: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 17. Januar 2008

Deutsche Wertarbeit

Oh, keine Frage. Für Bochum ist der Wegzug von Nokia schlimm. Und das Verhalten der Firma ist ohne jeden Zweifel von der ganz üblen Sorte. Wer jetzt kein Nokia-Handy kauft, hat völlig recht. So geht das, mit der Globalisierung. So, wie die chinesischen Schmierer mit ihren kombinierten Standortvorteilen den japanischen Industriedieben das Geschäft mit eigentlich koreanischem Imariporzellan kaputt gemacht haben, so rauben uns jetzt die Rumänen die Fertigung von Elektronik, die wir von den Finnen haben.

Aber. Die Herstellung von Mobiltelefonen ist eine Industrie mit viel Vergangenheit in der Geschichte der Kommunikation, aber wenig bis gar keiner Zukunft. Der Markt ist gesättigt, praktisch alle Funktionen sind jetzt schon drin, und demnächst wird Nokia erstaunt feststellen, dass man eine Sim-Card auch in ein Sub-Notebook der Grösse des guten, alten Psion Revo stecken kann. Und dann bricht es den Markt auf, in Billigkram für Seltentelefonierer und eine Allesjetztsofortmaschine, bei der das Telefon nur noch ein Headset ist. Was in Bochum jetzt schliesst, ist das Kohlerevier von 2009. Es macht keinen Sinn, Produkte herzustellen, die keinen Wert haben. Dass sie tatsächlich keinen Wert haben, merkt jeder, der mal bei Ebay nach dem Wert seines ein Jahr alten Telefons schaut. Meines, eine Meisterleistung eines koreanischen Herstellers, kostete vor drei Jahren 500 Euro. Heute ist es nur geringfügig teuerer als der versicherte Versand.

Obendrein ist alles, was mit Mobilfunk zu tun hat, extrem krisenanfällig. Mobilfunk ist Luxus, SMS und Gequassel teurer, sinnloser Kommunikationsmüll, der schnell verzichtbar ist, wenn es durch Bankenkrise und Rezession abwärts geht. Ein Sparpotential, mehr nicht. Überflüssig und zwingend zu reduzieren, wenn es denen an die Existenz geht, die den grössten Umsatz erzeugen: Jugendliche mit wenig, dann noch weniger Geld. Schlechte Zeiten sind gute Aufräumer mit Zivilisationsmüll. Tschüss Nokia, viel Spass beim Verrecken in Siebenbürgen, dem Balkan-Bochum.

Man merkt vielleicht, dass ich kein Freund der elektronischen und anderweitigen Wertvernichtungsmaschinen bin, die Werbung und Marketing uns einzureden versuchen. Die sind in einer Industriegesellschaft zwar möglicherweise tatsächlich nötig, um die Produktionsmaschine und die gesteigerte Produktivität am Laufen zu halten, aber mein Herz schlägt für Dinge und Anbieter, die sich dem ganzen System entkoppeln. Wie etwa mein Freund Machmud. Machmud war früher auf dem Antikmarkt in Schöneberg, und ist nun im Winter meist an der Strasse des 17. Juli. Machmud hat kein Marketing, er beschäftigt keine Anja-Tanja, fährt aber einen Kombi aus meiner Heimatstadt, und hat Sinn und Gefühl für Werthaltigkeit. Werthaltigkeit ist, genau genommen, der Kern seines Geschäftsmodells. Und ergänzt sich ganz famos mit meinem Geschäftsmodell, das darin besteht, Werthaltigkeit nicht nur zu fühlen und anzunehmen, sondern zu kennen. Besser als Machmud. Machmud weiss auch ohne Stempel, wenn er Silber in der Hand hat - aber den Unterschied zwischen Art-Deco und Rokoko macht er am höheren Gewicht der neueren Stücke fest, ich hingegen am Alter.



Diese Messer und Gabeln sind, den Rocaillen zufolge, mindestens 200, wahrscheinlich aber eher 230 Jahre alt, haben keinerlei Branding, noch nicht mal eine entzifferbare Meistermarke, wurden aber gut behandelt und sind heute - im Gegensatz zu einem anderen, leicht beschädigten Satz in meinem Besitz - noch benutzbar. 230 Jahre bedeutet, dass sie vermutlich zehn oder mehr Besitzer gesehen haben, und jeder Besitzer ging so pfleglich damit um, dass sie auch in 230 Jahren immer noch benutzt werden könnten - sollte man dann noch so etwas wie Tischsitten kennen, was, nach Sichtung essender gemeiner Berliner und Münchner Immobilienmanager zugegeben, nicht allzu wahrscheinlich ist.

Dennoch ist zu fragen, wie lange so ein Nokia-Handy aus dem deutschen Siebenbürgen funktioniert, das gerade jetzt in etwa den Neuwert des aktuellen Schätzpreises des Bestecks hat, laut der einschlägigen Auktionshäuser jenseits von Ebay. Fünf Jahre? Höchstens. Man würde mich für verrückt halten, würde ich das Besteck 2013 auf den Müll werfen - aber genau das tun Handykäufer. 2018 dann wieder, 2023 erneut, immer weiter.

Ich denke, es gibt für eine Gesellschaft sinnvollere Tätigkeiten als Wertvernichtung. Und es wäre schön, wenn die Politik solche Tätigkeiten fördern würde, statt den Verschwendern noch Geld hinterher zu werfen.

... link (57 Kommentare)   ... comment


Empfehlung heute - Was Deutsche für Mut halten

Man könnte natürlich auch sagen, dass das Time Magazine nicht weniger daneben lag, als es Leute wie Hitler, Stalin, und auch nicht ganz unproblematisch, Putin zum Mann des Jahres machte.

Aber: Mit Hubert Burda und seinem Bambi-Preis und dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher haben zwei Personen bei einer Ehrung für besonderen "Mut" mitgemacht, die sich vielleicht vorher mal mit dem Objekt ihrer Ehrung Tom Cruise und Scientology auseinandersetzen hätten müssen. Momentan versucht Scientology, die Verbreitung dieses Videos aufzuhalten, in dem Cruise über Scientology spricht, und nur bedingt den Eindruck macht, er könnte jemand sein, den man als Vorbild haben wollte.

Das sollten sich vielleicht auch mal die Fleischtopfblogger anschauen, die demnächst zu Herrn Burda auf den DLD fahren.

... link (13 Kommentare)   ... comment