: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 10. Dezember 2004

Dirt Picture Contest - Slumbewohner packen es an

Soziologen kennen diese enorme gesellschaftliche Dynamik in Slums und Favelas, die sich die wichtigsten gemeinschaftlichen Einrichtungen durch Plünderung bei den Besitzenden selbst beschafft. Da werden Stromleitungen angezapft und dann mit Klingeldraht ganze Strassenzüge erleuchtet, Wasserleitungen werden mit grosser Findigkeit angebohrt und mit einer fragilen Konstruktion aus Blech und Plastik in oberirdische Kanalisation verwandelt, und man einigt such auf gewisse Plätze, wo man den unverwertbaren Müll entsorgt. Das ist zwar nicht immer schön anzusehen, aber anders bekommt man die sozialen Probleme nicht in Griff.

In Bundeshauptslum Berlin a. d. Spree nun ist die Stadtreinigung eher inaktiv; schliesslich ist die Stadt pleite und die Arbeitsbereitschaft ihrer Bewohner ist der von Sancho Pansa vergleichbar. Es gibt zwar Mülleimer, aber die sind oft kaputt, überfüllt, oder für den normalen Berliner viel zu weit weg, weiter jedenfalls als die Pinte, in der man gerade wieder Korn zu Preisen wie in der DDR ausschenkt, das Crack der kleinen Leute. Deshalb stellt man in Berlin meist in der Mitte der Strassenzüge, zwischen den Kreuzungen an irgendwelchem Laternenpfählen oder Betonkästen gestohlene Einkaufswägen ab, und die füllen sich dann langsam mit Müll.



Hier passen dann auch Verpackungen von DVD-Playern und der anderen Droge Glotze rein, die heute symptomatisch für die Slums dieser Welt ist. Dann sitzen sie in ihren bröckelnden Zimmern, stinken nach Schnapps und Bier, die nackte Glühbirne hängt von der Decke, und sehen in all ihrem Zerfall in der Glotze die Bilder der heilen Welt, die sie nie erreichen werden, während sich draussen die Ratten um die Essensreste in den provisorischen Kleinstkloaken balgen.

Hey, ich fahre heute nach Bayern!

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Bäckerei Stern

Als sie auf das Tiramisu verzichtete, hast du verloren. Danach bis du mit zu ihr, hoch in die Wohnung, du hast im Aufzug an ihrem verspannten Nacken herumgespielt, und oben machte sie Tee, aber als sie dann die Kanne aus der Küche holen wollte, waren ihre Lippen schon an deinen, und der Tee zog und zog durch die Ewigkeit der Küsse. Deine Hand glitt auf und unter den warmen, weissen Pulli, und du hast an Beate gedacht, die damals in Chamonix auch so einen Pulli trug, als es draussen klirrend kalt war, und alles, alles, was du in diesem Moment nicht wolltest, als du ihre leicht geöffneten, klippengleich aufgeworfenen Lippen gesehen und den sanften, warmen Hauch gespürt hast - war das, was du jetzt, eine Stunde später, nachts um 4 Uhr in Berlin gerade tust: Durch eine klirrende Kälte über die Bornholmer Brücke nach Hause laufen, ihren Geschmack auf der Zunge und den Geruch ihres Halses in der Nase, und das bescheuerte Wissen, die höllenelendlange Erfahrung, dass Frauen, die am Ende der Mahlzeit nichts Süsses zu sich nehmen, immer irgendwo zwischen Häkchen Nummero 3 am BH hinten und dem Abstreifen des Slips die Bremse reinhauen. Weil wegen Freund, wegen morgen aufstehen, wegen PMS, wegen tausend anderer blöder Gründe, von denen du weißt, dass alles diese verdammt kleine Extraportion Zucker weggewischt hätte, die sie mit dem Tiramisu verweigert hat. Frauen, die kein Tiramisu nehmen, ficken nicht - so einfach, banal und gnadenlos ist das Leben, und so dumm und lächerlich gehst du durch die diesige Luft, und zitierst Tucholsky.

Dass wir uns nicht besassen!
So aalglatt war mein Kinn.
Jetzt irr ich durch die Strassen, Malwine,
Und weine vor mich hin


Tucho hatte es einfach, der schrieb einfach ein Gedicht - Peng - schon hatte er eine Lydia, eine Prinzessin, ein Lottchen mitsamt ihren Rechnungen. Du lebst dagegen in einer Zeit, in der man auch als Schriftsteller keine Erfolgsgarantien mehr hat. Du gehst über den Jülischer Platz, und irgendwo vor dir surrt eine Lüftung. Du kommst näher, und dann trifft es dich wie ein Schlag in die Magengrube:

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