Des Monstrums Zeitschleife

1873 - Weil nur das Beste gut genug ist, lässt der Clan bei einer Hochzeit die imposanteste Neorenaissance-Kommode mit Marmor, geflammten westindischen Mahagoni und üppigstem Spiegelaufsatz, die sie in bekommen kann, entwerfen und schreinern, und stellt sie in meine jetzige Wohnung. Laut der Legende Besuche, Neid und grosses Abkotzen aller anderen grossen Clans der Stadt. Keiner sonst hat solche riesigen Muschelornamente, Kugeleinsätze, Säulen, etc..

1972 - Meine Mutter will die Kommode, das "Monstrum" beim Umräumen des Hauses wegwerfen, Widerstand meiner Grossmutter, Abtransport in den Speicher.

1994 - der Dachstuhl wird neu eingedeckt. Meine Mutter versucht dabei erneut, die Kommode wegzuwerfen. Erbitterter Widerstand meinerseits, der in der Katastrophe für meine Mutter endet: Vom Sperrmüll aufgelesen, bringe ich sie zu meinen Eltern in den Abstellraum. Grosses Hallo und Familienkrise.

2006, Frühjahr - Ich erwähne, dass ich das Monstrum jetzt für meine neue Wohnung brauche. Erbitterter Widerstand meiner Mutter, die inzwischen einsieht, wie praktisch das Ding ist. Ausserdem ist inzwischen das Ausgabenbuch der Familie aufgetaucht, dem zufolge das Monstrum damals so viel gekostet hat, wie heute in etwa ein Kleinwagen - italinischer Marmor und Mahagoni aus der Karibik waren damals halt teuer.

2006, 29. August - Ich hole das Monstrum gegen alle Ausreden und Ausflüchte meiner Mutter - sie habe es gerettet, es passe doch gar nicht, es sei viel zu schwer, ich solle doch noch warten - ab und stelle es dorthin, wo man schon 1873 eine Tür vermauert hat, um es dort hinstellen zu können.

Soviel zu den ersten 133 Jahren des Monstrums. Ich glaube, es grinst gerade mit seinem Marmormaul.

Dienstag, 29. August 2006, 15:40, von donalphons | |comment

 
Gibt es Bilder vom Biest???

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Ja. Aber. Es ist halt. Hm.

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Auf die Knie und winselt um Gnade!
Hier ist das Monstrum, nach 34 Jahren wieder aus dem Schlaf erwacht.



Das, meine Freunde, ist ein Möbelstück. Alles zusammen locker 110 Kilo, 2,45 Meter hoch und Massivholz und Stein. Alles andere ist nur Sperrmüll aus der Kiste.

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Elegant ist das nicht. Bei uns nannte man das nicht Kommode, sondern Waschtisch. Die Leuchterdekoration ist somit nicht ganz stilecht: auf den Marmor gehört eine Wasserkanne mit Schüssel, oben darf dann ein einzelner Kerzenständer stehen.

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Woschgommod sagt man hier bei uns dazu, um die Aussprache gleich mitzuliefern. Und elegant... das ist nicht wirklich das Thema. Als ich noch ganz ganz klein war, war das das erste Möbelstück, das ich toll fand, und mein Papa musste mich hochheben, damit ich die Kugeln abbauen und anschauen konnte. Und ich wusste: irgendwann wird es mir gehören. Heute ist dieser Tag.

Auf der Kommode stand, so ist es überliefert, immer ein Paar Leuchter. Einer zum stehen bleiben und ein anderer, um auf den Abtritt zu kommen. Meine Grossmutter hatte nämlich Angst vor der weissen Frau und wollte als Kind so viel Licht wie möglich.

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In der Tat. Die meisten dieser Kugelaufsätze sitzen nach einem Halbjahrhundert recht lose in den Zapfen und sind dann auch das erste, was verloren geht. Umso mehr kannst du dich freuen, dass das Trumm noch komplett ist. Herzlichen Glückwunsch!

Und wenn ich schon beim Gratulieren bin, wann werden eigentlich die Törtchen reingetragen?

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Morgen dann. Ich bin zwar unterwegs, aber egal.

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Und so wird aus dem Sigmar Gabriel der Möbelstücke (seinerzeit teuer, klumpig, und kurz danach leicht peinlich, wird hin- und hergeschoben, aber keiner ringt sich zur Entsorgung durch) nach nicht einmal 150 Jahren ein gesuchter Gegenstand .

Merke : die Zeit heilt alle Wunden, ist aber ein schlechter Kosmetiker .

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Es ist weitaus besser verarbeitet. Was soll´s, es war halt die Zeit. Und in 100 Jahren schauen wir nochmal, was dann noch existiert: Das Monstrum mit seinen 50 Kilo Marmor oder der Ikea-Ramsch.

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Eindeutig das Monstrum. Wenn nicht die Erben den Verwerter gerufen haben sollten und das Monstrum im Jahre 2106 neben anderen Trouvallien in spe in der Bergmannstrasse auf neue Besitzer wartet. Und die Erben in knuddeligen Ikea-Möbeln wohnen, die so schick-lifestylig heissen wie die Kinder, die sie darauf gezeugt haben.

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Die Hand soll ihnen abfallen, die Eier verdorren und das gekröse faulen, ich verfluche sie ins 10 Glied, alles sollen sie verlieren und unter Brücken hausen, wenn sie das tun.

fast so schlimm wie karnickeln auf ikea

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So ein niedliches Möbelstück nennst Du Monstrum?
Halte den Kleiderschrank meiner Mutter zu Ehren, eine Dritteltonne schwer, 2,50 m hoch, 3,70 breit und sogar eine kugelsichere Zuflucht (Türen aus 10 cm deutscher Eiche). Und Marmor ist was für Weicheier. Granit, Phyllit, Hornblendegesteine, das ist Hartstein!

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Ich habe es heute 2 Stockwerke hochgeschleppt und bleibe bei meiner Analyse. Nur weil es verschnörkelt ist, ist es noch lange nicht magersüchtig.

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Allein? 50 Kg +40 Kg +25 Kg! Mit derartigen Aktionen erledigt sich der Besuch eines Fitnessstudios. Deutlich wird auch, dass übergroßer Wohlstand eine Last ist.

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Bilder! Ich will Bilder sehen!

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Von was? Wie ich schleppe? Details?

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Gut so?


Die Beschläge sind in echt noch viel aufwendiger. Der Spiegel ist geschliffen. Und in den Säulen ist von dorisch über rustico bis korinthisch alles vereint.

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Ouhhh...aber nicht schlecht. Übelmeinende würden von Möbelkrebs sprechen, aber ich gehöre, wie Du weißt, zu den Wohlmeinenden, welche auch den Wolpertingern unter den Einrichtungsgegenständen noch ihre guten Seiten abzugewinnen in der Lage sind. Sieht aber nach Rückenschmerzen aus.

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Geschichte haben bedeutet, mit seinen Fehlern und denen des Clans leben zu können. Natürlich hätte man damals für das Geld ein Rokoko-Schloss leerkaufen können, aber wer wäre ich, der ich sicher schon zigtausende in Benzin verbrannt habe, dass ich darüber richten könnte?

Es ist der Ausdruck, der wirklich umfassende Ausdruck einer Zeit und einer Haltung. Die Haltung war ganz sicher nicht die richtige, aber das konnte niemand wissen. Wenigstens blieb es erhalten. Es ist keine perfekte Geschichte, aber es ist wenigstens eine Geschichte.

Und was haben andere?

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Ihre eigenen Geschichten, Don. Die nicht so handgreiflich sind, und aus flüchtigerem Stoff, und die man gern erfahren würde, bevor sie endgültig verschwinden, aber meistens erzählt sie einem keiner, und das ist schade.

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Nun, das hängt wohl ganz von der Erzählfreude der Verwandtschaft ab. Und inwieweit man in der Lage ist, dazu zu stehen. Ich erinnere nur an diesen Teppich. Der liegt jetzt vor der Waschkommode.

Die Erzählungen aus der Glotze und der Populärkultur haben Geschichte marginalisiert. Sie schimmelt in irgendwelchen Dachböden, sie ist das schlechte Gewissen, das man verdrängt mit Hochglanzvirtualitäten, und am Ende landet die Zeitkapsel auf dem Müll. Es ist mein Glück, dass diese Haltung bereits mit meinen Eltern so einigermassen durchlebt wurde, ich bin schon wieder die nächste Generation. Keine Glotze ist die Zukunft, hoffe ich, und Geschichten erzählen. Ohne Rücksichten.

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ist bloss mal so ein gedanke,

aber, angenommen, man wollte etwas haben, das einen überdauert, das in künftigen generationen noch auf einen hinweist.

da wäre die alternative zu haus bauen (ist bis dahin lange verkauft) buch schreiben (hmmm ja, aber wer kann das schon) apfelbaum pflanzen (neben dem haus, das bix dahin längst verkauft ist) kind zeugen (ist wirklich der endgltige beweis des optimisten, aber zeugen allein langt nicht), eben, die alternative zu dem wäre,

sich das eine oder andere solide möbel bauen zu lassen, solange es in neufünfland noch tischler gibt, die für das, was ein kleines auto kostet, über sich hinauswachsen. da hat man dann was solides.

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Macht einem manchmal Angst, dass die Dinge soviel länger leben, als die Menschen.

Wenn ich heute bei meiner Schwester manches Möbel stehen sehe, das ich schon als kleines Kind bei den Urgrosstanten betatschte. All die Erinnerungen. Und dann wird der Neffe vielleicht als alter Mann noch damit leben. Die Erinnerungen sind dann andere, die netten Urgrosstanten hat er nicht mehr gekannt, die vermisse ich mehr als die Möbel.

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