: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 5. Februar 2005

Real Life 04.02.05 - Über den Dächern

Wir stehen in der Küche, wo bekanntlich jede bessere Party endet. Das hier ist keine Party; nur ein Verweilen, bis es spät genug ist, in die ewige Nacht über der Munich Area zu stürzen; Zoozies, später Morizz und danach vielleicht noch was anderes; das Viertel hat ausser Parkplätzen so ziemlich alles zu bieten, was zum unbeschwerten Nachtleben gehört. Aber wenn man direkt über der Isar wohnt, kann man im Wortsinne ausgehen, ohne Taxi und Cabrio. Man kann sich den Luxus leisten, erst spät zu kommen, wenn Freising und Starnberg längst, vom ewigen Warten in zweiter Reihe genervt, in das Pacha abgezogen sind. Also stehen wir in der Küche, unter dem venezianischen Leuchter, den ich ihr mal hochgemacht habe, und schauen hinaus auf die Dächer der Isarvorstadt, die hier mit ihren Mansardendächern sehr pariserisch wirkt. Sie trägt eine Mischung aus DKNY und D&G, ich trage dunkelgrau, die Farbe des Nachthimmels über dieser Stadt der Hoffnung und des Scheiterns. Nicht mein Scheitern, nicht unser Scheitern. Wir gehören zu den Gewinnern, trotz allem.

Im Hinterhaus, im Mansardendach brennt Licht, die Bewohner räumen den Tisch ab, an dem sie Wein getrunken haben, und eine der Töchter des Hauses sitzt am Klavier und spielt. Wahrscheinlich Chopin, wie sie es so oft im Sommer bei offenen Fenstern getan hat; nicht sehr gut, Chopin ist auch etwas abgeschmackt, aber doch mit einer gewissen Routine, die man sich in den Kreisen ihrer Familie erwarten kann. Bürgertum, solide, Vater Professor, Mutter Angestellte, Kinder mit vielen künstlerischen Neigungen und Studiengängen; Musik, bildende Kunst, Philosophie, höflich im gemeinsamen Treppenhaus und gern für ein kurzes Gespräch verweilend. Wir kennen sie, ihr Leben, ihre Sorgen.



Neben mir trinkt sie sich in den Betriebsfüllstand, schaut hinunter auf diese sterbende Idyll, und wir beide wissen, dass es da unten nicht gut aussieht; die Kinder haben allesamt keine Chancen im Beruf; auch die Umschulung hin zu Multimedia und Online kam bei den jungen Damen Magistrantinnen viel zu spät. Also schlagen sie sich mit Teilzeitjobs und Projektarbeit an den finanziell ausgebluteten Kunsteinrichtungen der Stadt durch. Jetzt, wo die Hypovereinsbank den grossen Verlust abgeschrieben hat, wird es nochmal schlimmer. Also zwängt sich die Familie immer noch in die 150 Quadratmeter München in bester Lage, aber gleichzeitig auch schlechtesten Aussichten und zudem einer Frau über ihnen, die für das alles nur ein zynisches Lächeln übrig hat.

Stell dir das mal vor, sagt sie, wie hier in dieser Wohnung mit drei anderen Leute, so wär das, absolut unvorstellbar. Das sagt ich natürlich leicht, wenn man, wie sie, die alte Wohnung ein Jahr leer stehen lässt, bis man sich mal dazu aufrafft, Studenten zu bestellen, die die Wohnung dann zum Verkauf herrichten. Eine Wohnung, die sich keine der drei Töchter dort unten leisten könnte, nicht zur Miete und schon gar nicht als Eigentumswohnung. Wir haben viel von dem negiert, was die Menschen da unten ausmacht; wir haben das Klavier, Chopin und den Unterricht gehasst, haben oft genug Orte, Kreise und Vorstellungen gewechselt, als wären es Hemden, noch nicht mal von van Laack. Aber irgendwo gibt es vielleicht doch dieses Gen, das einen im richtigen Moment die richtige Dreistigkeit haben lässt, durch die man den die bekannte Gesellschaft zertrümmernden Tornado überlebt und für sich nutzt. Deshalb stehen wir hier oben, sie als regulatives Element der Katastrophe und ich als deren Chronist. Wir haben beide die Werte unserer Herkunft negiert, denn in den Augen unserer Eltern wäre das da unten nahe einem Idealzustand. Für sie ist es in Fall nur ein banaler Fall von sozialem Abstieg, und für mich eine Welt, die es nicht mehr lang geben wird.

Es werden wenige Gewinner sein, und viele Verlierer. Es wird die Regel sein, dass fünf soviel haben wie einer und umgekehrt, und dazwischen wird es wenig geben. Wir beide wissen das; ihr ist es mehr oder weniger egal, solange sie auf der richtigen Seite ist, und ich tue nichts dagegen. Ausser schreiben. Aber das ist zu wenig. Viel zu wenig, zumal, wenn man trotzdem Teil der richtigen Seite ist und danach in überteuerte Locations geht, wo sich Studenten für den Irrglauben ausnehmen lassen, zumindest einen Abend lang das angenehme Leben zu führen, das sie nach dem Studium im Afterwork täglich haben werden. Aber wenigstens sind es nicht die billigen Schuppen, in denen sich die Elitessen abfüllen, die mich in den nächsten Tagen erwarten.

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