzdem.





Neben dem Missvergnügen, ab und zu dann die Ergebnisse lesen zu müssen und sich zu denken - Mann, bitte, halt in Zukunft bitte Dein Maul wenn es um Medienwandel geht, red nicht von Problemen, die Du siehst, aber für die Du selbst keine Lösung hast - ist da auch der Wunsch, mit denen nicht in Verbindung gebracht zu werden. Das ist ein wenig so wie mit den Toten, da sagen manche, den und den hast Du doch auch gekannt. Sicher. Aber ich sass nicht nächtelang in Kneipen und ich hatte auch noch was anderes als Internet und das Leben an so einem Sommertag ist grandios, und besser als alles, was ich im Netz sah und gehört habe, ist die kommende Ernte.





Denn ich kenne die kleinen Strassen und Wege, ich fliege durch Wiesen und Äcker und tauche dann schnell in Pfade hinein, die zu den vergessenen Streuobstwiesen führen. Früher standen an den Strassen all die Zwetschgen und Mirabellen, und manchmal sind sie da immer noch, nur ein wenig verdeckt von anderem Grün. Der Trick ist: Man muss hinter die Hecken schauen. 2011 wird ein grandioses Apfelstrudeljahr. Aber dann, bitte, man schaue sich um im Netz und überlege: Wie viele von denen können so etwas Simples wie einen Datschi machen, wie viele reden über Funktionen sozialer Netzwerke und haben niemand, der für sie backen würde. Das ist, mit Verlaub, nicht meine Welt. Die nutzen nur eine Software wie ich auch.





Und fahren damit zur Hölle. Wenn man sie fragen würde, was hast Du vor 4 Tagen alles im Netz erlebt und was war Dein Leben mehr - sie könnten es nicht sagen. Ich kenne all die Theorien von der Verblödung und Überlastung - das eigentliche Problem ist aber das, was bei Googleplus drübersteht, der Stream, der Fluss, die Timeline, das Vollstopfen von Zeit mit Ersatzgeschehnissen anderer Leute, die auch nichts erleben, die sich ständig neu füllende Jauchegrube des Netzstroms, hier Bilder von jemandem, der etweas verlinkt, was ein anderer mal tat, dort ein Video, das etwas zeigt, das man nie erlebt, Kadaver in der Suppe auf dem Weg ins Nirgendwo. Manche sterben. Andere leben nicht. Und sagen, dass die Toten in ihrer Timeline fehlen werden. Wenn das alles ist, muss das echt ein miserables Vegetieren sein.





Ich habe Mirabellen gepflückt und gleich gegessen. Ich habe geschwitzt und geächzt, ich habe eine Bremse erschlagen und am Abend, viel zu spät, Käsknödel mit Pfifferlingen gekocht. Wenn einer stirbt, ist es ein Schock. Aber wenn man dann die Kadaver im Stream sieht, ist es ein Würgreiz. Ich bin im Netz, ich kann damit umgehen, wie ich auch mit dem Alter und seinen Folgen umgehen kann, aber es kostet schon ein wenig Überwindung, nicht ab und an zu sagen, wie grauslig ich das finde, was aus manchen geworden ist. Andererseits, warum sollte es dem Netzproll anders als dem Proleten an der Stanzmaschine gehen.

(Edit 1: Hatte hier einen besonderen Stalker an der Backe und musste zwecks Dokumentation erst mal die Kommentare schliessen. Pech gehabt, Freundchen. Hab Dich.)

(Edit 2: Munition gesammelt, jetzt geht es wieder.)

Sonntag, 14. August 2011, 01:19, von donalphons | |comment

 
der prolet an der stanzmaschine arbeitet an deinem kofferraumdeckel - wollte ich nur zu bedenken geben.

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Prolet im Sinne von Proletarier.

Arbeiter horch, sie ziehn ins Feld
Und schreien für Nation und Rasse!
Das ist der Krieg der Herrscher der Welt
Gegen die Arbeiterklasse.
Denn der Angriff gegen die Sowjetunion
Ist der Stoß ins Herz der Revolution!
Und der Krieg der jetzt durch die Länder geht,
Ist der Krieg gegen dich, Prolet!

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Nun, wir gehen hier fast jeden Tag spazieren, meine Frau pflückt unterwegs Äpfel, Brombeeren; ein paar Reinetten schenkte uns eine erntende Frau hinterm Zaun, dann gehen wir lange zwischen Kirschbäumen; andertags entdecken wir - tatsächliche hinter Hecken und Unkraut - eine verlassene Obstplantage (Äpfel, Birnen, Kirschen) ... Man sieht auf Weiden: Pferde, Rinder, ja sogar Schottische "Highland Cattle", Schafe, Ziegen, Schweine...
...und jetzt kommt's: das alles in und am Rand von Berlin. Denn, ich sag's gerne wieder: Es gibt mehr in Berlin als die paar Straßen und schmuddlige Leute, die der Don anno dunnemals kennengelernt hat und die's ja immer noch gibt. Aber es gibt auch anderes.
Leider stören beim Spazierengehen auf oft engen Wegen in Wiesen, Wald und an Feldrändern nur zwei Dinge: Köter und (sorry:) Radfahrer.

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Dreimal Eugen Roth: zur freien Auswahl
Zur bayrischen Prosa etwas bayrische Lyrik .
Weil ich mich nicht entscheiden kann, welches Gedicht von Eugen Roth besser passt, folgen drei Stücke zur freien Auswahl.

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Ein Mensch, der spürt, wenn auch verschwommen,
er müsste sich genau genommen,
im Grunde seines Herzens schämen,
zieht vor, es nicht genau zu nehmen.

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Ein Mensch erblickt das Licht der Welt.
Doch oft hat sich herausgestellt,
nach manchem trüb verbrachten Jahr,
dass dies der einz‘ge Lichtblick war.

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Zu pflanzen einen schönen Baum
braucht‘s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er - bedenk‘ es - ein Jahrhundert.

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Dem letzten der dreien kann ich voll zustimmen. Das schönste an unserem Grundstück sind zwei uralte Birnbäume, welche wir Gott sei Dank vor dem Hausbau nicht gerodet haben (obwohl meine Frau schon den geplanten Schnitt am Stamm des einen markiert hat!) - und zwar das ganze Jahr über: im Frühjahr der erstaunlich kräftige Neuaustrieb, im Sommer der angenehme Schatten, im Herbst der Geschmack der Früchte und im Winter der Anblick knorriger Äste.

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"eine Bremse erschlagen"
Da saß ich eben einen Moment lang auf dem Bremszug der Leitung und fragte mich ernsthaft: eine Chorus oder eine Dura-Ace? ;-)

Man kann den Wert eines solchen Ausgleichssports an der frischen Luft gar nicht hoch genug veranschlagen, das merke ich selbst auch immer wieder. Nicht nur für die körperliche Fitness, sondern auch nicht zuletzt für die geistige Gesundheit ist es wichtig, aus dieser digitalen Blase mit ihren Surrogaten von Echtleben immer wieder rauszukommen, Sonne zu tanken, an ergiebigen Brombeerhecken herumzuzupfen und sich an der Bewegung zu erfreuen. Am Straßenrand wetteifern die spätblühenden Blümlein mit frühverblichenen Kaninchen und Igeln um die Aufmerksamkeit, und beides gemahnt uns an die Vergänglichkeit des Daseins und daran, dass es Wege gibt, die man ohne seine Follower und ohne ein mentales Exoskelett zurücklegen muss.

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Mark, da haben Sie mehr als recht.
Seit ich vor einem Monat aus der Toskana zurück bin, saß ich zuviel am Schreibtisch ( mußte eine Arbeit abgeben) und dann wegen einer schweren Erkältung lag ich zuviel auf dem Diwan. Ergebnis Hexenschuß und auch leeres Hirn.
Wäre ich nur ein wenig gewandert oder geradelt, wäre mir das erspart geblieben.

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"wie viele reden über Funktionen sozialer Netzwerke und haben niemand, der für sie backen würde."
.
Was wahrscheinlich noch schlimmer ist, daß sie nicht einmal jemanden haben f ü r den sie backen können !

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was hat den hausherren denn so an der moderaten Pöbelei gestört? es mag etwas frech gewesen sein, aber es entbehrte ja auch nicht jedweder grundlage oder hab ich irgendwo strafrechtlich relevante Einlassungen übersehen ?

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Die Spielerei mit Identitäten vor dem Hintergrund, dass manche meiner Kommentare sinnentstellend sehr schnell weitergeleitet werden. Ich möchte die FAZ hier gerne komplett draussen halten. Ich will das hier auch nicht weiter vertiefen, die Person bekommt das, was sie braucht, und dann ist hoffentlich alles ok.

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Wow.
Wo ist dieses schöne ferne Land, hinter den sieben Bergen.
Dort wo es noch einen Sommer gibt?

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Oberbayerischer Jura zwischen Neuburg, Bergen und Dünzlau. Sehr unterschätzt als Region.

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Klage in Bike Moll
Ob die Kette an deinem vorzüglich geputzten Rad wirklich noch okay ist, kann man ja schnell testen. Mein erster Eindruck war, dass die Zeit für einen Tausch gekommen sein könnte. Bei den Ritzeln allerdings: Die kosten ja nun wirklich nicht viel Geld, und überfällig sind einige davon ja nun wirklich.

(echte Kleinigkeiten, ich bin neidisch, denn ansonsten treibt mich gerade größerer Fahrradkummer um: Gestern brachte ein Fahrfehler mehrere Speichen zum Reißen, dann entdeckte ich anschließend auch noch an meinem Lieblingsrad das Werk von einem Motorradvandalen, der Lust an der Deformierung von Vorderrädern hatte, und zu allem Überfluss, heute, habe ich bei eben jenem Lieblingsrad eine Dreigangschaltung halb zerstört beim falsch herum rausdrehen des Kettenzugs und beklage - großer Jammer - dazu seit heute ein defektes E-Bike-Akku, dass die im Norden ausdauernden Regengüsse mit promptem Selbstmord kommentierte )

Ach!

Und dann scheint in Süddeutschland auch noch die Sonne.

(und ab)

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