Real Life August 2000 - Schwarzes Gold
Sie hatte sich für den Juniorposten beworben, wurde aber gleich als Senior mit Juniorgehalt genommen. Dass sie noch nicht mal den Magister hatte, war egal, einfach rein und los, das mit der Prüfung geht auch nebenbei. Es stellte sich heraus, dass es so einfach nebenbei doch nicht ging, aber egal, 1999 war das schon fast die Lebensanstellung, es ging unaufhaltsam nach oben. Es gab auch Wochen, in denen sie unter 70 Stunden arbeitete. Der Stundenlohn war auch nicht so das Thema; wenn man die Optionen wieder reinrechnete, war alles bestens. Ich bekam manchmal ein Mail, alle zwei Monate trafen wir uns auf einem Event, und ich wunderte mich, dass sie mit 25 den Druck, die Aufgaben und den Skalierungsirssinn aushält.
August 2000 rief sie bei mir an und fragte, ob wir uns mal treffen können. Sie hatte eine Idee gehabt, die ihr sehr vielversprechend erschien, die sie aber noch nicht in der Firma verschreien wollte. Zu viele Neider, zu viele, die plötzlich Angst um ihren Job hatten und anderen Leuten den Stuhl unter dem Hintern wegziehen wollten. Es war nicht mehr so richtig lustig, was sie erzählte. Jedenfalls hatte sie einen Plan, eine aus der Not geborene Kooperation mit einer grossen, alten Firma, die erst auf die Idee kam, dass sie im Internet was tun musste. Sie hatte in ihrer Abteilung heimlich ein Projekt dafür ausarbeiten lassen, und ich sollte da mal einen Blick drauf werfen.
Es war auf einem Thinkpad, 2 GB gross, viel Ton und Streams, und es war keine dumme Idee, ganz im Gegenteil. Sie wusste nicht, wie sie es ihren Chefs verkaufen sollte, denn es brach mit einigen Tabus. Sie brauchte Argumentationshilfen, und einen 20-seitigen Wisch von einer möglichst toll klingenden Beratungsklitsche, die natürlich erst mal nichts kosten dürfte, weil sie kein Budget dafür hatte. Aber dazu hat man bekanntlich Freunde, die einem das auch so, nebenbei mal schreiben - Leute wie mich. Den Thinkpad könnte ich mitnehmen, sagte sie, da ist alles drauf.
Das Cafe Puck ist gelblich gestrichen, und vieles, was dort im Licht der Kerzen ist, erscheint golden. Thinkpads, Ideen, die Zukunft, das alles bekommt im Licht des Cafes einen Wert, eine Logik, den Anschein von Sinn und Vernunft.
Ich schrieb den Bericht nie fertig. Drei Wochen später wurde ihre Abteilung eingestampft, und ihr selbst bot man als einziger die Weiterbeschäftigung an, als Senior, aber zu einem Gehalt, bei dem 20% Lohnverzicht schon inbegriffen waren. Sie erfuhr es am Telefon, während der ersten Urlaubswoche seit einem Jahr, in der sie ihr Auto zum überfälligen TÜV brachte, die Wohnung putzte und versuchte, mal wieder einen Text zu lesen, der länger als ein Executive Summary war.
Sie ging den ganzen Weg. Sie wollte dagegen ankämpfen. Aber die Kündigungen waren schon unterwegs, die Räume leer, und in den Mülleimern stapelten sich die Tastaturen und Floppies. Es muss sehr hart für sie gewesen sein, und wahrscheinlich war es die Beiläufigkeit, mit der man ihr das antat, schlimmer als der Rausschmiss selbst, der nach ein paar Stunden Vorhaltungen von ihren Chefs kam. Immerhin erlaubte man ihr, sich noch am Firmentelefon und von ihrem Firmenaccount von den Kunden zu verabschieden.
Sie rief mich dann erst sehr spät in der Nacht privat an. Sie erzählte mir, was die Buschtrommeln der einzigartigen Munich Area schon am Nachmittag verbreitet hatten.
Was soll ich mit dem Thinkpad machen, fragte ich sie.
Ist doch nur ein altes, überflüssiges Notebook. Es gibt das Ding doch schon gar nicht mehr. Kein Thinkpad, keine Abteilung, keine Idee, alles aufgelöst, abgeschrieben.
Wertberichtigt, warf ich ein.
Du hast keinen Thinkpad von mir. Lösch es runter, mach damit, was Du willst, schick ihn an die Firma, behalte ihn, niemand wird ihn wollen, oder Dich danach fragen, sagte sie. Und dann erzählte sie, wie ihre Chefs inzwischen diese dem Virtuellen verpflichtete Abteilung real zerstört hatten. Ich habe den Thinkpad, Modell 390e, Baujahr 7/99, 333 Mhz PII, 6,4 GB, 256 MB Ram behalten. Niemand hat je danach gefragt. Er hat die Firma am heutigen Tag fast 2 Jahre und 7 Monate überlebt.
August 2000 rief sie bei mir an und fragte, ob wir uns mal treffen können. Sie hatte eine Idee gehabt, die ihr sehr vielversprechend erschien, die sie aber noch nicht in der Firma verschreien wollte. Zu viele Neider, zu viele, die plötzlich Angst um ihren Job hatten und anderen Leuten den Stuhl unter dem Hintern wegziehen wollten. Es war nicht mehr so richtig lustig, was sie erzählte. Jedenfalls hatte sie einen Plan, eine aus der Not geborene Kooperation mit einer grossen, alten Firma, die erst auf die Idee kam, dass sie im Internet was tun musste. Sie hatte in ihrer Abteilung heimlich ein Projekt dafür ausarbeiten lassen, und ich sollte da mal einen Blick drauf werfen.
Es war auf einem Thinkpad, 2 GB gross, viel Ton und Streams, und es war keine dumme Idee, ganz im Gegenteil. Sie wusste nicht, wie sie es ihren Chefs verkaufen sollte, denn es brach mit einigen Tabus. Sie brauchte Argumentationshilfen, und einen 20-seitigen Wisch von einer möglichst toll klingenden Beratungsklitsche, die natürlich erst mal nichts kosten dürfte, weil sie kein Budget dafür hatte. Aber dazu hat man bekanntlich Freunde, die einem das auch so, nebenbei mal schreiben - Leute wie mich. Den Thinkpad könnte ich mitnehmen, sagte sie, da ist alles drauf.
Das Cafe Puck ist gelblich gestrichen, und vieles, was dort im Licht der Kerzen ist, erscheint golden. Thinkpads, Ideen, die Zukunft, das alles bekommt im Licht des Cafes einen Wert, eine Logik, den Anschein von Sinn und Vernunft.
Ich schrieb den Bericht nie fertig. Drei Wochen später wurde ihre Abteilung eingestampft, und ihr selbst bot man als einziger die Weiterbeschäftigung an, als Senior, aber zu einem Gehalt, bei dem 20% Lohnverzicht schon inbegriffen waren. Sie erfuhr es am Telefon, während der ersten Urlaubswoche seit einem Jahr, in der sie ihr Auto zum überfälligen TÜV brachte, die Wohnung putzte und versuchte, mal wieder einen Text zu lesen, der länger als ein Executive Summary war.
Sie ging den ganzen Weg. Sie wollte dagegen ankämpfen. Aber die Kündigungen waren schon unterwegs, die Räume leer, und in den Mülleimern stapelten sich die Tastaturen und Floppies. Es muss sehr hart für sie gewesen sein, und wahrscheinlich war es die Beiläufigkeit, mit der man ihr das antat, schlimmer als der Rausschmiss selbst, der nach ein paar Stunden Vorhaltungen von ihren Chefs kam. Immerhin erlaubte man ihr, sich noch am Firmentelefon und von ihrem Firmenaccount von den Kunden zu verabschieden.
Sie rief mich dann erst sehr spät in der Nacht privat an. Sie erzählte mir, was die Buschtrommeln der einzigartigen Munich Area schon am Nachmittag verbreitet hatten.
Was soll ich mit dem Thinkpad machen, fragte ich sie.
Ist doch nur ein altes, überflüssiges Notebook. Es gibt das Ding doch schon gar nicht mehr. Kein Thinkpad, keine Abteilung, keine Idee, alles aufgelöst, abgeschrieben.
Wertberichtigt, warf ich ein.
Du hast keinen Thinkpad von mir. Lösch es runter, mach damit, was Du willst, schick ihn an die Firma, behalte ihn, niemand wird ihn wollen, oder Dich danach fragen, sagte sie. Und dann erzählte sie, wie ihre Chefs inzwischen diese dem Virtuellen verpflichtete Abteilung real zerstört hatten. Ich habe den Thinkpad, Modell 390e, Baujahr 7/99, 333 Mhz PII, 6,4 GB, 256 MB Ram behalten. Niemand hat je danach gefragt. Er hat die Firma am heutigen Tag fast 2 Jahre und 7 Monate überlebt.
donalphons, 14:57h
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 14:57, von donalphons |
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che2001,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 15:41
Das arme Ding
Ich merke wieder mal, was ich für ein Schwein gehabt habe, wenn ich das mit meinem Schicksal vergleiche: Als Thirtysomething angeheuert, nur während der CeBIT über 70 Stunden gearbeitet (und dafür Ausgleich in Freizeit bekommen), sonst 40-Stunden-Woche. Und als mein Chef mich beauftragte, eine Mitbewerberanalyse zu machen, und ich sagte, dass ich das nicht könne, weil ich mich wohl bei Produkten und Prozessen, nicht aber Geschäftsmodellen auskenne, hatte ich drei Tage später einen diplomierten BWLer als Assistenten zur Hand.
Und nach der Insolvenz schöne neue Möbel und einen 21-Zoll-Flatscreen. Notebooks sind Spielzeug.
Und nach der Insolvenz schöne neue Möbel und einen 21-Zoll-Flatscreen. Notebooks sind Spielzeug.
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donalphons,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 15:44
Sehr atypische New Economy. Aber wenn eine Firma in 6 Monaten von 20 auf 200 Mitarbeiter hochgeht, ist die Verheize auch nicht anders als bei einem Trupp Rekruten in verdun.
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zaphodb,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 16:01
O Gott, was bin ich OE!
Wir waren 1998 sechs und sind heute zwölf. Auch 2002 waren wir noch viereinhalb, obwohl ich als halber ein Jahr in die Ami-Prärie ausgebüxt bin.
Langweilig, aber solide. Und immer mit 'nem Dell-Notebook unter dem Arm. Ist kein Spielzeug, ist Arbeitszeug.
Langweilig, aber solide. Und immer mit 'nem Dell-Notebook unter dem Arm. Ist kein Spielzeug, ist Arbeitszeug.
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che2001,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 16:11
Arbeitszeug
Das kommt drauf an, was man mit macht: Mal auf nem Notebook 1 : 1 Druckvorstufe gemacht? ! Ich brauche einen Rechner, auf dem man A3 in Originalgröße darstellen kann und daneben noch Platz für die Werkzeugpalette hat. Und Flashentwicklung ist auf nem Notebook auch nicht wirklich spaßig. Ein Gigabyte Arbeitsspeicher sollte schon sein.
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donalphons,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 16:14
Wer Flash entwickelt, verdient von 200 auf Null an einem Tag abgebremst zu werden.
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siebenviertel,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 18:59
>Mal auf nem Notebook 1 : 1 Druckvorstufe gemacht? !
print production bekommt keine laptops, da hast du recht. warum du das allerdings ueberhaupt erwaehnst, ist mir schleierhaft. das klingt nach einem moebelpacker, der sich ueber vespas beklagt.
print production bekommt keine laptops, da hast du recht. warum du das allerdings ueberhaupt erwaehnst, ist mir schleierhaft. das klingt nach einem moebelpacker, der sich ueber vespas beklagt.
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donalphons,
Freitag, 10. Dezember 2004, 00:10
Noch nie in Italien gewesen? Da ist so eine Kombination nicht unüblich...
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siebenviertel,
Freitag, 10. Dezember 2004, 01:53
in italien wird gearbeitet?
sie zerstoeren mein weltbild.
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netbitch,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 17:12
Scharf dran vorbeigeschrammt
Als diplomierte und berufserfahrene PR-Tante angeheuert, um Texterin mit ein bißchen Kundenbetreuung zu werden, dann zum Falten von Flyern und zum Adressieren von Massenmailings mißbraucht, dann in den Verkauf geschickt. Dort alle Höhen und Tiefen überlebt und glücklich etabliert. Auch Schwein gehabt, denke ich.
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donalphons,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 17:13
Glücklich etabliert? Als Vertrieblerin oder Flyerfalterin?
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donalphons,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 17:32
Das ist schon einiges - und man sitzt nicht dauernd vor dem Monitor, sondern auch mal vor Kunden - eine Erfahrung, die viele CEOs nie gemacht haben.
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che2001,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 17:35
Regionen
Könnte es sein, dass die krassen Schicksale, die Du so schilderst, Don, sich vor allem in der Munich Area sowie Stuttgard, Krankfurt, DDorf und Berlin zugetragen haben, dass die Provinz aber vielfach ein gnädigeres Los hatte? (Und Hamburg auch) OK, das schreibt jetzt gerade derjenige, der flächendeckend die kleinen Agenturen finalisiert hat. Trotzdem-könnte da was dran sein?
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zaphodb,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 18:37
Da ist was dran...
Klar ist da was dran, vor allem in HH. Ich hatte das Glück, zum Dell gern ein klassisches Ladage & Oelke-Jacket zu tragen und deshalb bei vielen soliden großen wie kleinen hanseatischen Kaufleuten gut ins Geschäft zu kommen und drin zu bleiben.
Mit einem guten Mix von Alt-IT und Web, ordentlichen Kalkulationen und anständiger Behandlung meiner Leute. Aber immer ohne Flash. Vielleicht war das der eigentliche Grund ;-)
Mit einem guten Mix von Alt-IT und Web, ordentlichen Kalkulationen und anständiger Behandlung meiner Leute. Aber immer ohne Flash. Vielleicht war das der eigentliche Grund ;-)
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donalphons,
Donnerstag, 9. Dezember 2004, 21:07
Ich kenne auch nettere Stories. Aber auch eine ganze Reihe noch mieserer Geschichten. Einem armen, überarbeiteten Ding, das keine Lust mehr hat, kurz bevor sie kündig, etwas zu viel Geld überweisen, und wenn sie das dann verjuxt hat, weil sie glaubt, es sei der ausbezahlte Urlaub, das Geld zurückfordern und netterweise anbieten, dass sie es abarbeiten kann.
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