Bar Centrale

Ende der 80er ereignete sich in der Gastronomie der Provinzstadt ein entscheidender Wandel. Ein italienischer Gastronom hatte verstanden, dass noch eine Pizzeria etwas viel für den in andere kulinarische Ecken abschweifenden Geschmack der Provinzler war, und dass die Jugend, zumal die mit besserverdienenden Eltern, kein auch nur halbwegs akzeptables Cafe hatte. Er mietete einen langen, schlanken Raum, packte eine Theke und einen gut aussehenden, italienischen Barmann hinein, hängte Bilder des Radidols Fausto Coppi an die Wand, und schon kam die Kundschaft von Schulaus bis Ganzspätnachts.

Es war sehr angenehm, so gegen 17 Uhr in der Bar Centrale einzulaufen, während Francesco nochmal die Bar polierte, und dann zu warten, bis sich der Laden füllte; gegen 22 Uhr war dann absolut kein Platz mehr frei, und der Geräuschpegel war erheblich. Die Bar Centrale war ein Aussenposten von München. Es war die Schule der - damals hiess das noch so - Popper und Yuppies, man blieb unter sich, und wer schon studierte und nur am Wochenende kam, um seine Wäsche machen zu lassen, wusste, dass er hier die alten Freunde treffen konnte, und die neuen Geschichten aus Frankfurt, Hamburg und Köln hören würde - nein, Berlin war damals nicht dabei, das galt als unvorstellbar.



Inzwischen ist die Bar umgezogen, und das Publikum ist auch dabei. Jetzt ist es Mitte/Ende 30, und trägt in der Freizeit Jeans und Lederjacken, was Ende der 90er kaum unvorstellbar gewesen wäre, als es in der Provinz sogar noch Jean Paul Gaultiers Sublabel Bogy´s pour Gibo gab. Man könnte fragen, ob es vielleicht schon was mit der Midlife Crisis zu tun hat, aber ich kann mir das bei den Hiergebliebenen schlecht vorstellen, so selbstsicher und unreflektiert die schon immer waren. Es gibt nur eine wirkliche Veränderung: In und vor der Bar Centrale sind sehr oft Kinderwägen mit wenig dezentem Inhalt. Vermutlich redet man dort heute mehr über Windeln denn über Lebensabschnittspartner, und auch die meisten ausserehelichen Fickkombinationen der Provinzstadt dürfte man inzwischen durch haben.

Egal. Man kann sich trotzdem noch draussen hinstellen, mit dem Espresso, wenn im November die Sonne runterknallt und diese windgeschützte Südecke der Provinzstadt aufheizt, die Sonnenbrille ins Haar stecken, bevor es dann wieder in den Job geht, und am Abend dann mit den Blagen vor die Glotze. Vermute ich mal, denn ich selbst vermeide die Bar Centrale aus Unlust, dort die ein oder andere frühere Bekannte mit ihrem Ehedingsda zu sehen.

In Italien sitzen in der Bar Centrale meistens die alten Säcke, schauen im Sommer den Touristinnen hinterher und im Winter auf ihr belangloses Leben zurück. Die Bar Centrale in der Provinzstadt hat treue Kunden mit einem belanglosen Leben, und wenn das noch 30 Jahre so weiter geht, wird es auch hier das echt italienische Flair einer Ansammlung alter, desillusionierter und gelangweilter Greise geben, die auf die Jugend schimpfen, auf die Fussballübertragungen am Wochenende warten und den Elitessen der lokalen Uni hinterher schauen, die sicher glauben, dass ihr Leben mal ganz anders, spannend und aufregend wird.

Donnerstag, 25. November 2004, 19:35, von donalphons | |comment

 
Eighties
In meiner wohlgeordneten Heimatstadt in der Provinz hiessen die gastronomischen Goldgruben dieser Art Ennui und Coco Bello.
Allerdings gab es auch noch die Zottel-, Ök- und Christenläden wie das Kassandra und das Café Klatsch.
Gab es sowas auch überall?

... link  

 
Ein Cafe Klatsch haben wir auch, bis heute. Und die Christen- und sonstigen Sifläden ebenfalls, ebenfalls bis heute. Die beiden wirklich akzeptablen Discos sind aber inzwischen längst zu oder ein Teil des Königreichssaals der Zeugen Jehova. So kann´s gehen.

... link  

 
coco und ennui
das hört sich ja ganz nach nördlichem Stuttgarter Vorort an... Paßt aber gut in die Beschreibung :-)

... link  

 
Überall das gleiche. Furchtbar.

... link  


... comment
 
Manchmal...
...wünsche ich mir, Sie hätten eine Ahnung davon, was für Glückmomente daraus erwachsen können, eigene Kinder zu haben. Nicht nur, aber auch, sogar fast jeden Tag. Manchmal ist es vielleicht ein kleines bisschen vergleichbar mit dem Glücksgefühl, als Jugendlicher mit Evelyn Rücken an Rücken am See zu sitzen.

... link  

 
Hey, man kann aus der Provinz kommen, in der Metropole leben, das Anything-goes-Leben führen, und prächtige Kinder haben. Alles gleichzeitig. Ist ein wenig anstrengend, aber geht (bis jetzt).

... link  

 
Nachdem meine Eltern gerade heute eine erheblich Summe für die Reparatur meiner zukünfigen Barchetta locker gemacht haben, denke ich angesichts ihres etwas erbosten Anblicks, dass ich das mitsamt aller weiteren Glücksmomente anderen überlasse. Wirklich. Ich will niemandem was von seiner Freude wegnehmen.

... link  

 
OK, manche Leute...
...haben einfach Pech mit ihren Kindern. :-)

... link  

 
Und manche Kinder haben einfach Glück mit ihren Eltern ;-)

... link  

 
Kontinuitäten
In meiner Stammbar trifft sich die Generation Inge Viett mit den Streetfighterstudis von heute, Lederkluft und Kufaya (vulgo Palästinensertuch, üsste eigentlich, wenn schon, Kurdentuch heißen) oder Parka sind angesagt, und man hat fast den Eindruck, die 1980er hätten nie aufgehört. Oder eigentlich die 1970er, aber da gab es den Metal und Hip Hop, der aus der Anlage dröhnt, noch nicht :-)

... link  

 
Mamma ich kann nicht mehr ...
... klingt mit 35 doof und endet in diesen elegischen
(static final void) greise Eltern- erwachsene Kinder - Agglomeraten die nicht von kleinen nervenden Monden umkreist werden - man ist stilvoll und wohlgekleidet (oftmals Loden) in den Wohnungen tuermen sich Antiquitaeten, die Doppelgaragen sind mit Oberklasseautomobilen gefuellt, Garten gepflegt, alles ist distinguiert und so weiter und so weiter - aber gleichtzeitig ist auch alles zuende - (static final void)

Finalement dann grosse Freude beim oertlichen Tierheim.

"Ich dachte, ich dachte - da kommt nichts mehr" wie weiland Hanno Buddenbrook so schoen sagte ...

... link  

 
Darunter brütet aber so manches Übel, und Abgründe tun sich auf. Wer die Gegend kennt, weiss, dass es daauch nicht immer still, ruhig und zufrieden zu geht.

... link  


... comment
 
und ein weiteres mal bin ich erstaunt, wie kompliziert die dinge durch deine stilbrille aussehen, wie verzwickt es sein muss, alles über soziale positionen zu definieren und nicht fuer sich selbst sehen zu koennen.
fuer mich ist dir bar centrale einfach nur das, was sie auch fuer die betreiber sein soll: ein platz um gemuetlich einen hervorragenden cappuccino zu schluerfen und das leben an sich vorbeiziehen zu lassen. aber warum einfach, wenns auch kompliziert geht - und ausserdem haette man dann ja nichts zu bloggen, gell :-)

... link  

 
Für sich selbst stehen können müsste man erst mal lernen, und das bringt einem in dieser Knierutscher- und Bänkchenküssermetropole keiner bei.

... link  


... comment