: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 29. Mai 2005

Real Life 28.05.05 - Haifischlunch

Das Essen hier am Savignyplatz ist 2 Euro teurer und um 3 Klassen besser als das, was man in Mitte so unter "italienisch Essen" versteht. Natürlich ist Mitte viel näher dran am authentischen Kantinenfrass mittelständischer italienischer Unternehmen im Mezzogiorno, und bei den hier servierten Eigenkreationen wie gefüllte Crepette-Pasteten in Gorgonzolasauce stampfen heisse französische Eier die mütterlich-italienische Ursuppe; in etwa so, als würde ein franzöischer Marcello Mastroiani über eine italienische Anouk Aimee herfallen. Was den Haifischen und dir, ihrem Transporteur, gefällt. Ihr sitzt draussen im Schatten der Bäume, während die Hitze die Berliner in unansehliche Klumpen Haut, Fett und Schweiss zerschmilzt. Ein wenig Wind streicht durch die Bäume, und dein Leben ist schön.



Ein Haifisch hüstelt, weil ihm die ständige Luftveränderung zwischen kühl klimatisiertem Flugzeug und Büros und Hitze nicht gut tut. Die anderen werden vielleicht auch bald Grippe haben, aber momentan sind sie noch voller Adrenalin. Sechs StundenMeeting eines steuersparenden, sinnsparenden und letztlich insolventen Fonds, bei dem sich Bank A wegen Zahlungsproblemen die Immobilie gekrallt hat. Die fragliche Immobilie ist statt der einbezahlten 9 nur noch 4 Millionen wert. Zum Glück haftet Bank B für die Fremdfinanzierung, und die Leute, die die Haifische vertreten, kommen nochmal mit einem blauen Auge davon. Bank B ist es schon gewohnt, bei diesem Spiel der Dumme zu sein. Bank B kann sich keine ordentlichen Haifische leisten. Aber so ist das nun mal, wenn sich bombensichere Geschäfte mehr als Bomben und weniger als sicher erweisen - danach steht nichts mehr, was sich noch wehren könnte. Ausserdem muss Bank A für ihre Aktionäre profitabel sein, bei Bank B verteilt sich das letztlich auf alle Bundesbürger, die können keinen Vorstandsvorsitzenden kippen, das senkt die Motivation sich zu wehren ganz enorm.

Ein Haifisch fragt dich, ob du nicht doch mal was Nettes über Berlin schreiben könntest, damit mehr Leute herkommen und das Geschäft wieder attraktiv wird. Du grinst, aber er meint es Ernst, du musst ja nicht Mitte hypen, sondern ... Grunewald. Das Rentnerparadies. den ganzen äusseren Westen. Einfach mal was Nettes in einer international relevanten Zeitung mit entsprechend vermögendem Publikum. Weil es sich im Moment wirklich lohnen würde, etwas zu kaufen. Und er nuschelt was von unter 800 pro Quadratmeter in Bestlage, sicher vermietet, unter Zwangsverwaltung, was im August zwangsversteigert wird. Hübsch leise, der vollstreckenden Bank A ist der Preis egal, die holt sich den Fehlbetrag bei Bank B, Hauptsache weg den Scheiss. Die Nuss-Bonbonietti schmecken ihm übrigens ganz vorzüglich, das Lokal gefällt ihm, mit Kronleuchter und apricotfarbenen Wänden, während du eigentlich ganz froh bist, dass dein nächster Raum nicht diese Toskanalandhausverschnittfarbe haben wird.



Aber du bist kein Haifisch. Oder vielleicht doch? Der Oberhaifisch fragt dich, ob du nicht vielleicht Lust hast, ein wenig mit ihnen schwimmen zu gehen. Sie haben sich nämlich schon ein paar der Wohnungen in dem Objekt angeschaut. Und wenn du, sagen wir mal, was übrig hättest und nochmal einigen Kredit aufnehmen würdest, könntest du doch auch so um die 80 Quadratmeter feinster Westen, gleich gegenüber einer grossen, staatlichen Institution... und nachdem du sie immer so gut durch den Slum gefahren hast, würden sie dir auch helfen...

Der Wind weht ein wenig stärker durch die Baumkronen am Savignyplatz, mit dem Auto 15 Minuten vom fraglichen Objekt entfernt, das grosse Terassen hat und einen üppigen, alten Garten, und du weisst, dass es ein guter Tipp ist, dass es fraglos funktionieren würde, denn in zwei Jahren geht es wieder bergauf mit den Haifischen, die fragliche staatliche Institution gegenüber ist eine mit grosser Zukunft, gerade wenn grosse Teile der Gesellschaft verarmen, dann könnte man an die Funktionäre verkaufen mit 50, 70% Wertsteigerung in zwei Jahren. Und selbst ein Gewinner der Haifischbranche sein. Und dann geht es ab zum fraglichen Objekt, und dann noch ein wenig Leisure Shopping.

Später am Tag wird einer der Haifische für einen Spontankauf ein paar tausend hart selbstverdiente Euro abheben, und beim Verlassen der Bank achtlos an der alten Bettlerin am Eingang vorbeigehen. Du wirst einen Moment den Wunsch verspüren, die von ihm bezahlten Crepettes in eine Ecke zu kotzen, wirst ihr, von dir selbst angewidert das geben, was das Essen gekostet hat, und verdrängst den Gedanken, dass du selbst, wenn du mal 70 bist, bei der weiteren Entwicklung dieser an den Haifischen orientierten Gesellschaft auch etwas Ignorierbares auf den Haifischzügen sein kannst. Etwas, das die Funktionäre der lukrativen Verwaltung der aus dem Verwertungsprozess Gefallen nicht weiter berührt, die dann auf den 80 Quadratmetern leben, die du ganz ganz sicher nicht kaufen wirst.

Später wirst du die Haifische zum Flughafen bringen, und es wird die letzte Fahrt in Berlin gewesen sein.

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Nie angekommen

Du weisst, dass es nicht dein Ort wurde, wenn du in der neuen Stadt nach 15 Monaten immer noch die Vorwahl mitwählst. Passenderweise gerade dann, wenn du den Lieferwagen für den Umzug bestellst.

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