Geschichtsklitterung

In den Heydays von 98/99 war "The Industry Standard" mein erster Anlaufpunkt am morgen gleich nach den Mails. Zeitung und Website waren in San Francisco, und mit den 9 Stunden Zeitunterschied kam die Tageszusammenfassungaus Amerika pünktlich zum Frühstück. Red Herring gab es bereits seit 93, Business 2.0 seit 97, aber mein Markteintritt fiel - zufällig - mit dem Industry Standard zusammen, und die Jungs hatten den richtigen Ton drauf. Red Herring war zu VC-orientiert, Business 2.0 hatte spätestens Ende 98 jedes Augenmass verloren. Man kann dem "industry Standard viel nachsagen - die Rooftop-Parties, die 30 Millionen VC, die sie in eineinhalb Jahren durchgebracht haben, der gescheiterte Börsengang im August 2001 und die folgende Pleite - aber in der Mitte der Seite war ein Ticker, und der hatte es in sich. Der Ticker brachte ziemlich oft die Wahrheit, und wer 99 sehen wollte, konnte dort sehen, was kommen würde.

Das Ende im August 2001 war ziemlich spektakulär: Kein Geld mehr, ein paar Tage bezahlter Urlaub für die 180 verbliebenen Mitarbeiter, die ihr handy und das Notebook behalten durften. Der Industry Standard hatte sich journalistisch ziemlich korrekt verhalten, weitaus besser als die deutschen Fakes, aber am Ende war es doch nur die typische Geschichte vom Grössenwahn und der Blindheit. Die Märkte brachen nicht zusammen - es wurde nur offensichtlich, dass es die Märkte nicht gab und nie gegeben hatte.

Inzwischen ist The Industry Standard wieder online - in etwa so lange, wie dieses Blog hier, und ich lese ihn regelmässig. Aber ich traue ihm nicht. Denn wie ein drittklassiges Open-BC-Mitgleid, das seine Verwicklung in den Hype einfach so unterschlägt, sagt der Industry Standard nichts über seine eigene Geschichte. Ganz im Gegenteil. Man stehe immer noch für das, für was man 98 stand. Die Katastrophe dazwischen wird völlig ausgeblendet. Das Archiv, früher eine unschätzbare Quelle zur New Economy und ihrem Zusammenbruch, ist weg. Das mag Industrie Standard sein. Klug und ehrlich ist es nicht.

Dienstag, 29. März 2005, 13:24, von donalphons | |comment

 
Spoiling History
wie Geschichtsklitterung in dem wunderbaren Kolonialenglisch heißt, das auf Malta und in Ägypten gesprochen wird.

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Lügen durch Schweigen, würde ich das nennen. Etepeteteconomy. Bloss nicht laut werden, bloss nicht nachdenken, bloss nicht zurückschauen, und wir haben uns doch alle so lieb in unseren Netzwerken.

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Noch dreister als Verdrängen ist
die Vergangheit als aktuellen Erfolg auszugeben. Immer noch trauen sich die Auf- und Zumacher der GmbHs und AGs alte Fiaskos in der Referenzliste zu führen - die Pleite zwischen einem Zu und dem nächsten Auf wird schon niemand bemerken. Der geliebte Google ist dann aber doch ärgerlich wenn 4 Stellen nach der eigenen Homepage die Pleitenmeldung vom letzten Jahr steht - siehe Google=evodion.

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Jaja, CMS, das war mal ein very shiny buzzword... Gauss dagegen war ein Graus.

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King Content Rules
Hey, Content is King! Wir haben das performanteste Java C-basierte System seiner Art! Performance ist alles! Wer nicht performt, wird in den Serverraum gesperrt. Und die CeBIT ist zum Tanjas Poppen da.

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