In was für einem Land wir leben

Dieses Blog berichtet von der Sonnenseite des Lebens, von Luxussorgen und Jammern auf höchstem Niveau. Geschrieben ist es von einem Spross der 1/5-Gesellschaft, die der Bevölkerung die Illusion der Demokratie lässt, für Leser, die sich zum guten Teil ebenso aus diesem Personenkreis rekrutieren. Nicht alle natürlich, das wäre auch schlimm, aber wir wissen genau, welche Entscheider sich hier täglich ihre Portion Zynismus abholen. Ausser den Magersüchtigen weiss wahrscheinlich niemand hier, was Hunger oder Armut bedeutet.

Weil das so ist, möchte ich dieses Bild zeigen, aufgenommen am letzten Sonntag Nachmittag:



Wir leben also nicht nur in der Welt dieses Blogs, sondern auch in einem Land, in dem junge, sehr dünne Frauen durch den Schnee der Hinterhöfe gehen, unter lockeren Zäunen hindurchklettern, um den Müll nach Verwertbarem zu durchsuchen. Es war bitterkalt an diesem Sonntag, windig. Ich kann für mich noch nicht mal in Anspruch nehmen, so etwas wie "Mitleid" empfunden zu haben, denn wenn es so gewesen wäre, hätte ich irgendetwas tun müssen, reagieren, helfen. Aber ich sass ziemlich ratlos, feige und dumm, ein hohler und hilfloser Geck an meinem Schreibtisch, inmitten des Überflusses meines Lebens, sah sie kommen, den Zaun hochheben, und die Klappen öffnen. Das sind keine Kinder, die das mal spasseshalber machen. Das ist das Land, das man nicht herzeigt, wenn man von so harmlosen Dingen wie Sozialgefälle oder Hartz 4 spricht.

Ich weiss nicht mal, ob es richtig ist, dann noch die Kamera zu heben und das Bild zu machen, geschweige denn es zu zeigen. Aber ich denke, dass es Autor und Lesern nicht schaden kann, sich zumindest einmal diesen Aspekt der Realität zu vergegenwärtigen, bevor es dann morgen mit der Nichtigkeit des Lebens als schlechterer Sohn der besseren Gesellschaft weiter geht. Es ist kein schönes Bild, und vielleicht hilft es beim Umgang mit dieser Realität, wenn ich noch erzähle, dass sich die beiden da unten unterhalten haben und dann wegen irgendwas gelacht haben, trotz allem, während ich da oben sass, nicht wusste was ich tun sollte, und der Kitt aus den Bruchstellen der mich wahrscheinlich ausmachenden Dünkel, Lügen und Einbildungen rieselte.

Dienstag, 1. Februar 2005, 03:39, von donalphons | |comment

 
Bitter.
Man ist schneller draussen als man denkt. Auch das 1/5 der Gesellschaft, von dem du sprichst, wird nicht verschont. Ich kenne einige ehemalige NE-Entrepeneure die heute an der Tonne stehen ...

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Ich war gestern drauf und drann, von zwei Fällen von Privatinsolvenz zu erzählen, als die andere seite ebenfalls so was auf Lager hatte. Das ist in allen Fällen nicht lustig, aber immer noch Welten Unterschied.

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Gegen DUMM kann man nix machen....
...gegen FEIGE schon. Also "Arsch huh", wie der Kölner sagt, raus in den Schnee (gut für den Kreislauf und die verspannten Büromuskeln), und den Leuten 2,5,10 Euro in die Hand gedrückt (tut dem Ego dann zu Recht auch gut). Es geht schließlich nicht drum, allein das Leid der Welt zu schultern, sondern konkret und aktuell etwas abzugeben. Man wird oft schräg angesehen, wenn man einem Bettler ein paar Münzen zuwirft. "Der versäuft das ja eh nur!" Ja und? Ich würde in der Situation wahrscheinlich auch saufen.

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Ja, das wäre eine Möglichkeit. Aber das würde ich nicht aufschreiben. Da bin ich anders erzogen.

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full ACK, lieber Don. Der Pauperismus ist im Land und er gehört auf die Bühne der Blogs gehoben. All diese "Dirt Photo Contests" kokettieren leider nur mit der neuen Armut - wie vieles in der Blogosphere nur differenziert und distanziert um das herumscharwenzelt, was für viele Realität ist.

Es ist richtig, die brennenden Mülltonnen zu zeigen. Und dabei ganz unironisch zu sein.

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Eigentlich wäre es an der Zeit, diesen Namenslosen eine Stimme zu geben. Dafür könnten auch blogs dienen. Erheblich schneller und einfacher als Obdachlosenzeitungen.

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dumpster diving
was den usa recht ist, muss uns doch billig sein.
ich erinnere mich noch, wie ich in den 80ern mal auf einem plattenbooklet etwas ueber food not bombs gelesen habe und da wurde u.a. der tip gegeben, noch essbares doch mit einer lage zeitungspapier ganz oben auf die muelltonne zu tun, damit die homeless sich das holen koennen. fand ich damals(und heute auch noch, aber aus anderen gruenden) bizarr.

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don, das is doch normal, ich sag nur niederbarnimstr. 6.
da gibs min. 5 locals. bekannte gesichter die öfter mal vorbeischauen und die tonnen "googeln".
geh mal hin und mach ein paar dirt pics.

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Ja, die Tonne googeln.

Ist wahrscheinlich ein neues Hobby in Friedrichshain. Early adopters. Voll dem Trend vorraus. Und abends in der Szenekneipe wird dann stolz verglichen, was man so ergoogelt hat.

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Da liegt man nichtsahnend auf dem Sofa und sieht dem Nagellack auf den Fußnägeln beim Trocknen zu, und dann kommen Sie daher und machen mir ein schlechtes Gewissen. Arme Geschöpfe. Gibt´s denn hier keine Speisung oder eine Berliner Tafel o. ä.? Nicht, dass mit so einem Wohltätigkeitspflasterchen alles in Ordnung wäre, aber so muss es doch auch nicht sein?

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Ich weiss nicht, was sein muss. Ich sehe nur, was ist. Und ich denke, ab und zu muss es eben auch im Blog sein.

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