: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 22. Mai 2005

Sehr zu empfehlen II - Ausstattung Arzberg 1382

Berlin im Frühjahr 2005. Erna Kowalski räumt die Wohnung ihrer Mutter Berta, die ins Altersheim gezogen wurde. Überall der alte Plunder... Und Meike Kowalski, ihre Tochter, ist auch keine Hilfe, die steht draussen auf dem Balkon und handyniert mit ihrer Freundin, wo sie heute Abend hingehen. Erna durchstöbert die Küche, da sind überall diese furchtbaren Sachen, und da hinten ist auch das Hochzeitsgeschirr, das, das ihre Mutter dann nie benutzt hat. Kein Wunder, ist ja auch, naja, also jedenfalls zu langweilig. Nicht mal bunt, wie das, das sie so supergünstig von Lidl hat. Das kann man auch in die Spülmaschine tun, das da hinten hat Goldrand, das geht nicht. Das kriegt alles der Entwümpler, obwohl...

"Meike? MEIIIKEE!"

"Ja, ich komm ja schon, wat isn?"

"Kieck ma, da is det alte Jeschirr, det is eijentlich noch janz jut wa, kannste det nich brauchn?"

Meike schaut nicht genau hin, ein Blick reicht ihr. Ne. Ganz bestimmt nicht. Das ist nicht weiss, sondern so gelb. Bäh. Ausserdem, das alte Zeug, die winzigen Tassen, Meike will sowas nicht. Sondern, wenn sie jetzt bald ihre eigene Wohnung bekommt, so coole Becher wie 365+ von Ikea, kostet nur drei Euro und die sind dann so richtig robust, dann noch irgendeine Kanne, mal schaun. Teller fürs Frühstück, dazu hat sie zwar keine Zeit, aber wenn sie mit Mutti zu kea fährt, nimmt sie doch welche, damit die nicht schon wieder wegen ihrem Untergewicht und der Figur und dem Piercing jammert, also noch 6 Teller aus der gleichen Serie, dann hat sie alles für nicht mal 50 Tacken, ist doch super...

"Ne, Mama, echt nicht, das ist superunpraktisch, schau doch mal wie dünn das Geschirr ist, das geht ja sofort kaputt. Gib´s dem Entrümpler, da kriegen wir schon noch 5 Euro dafür."

"Die Oma wird det aba jahr nich mögen. Dit war sicher mal wat teures, det hat der Onkel Jakob geschenkt, det wees ick noch, der hat nur jute Sachen jehabt."

"Der Oma kannste ja sagen, dass ich es genommen habe..", sagt Meike, und geht zurück auf den Balkon, um ihrer Freundin was vorzujammern, mit was für einem alten Dreck man ihr weiteres Leben verunstalten wird.

Ich weiss nicht, ob es wirklich so abgelaufen ist, aber jedenfalls betrat ich heute morgen die Gallerie der lächelnden Menschen an der Strasse des 17. Juni. Die Gallerie der lächelnden Menschen ist eigentlich eine Ansammlung von griesgrämig dreinschauenden Entrümplern, deren Geschäfte nicht allzu gut gehen, aber wenn ich komme... Ich bin Bayer, und sie wissen: Hier kommt der Don. Der skrupellose Don, der hier schon mal ein lahmes, reiches Rentnerehepaar bein Brieftaschenzückduell ausgeknockt hat - der Siegespreis, ein Seidenteppich, liegt jetzt bei meiner Schwester. Hier kommt der Don, der scheinbar unendlich viel Platz in seinen Wohnungen hat. Wir kennen uns, und wenn ich komme, lächeln sie. Wir verhandeln hart, wir machen gute Geschäfte, wir sagen einander: Leben und leben lassen, Habibi. Ich gebe ihnen hartes bayerisches Geld, sie geben mir die Trümmer der Berliner Bürgerlichkeit. Heute begrüsste ich einen von ihnen, wir sprachen über alles mögliche, und nebenbei fiel mein Blick auf das hier -



mutmasslich das Teeservice von Berta Kowalski, anders kann ich mir diese Anwesenheit nicht erklären. Das Service, das für teures Geld von Onkel Jakob gekauft wurde. Der lächelnde Händler fragte, ob ich es haben wollte, und ich sagte sehr überzeugend Nein - schliesslich habe ich erst vorgestern Teeservice Nummer 7 gekauft, KPM, ein Traum... Und Nein heisst Nein, ich habe keinen Platz mehr. Aber - ein Blick unter die Tasse - tatsächlich: Porzellanfabrik Arzberg. Der lächelnde Händler meinte, es sei auch recht billig, 25, na gut 20 Euro, Habibi, und ich sagte Leben und Leben lassen, sagen wir - ach was, ok, machen wir, mal schaun wo ich das mit seinen 8 Tassen und Untertassen und 10 Tellern und der Keekanne noch hin tue. 27 Teile, 20 Euro. Für das hier:



Das ist es, wenn man es ordentlich hinstellt, was Meike Kowalski nicht getan hat. Das ist die berühmte Serie Arzberg Form 1382, die der Inbegriff des Bauhaus-Designs bei deutschem Porzellan ist. Steht auch im Museum of Modern Art in New York, nebenbei bemerkt. Gibt es in diversen Farben, hier in Creme mit Goldrand. Der Designer, Herrmann Gretsch, hatte ein Faible für das Biedermeier, und entwickelte zeitlose Formen. Form 1382 passt zu allem, vom USM-Haller-Tisch bis zum Empire. Was zur Folge hat, dass Arzberg die Form 1382 bis heute liefert. Wenn auch zu nicht ganz geringen Preisen. Aber immer noch mit den gleichen Nummern, die hinten mit einem goldenen Stempel aufgebracht sind.



Das ist Customer Relationship Management, von dem die Computerbranche noch was lernen kann - man schaue sich nur mal die Beschriftung auf Bauteilen an. Was meike Kowalski so gestört hat, das dünne Porzellan, ist ein Qualitätsmerkmal. Wenn man Porzellan gegen das Licht hält, und die Stempel darunter sind deutlich erkennbar, ist es nie schlechtes Porzellan. Das Service geht mit in die Provinz, Berta Kowalski braucht sich keine Sorgen machen. Und Onkel Jakob, der damals extra mehr als die üblichen 6er-Sets gekauft hat - man weiss ja, wie schnell sowas mal zerbricht - kann in Frieden ruhen, denn jetzt ist es an einer Stelle gelandet, wo es geschätzt wird. Was bei Meike Kowalski eher nicht der Fall gewesen wäre, spätestens beim Polterabend, wenn sie im 6. Semester schwanger und doch lieber Geschwaderführerin beim Sportbuggyeinsatzkommando Berlin Mitte wird, dann wäre es vorbei gewesen mit der Herrlichkeit.

Natürlich brauche ich das Service nicht mehr. Es ist ein kleiner, billiger Luxus, es wäre zu schade gewesen, es war der Sport, was in England unter dem Begriff "Bargain Hunting" in höchstem Ansehen steht. Aber es ist ein guter Grund, später nächsten Monat hier im Blog zu erklären, wo man in historischer Bausubstanz selbstgebaute Einbauschränke für das Porzellan unterbringt - und das, liebe Leser, die Behauptung, dass ich es eigentlich nur für Euch tue, ist eine phantastische Ausrede. Und falls ich irgendwann wirklich keinen Platz dafür mehr haben sollte, dann wird es vielleicht irgendeine Elitesse, ein New Economy ideal oder sonst eine Gespielin beim Frühstück sehr schön finden und haben wollen - aber das wird dann nicht gebloggt.

Mehr aus der Ausbauserie.

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Dirt Picture Contest - Flower Power

Man kann sich heute nicht mehr sicher sein, was original aus den 70ern kommt, und was nachgemacht ist. So ziemlich jedes Möbelgeschäft hat irgendwelches Zeug in den typischen Farben und davor ein paar Girlies in rosa und Schlaghosen, die sich überlegen, diese krasse Deko da zu kaufen. Für die Mttzwanziger ist das eine weit entfernte Epoche, da haben sie keine Erinnerungen, also ist es retrotauglich - und so werden Kastanienallee auf, Oderbergerstrasse ab die Läden geplündert, um dem Minimalambiente der Neuzuwanderer den passenden Flair zu den Pillen zu geben, an die sie sich in den nächsten Wochen rantrauen werden.

Und wenn Paps sie dann aus der Entgiftung auf Dauer heim holt, macht er das einzig richtige und kippt alles auf den Müll - und deshalb können wir davon ausgehen, dass das hier wohl eher ein Eingeborener war:



Die kippenm das Original 70ies Ambiente mit den krassen Stoffen nicht auf den Müll, sondern auf die Strasse. Und der Hauhaltsauflöser von nebenan hat noch nicht begriffen, dass das hier in Neukölln sicher bald begehrte Waren sind. Aber spätestens, wenn die Mädchen mit dem badischen Akzent an den Kronleuchtern vorbei auf die orange Stufflampe zusteuern, wird auch er begreifen, dass sein Glück auf der Strasse lag.

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