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Dienstag, 3. Mai 2005
Ehemaliges Jung von Matt/Isar Gebäude, Munich Area
Der Zerfall der New Economy manifestiert sich, im Gegensatz zu Industrieregionen, in der Regel nicht in Ruinen und verkommenen Gebäuden. Die New Economy war standortunabhängig, mobil und flexibel. Die Produktionsmittel - in der Regel Rechner und Server - waren klein und innerhalb weniger Stunden an einem neuen Ort aufgestellt. Das galt als eine Grundvorraussetzung für dynamisches Wachstum. Eigene Immobilien wären da nur ein Klotz am Bein gewesen, die obendrein die Rendite geschmälert hätten - selbst in München mit den steigenden Preisen. Was bingt einem 5% Wertzuwachs von Mauern, wenn die Firma nach einem Jahr mit 5.000% Wertzuwachs an die Börse geht?
Während also früher das Industriegebäude ein Alleinstellungsmerkmal war, Zeichen für Erfolg und Repräsentation, oft stolz auf den Aktien abgebildet wurde, standen für die Bauten der New Economy andere Merkmale im Vordergrund. Sie sollten flexibel teil- und erweiterbar sein, günstig, schnell erreichbar, und in einem kreativen Umfeld, das unter dem Schlagwort "Mediencluster" Austausch, Kooperationen und gegenseitige Verstärkung einer Zukunftsbranche versprach. Die Folge waren neue Komplexe wie die Oberbaum City in Berlin oder das Siemens Business Center of E-Excellence am Münchner Flughafen. Andere zog es ironischerweise in alte, brach liegende Industriebauten und Lofts früherer Gründerzeiten wie 1871, 1900, 1924 und 1948, die nach den Anforderungen der New Economy flexibel umgestaltet wurde. Beispiele sind die Hanauer Landstrasse in Frankfurt, die Brotfabrik in Berlin und die Media Works Munich an der Rosenheimer Strasse.
Überall ging dort ab 2000 der Dotcomtod um - die Folge waren sinkende Mietpreise, die Ansiedlung gar nicht mehr so zukunftsträchtiger Dienstleisten, und viel Leerstand. Aber kein sichtbarer Zerfall. Wann immer eine dieser Firmen drauf ging, reichte ein Container für den Müll aus. Die meisten Möbel waren praktisch neu, schick, und landeten in Geschäften wie etwa diesem Gebrauchtmöbelhändler in Münchens Gabelsberger Strasse, die Rechner waren ohnehin oft nur geleast. Man wollte schliesslich schlanke Strukturen und sich allein aufs Business konzentrieren, alles andere wurde outgesourced.
Die New Economy hat es in der Folge tatsächlich geschafft, zumindest in ihrem Untergang fast vollkommen virtuell zu bleiben. Die virtuellen Produkte wurden gelöscht und von den Servern geschmissen, die Hardware landete bei den Verwertern, und die Gebäude, die sie für ein paar Jahre wie Kakerlakenschwärme überfielen, sind jetzt von ihnen gereinigt, als ob es sie nie gegeben hätte. Keine Trümmer, keine Ruinen, keine Brandschicht. Nur dort, woher die folgenden Bilder stammen.
Wir befinden uns im nördlichen Schwabing, dem berühmten Künstlerviertel von München, in der ehemaligen Stettenkaserne an der Schwere-Reiter-Strasse. Die ist noch innerhalb des Mittleren Rings, aber die bevorzugten Wohngegenden, das klassische Schwabing der Türken- und Theresienstrasse, das eigentlich "Maxvorstadt" heisst, oder die Leopoldstrasse und der englische Garten sind weit weg von hier. Die Stettenkaserne lag in den 20er Jahren am nördlichen Stadtrand von München, und hier war genügend Platz für ein grosses Militärareal. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Anlage konsequent erweitert, bis sie nach dem Ende des kalten Krieges aufgegeben wurde. Gerade rechtzeitig für den Boom der New Economy übernahm die Stadt München das Gelände, und förderte die Ansiedlung junger, innovativer Firmen. Im Zufahrtsbereich steht das obige Gebäude; eine ehemalige Werkhalle, die früher unter anderem Jung von Matt an der Isar beherbergte. Und heute? Bitte hier lang.
Während also früher das Industriegebäude ein Alleinstellungsmerkmal war, Zeichen für Erfolg und Repräsentation, oft stolz auf den Aktien abgebildet wurde, standen für die Bauten der New Economy andere Merkmale im Vordergrund. Sie sollten flexibel teil- und erweiterbar sein, günstig, schnell erreichbar, und in einem kreativen Umfeld, das unter dem Schlagwort "Mediencluster" Austausch, Kooperationen und gegenseitige Verstärkung einer Zukunftsbranche versprach. Die Folge waren neue Komplexe wie die Oberbaum City in Berlin oder das Siemens Business Center of E-Excellence am Münchner Flughafen. Andere zog es ironischerweise in alte, brach liegende Industriebauten und Lofts früherer Gründerzeiten wie 1871, 1900, 1924 und 1948, die nach den Anforderungen der New Economy flexibel umgestaltet wurde. Beispiele sind die Hanauer Landstrasse in Frankfurt, die Brotfabrik in Berlin und die Media Works Munich an der Rosenheimer Strasse.
Überall ging dort ab 2000 der Dotcomtod um - die Folge waren sinkende Mietpreise, die Ansiedlung gar nicht mehr so zukunftsträchtiger Dienstleisten, und viel Leerstand. Aber kein sichtbarer Zerfall. Wann immer eine dieser Firmen drauf ging, reichte ein Container für den Müll aus. Die meisten Möbel waren praktisch neu, schick, und landeten in Geschäften wie etwa diesem Gebrauchtmöbelhändler in Münchens Gabelsberger Strasse, die Rechner waren ohnehin oft nur geleast. Man wollte schliesslich schlanke Strukturen und sich allein aufs Business konzentrieren, alles andere wurde outgesourced.
Die New Economy hat es in der Folge tatsächlich geschafft, zumindest in ihrem Untergang fast vollkommen virtuell zu bleiben. Die virtuellen Produkte wurden gelöscht und von den Servern geschmissen, die Hardware landete bei den Verwertern, und die Gebäude, die sie für ein paar Jahre wie Kakerlakenschwärme überfielen, sind jetzt von ihnen gereinigt, als ob es sie nie gegeben hätte. Keine Trümmer, keine Ruinen, keine Brandschicht. Nur dort, woher die folgenden Bilder stammen.
Wir befinden uns im nördlichen Schwabing, dem berühmten Künstlerviertel von München, in der ehemaligen Stettenkaserne an der Schwere-Reiter-Strasse. Die ist noch innerhalb des Mittleren Rings, aber die bevorzugten Wohngegenden, das klassische Schwabing der Türken- und Theresienstrasse, das eigentlich "Maxvorstadt" heisst, oder die Leopoldstrasse und der englische Garten sind weit weg von hier. Die Stettenkaserne lag in den 20er Jahren am nördlichen Stadtrand von München, und hier war genügend Platz für ein grosses Militärareal. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Anlage konsequent erweitert, bis sie nach dem Ende des kalten Krieges aufgegeben wurde. Gerade rechtzeitig für den Boom der New Economy übernahm die Stadt München das Gelände, und förderte die Ansiedlung junger, innovativer Firmen. Im Zufahrtsbereich steht das obige Gebäude; eine ehemalige Werkhalle, die früher unter anderem Jung von Matt an der Isar beherbergte. Und heute? Bitte hier lang.
donalphons, 19:48h
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Real Life 02.05.2005 - Grosses Rokkokotheater
Im Original hat dieses Bild eine grenzenlose Auflösung. Im Original kommen viele Vogelstimmen dazu, und nur manchmal das dröge Geschnatter einer Elitesse. Im Original ist das ein exklusiver Blick in splendid isolation, es gibt ihn nur hier und für mich allein. Es ist, wie so oft in Bayern, fast schon italienisch, und weil es so hoch droben ist, weht immer eine angenehme Brise. Es ist nie zu heiss, wenngleich hier oben Feigen reif werden.
Manchmal sitze ich hier auf der Dachterasse ein, zwei Stunden, kaue an einem Schnittlauchhalm, und frage mich, warum ich gegangen bin. Es gab keine Notwendigkeit, der in der Munich Area zu werden, aus dem dann später Don Alphonso entstand. Es gab keinen Zwang, nach Berlin zu gehen. Natürlich ist das Leben hier langweilig, aber sage bitte keiner, dass es spannend ist, sich im 103 oder im Tresznjewski Gerede über nie vollendete Romane oder Businesspläne anzuhören. Location Based Stories sind sowieso dumm, was fehlt sind Geschichten über das Unterwegs mit Zielen, die sich auflösen, desto näher man ihnen kommt.
Das Essen hier ist exzellent, die Menschen sind freundlich, an Frauen herrschte, falls nötig, kein Mangel, schliesslich rollt bei alten Freundinnen die grosse Scheidungswelle. Wenn es doch einmal zu langweilig wird, liegt München keine Stunde von hier entfernt. In der Nacht ist es unfassbar ruhig, und wenn ich nach oben schaue, sehe ich unendlich viele Sterne. Am nächsten Morgen wecken mich die Tauben im barocken Kamin neben meinem Fenster. Es ist buchstäblich mein Fenster, es gehört mir. Es ist mein Haus, mein Blick, mein alltäglicher Urlaub, ein, zwei, drei Tage ohne Netz sind kein Problem.
Ich habe heute die Wohnung in Berlin gekündigt.
Manchmal sitze ich hier auf der Dachterasse ein, zwei Stunden, kaue an einem Schnittlauchhalm, und frage mich, warum ich gegangen bin. Es gab keine Notwendigkeit, der in der Munich Area zu werden, aus dem dann später Don Alphonso entstand. Es gab keinen Zwang, nach Berlin zu gehen. Natürlich ist das Leben hier langweilig, aber sage bitte keiner, dass es spannend ist, sich im 103 oder im Tresznjewski Gerede über nie vollendete Romane oder Businesspläne anzuhören. Location Based Stories sind sowieso dumm, was fehlt sind Geschichten über das Unterwegs mit Zielen, die sich auflösen, desto näher man ihnen kommt.
Das Essen hier ist exzellent, die Menschen sind freundlich, an Frauen herrschte, falls nötig, kein Mangel, schliesslich rollt bei alten Freundinnen die grosse Scheidungswelle. Wenn es doch einmal zu langweilig wird, liegt München keine Stunde von hier entfernt. In der Nacht ist es unfassbar ruhig, und wenn ich nach oben schaue, sehe ich unendlich viele Sterne. Am nächsten Morgen wecken mich die Tauben im barocken Kamin neben meinem Fenster. Es ist buchstäblich mein Fenster, es gehört mir. Es ist mein Haus, mein Blick, mein alltäglicher Urlaub, ein, zwei, drei Tage ohne Netz sind kein Problem.
Ich habe heute die Wohnung in Berlin gekündigt.
donalphons, 03:45h
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