Real Life 21.02.05 - Call Center World
Ich halte mich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung und presche unter den Brücken hoch zu den Gates. Direkt davor ist ein Parkplatz frei, Glück gehabt. Ich trage einen braunen Dufflecoat, ein weiches, dunkelbraunes Sakko, Hose, Schuhe. Ich steige aus und bin im falschen Film. Männer in Anzügen, schwarz, dreiteilig, billiger Stoff und schlecht geschnitten, unsauber gebundene Krawatten. So muss sich der Brite gefühlt haben, wenn er bei der Grand Tour im Berlin der 20er Jahre Bakanntschaft mit der Unterwelt gemacht hat. Aber wir schreiben das Jahr 2005, und es ist der Flughafen Tegel, wo zwar viel seltsames, runtergekommenes Publikum rumläuft, aber eben anders als diese kaputten Bizz-Typen. Egal, es ist 11 Uhr, sie muss jede Sekunde auschecken, also eile ich zu Gate 2.
Gate 2, der Ausgang des Billigfliegers dba, ist sowas wie der Versammlungsplatz dieser seltsamen Typen, die sich in ihren Anzügen erkennbar unwohl fühlen. Sie sind sauber rasiert, aber hektisch, sprechen kurz abgehackt; manche erteilen Befehle, andere, meist Jüngere, die aussehen wie Fünftsemester Maschinenbau beim Pitch um Venture Capital, gehorchen. Sie warten auf die gleiche Maschine wie ich, und sie warten lange, denn, wie sich herausstellt, verzögert sich die Ankunft wegen Schnee in München. Ich gehe nochmal zum Auto, nehme Shakespeares Richard III und setze mich drinnen wieder unter diese absurden Gestalten, die sichtlich genervt sind vom Warten, unzufrieden, böse. Niemand lächelt, die Stimmung ist eisig. Richard von Gloster, später Richard der Dritte, bringt seinen Bruder um, dann ruft sie mich an, um ihre Verspätung zu entschuldigen. In München warten die Billigflieger wie die Businessklässler auf eine freie Startbahn.
Es ist normal, dass sie eine Billigmaschine für die paar Stunden Pressekonferenz und Mittagessen mit mir nimmt. Aber irgendwas seltsames muss in der Maschine sein, halbseiden, vielleicht ein Betrüger, ein Leuteschinder; irgendwas, was diese Typen hier anzieht, die eine masslose Unzufriedenheit ausstrahlen, vielleicht auch Gier und eine gewisse Raubtiermentalität. Ich kenne sie von früher, immer das gleiche, die Fördergeldratten, die Subventionsabstauber, die Förderungsforderer, die nichts bieten ausser Macjobs und aussertarifliche Arbeitsbedingungen. Das war 2001, nach dem Crash, aber heute ist 2005, was wollen die hier und warum sind es so viele.
Richard III lässt seine Familie ermorden, da tritt von Links eine weitere Person auf, kein Zweifel, dass sie dazu gehört, aber es ist eine Frau. Jemand hätte ihr sagen sollen, dass ihr russischer Prinzessinnenmantel in Sauerkirschyogurthrosa nicht wirklich gut kommt. Jemand hätte ihr sagen sollen, dass die dunkle, gestreifte Hose zu affektiert ist, und vielleicht noch hinzufügen können, dass die Dose Haarspray in ihrer Businessfrisur nicht darüber hinwegtäuscht, dass sie nicht mehr ganz jung ist, so wie die meisten, die ihre besten Zeiten in der New Economy verplempert haben. Allerdings hätte dieser Jemand kein gutes Leben mehr gehabt, denn diese Frau ist die personifizierte Intrige, der Typ, der immer irgenwie nach oben kommt, um unter sich Unheil anzurichten. Und irgendwann so mächtig zu sein, dass sich keiner mehr was sagen traut.
Richard III und sein Gegner Richmond erhalten Besuch von den Geistern derer, die Richard mit Worten wie "If any spark of life be yet remaining, down down to hell and say I sent thee hither" um die Ecke gebracht hat, da hat sie die Schnauze voll vom Warten, zieht aus ihrer Handtasche Unterlagen und ein Handy, ruft jemand an und macht ihn mit nicht wirklich verschönernden, wütenden Gesichtszügen zur Sau; redet sich mit Worten wie Telco, Handy und Outsorcing in Rage, und schiebt die Lippen verächtlich nach vorne, als sie auflegt. Dann ist der nächste am Drannsten, aber dafür geht sie etwas weiter weg, weil die billigen Typen in ihren Anzügen schon etwas seltsam schauen. In einer Ecke hinter einem Werbeplakat setzt sie ihr Vernichtungswerk fort, und mir fällt auf, dass einer der übergrossen schwarzen Knöpfe an ihrer sauerkirschyogurthrosanen Oberbekleidung fehlt und durch einen anderen, kleineren, durchsichtigen ersetzt ist.
Richmond bringt Richard III um, ruft zum Frieden zwischen weisser und roter Rose auf, da landet das Flugzeug, und meine Bekannte kommt heraus. Hinter ihr ist ein Schwarm von schlecht frisierten, billig schwarz angezogenen, wenig ansprechenden Typen, deren Bilder viel Photoshop bräuchten, wenn sie mal auf die Vorstandsseiten sollen. Die anderen Männer, die gewartet haben, gehen ihnen entgegen. Sie verschmelzen zu einer homogenen Masse verlogener, routinierter Freundschaftsrituale. Einer der Neuankömmlinge, Typ braungebrannter Gebrauchtwagenhändler, bleibt stehen und schaut sich um, sieht die Frau in Rosa, die gerade im Schmutz kniet, und ihr Handy in der Tasche verstaut. Sie sieht ihn von unten an, ihr Gesicht ist ungesund rot, und lächelt berufsmässig.
Ich verlasse mit meiner Bekannten das Gate. Draussen stehen etliche schwarze Mittelklasse-Mercedeslimousinen, auf denen notdürftig "Call Center World VIP-Shuttle" aufgeklebt ist. In der Tat... Wir fahren zum Essen, und ich bin wie immer sehr angetan von ihrer ruhigen, höflichen Art und ihren kleinen, bitterbösen Bemerkungen.
Gate 2, der Ausgang des Billigfliegers dba, ist sowas wie der Versammlungsplatz dieser seltsamen Typen, die sich in ihren Anzügen erkennbar unwohl fühlen. Sie sind sauber rasiert, aber hektisch, sprechen kurz abgehackt; manche erteilen Befehle, andere, meist Jüngere, die aussehen wie Fünftsemester Maschinenbau beim Pitch um Venture Capital, gehorchen. Sie warten auf die gleiche Maschine wie ich, und sie warten lange, denn, wie sich herausstellt, verzögert sich die Ankunft wegen Schnee in München. Ich gehe nochmal zum Auto, nehme Shakespeares Richard III und setze mich drinnen wieder unter diese absurden Gestalten, die sichtlich genervt sind vom Warten, unzufrieden, böse. Niemand lächelt, die Stimmung ist eisig. Richard von Gloster, später Richard der Dritte, bringt seinen Bruder um, dann ruft sie mich an, um ihre Verspätung zu entschuldigen. In München warten die Billigflieger wie die Businessklässler auf eine freie Startbahn.
Es ist normal, dass sie eine Billigmaschine für die paar Stunden Pressekonferenz und Mittagessen mit mir nimmt. Aber irgendwas seltsames muss in der Maschine sein, halbseiden, vielleicht ein Betrüger, ein Leuteschinder; irgendwas, was diese Typen hier anzieht, die eine masslose Unzufriedenheit ausstrahlen, vielleicht auch Gier und eine gewisse Raubtiermentalität. Ich kenne sie von früher, immer das gleiche, die Fördergeldratten, die Subventionsabstauber, die Förderungsforderer, die nichts bieten ausser Macjobs und aussertarifliche Arbeitsbedingungen. Das war 2001, nach dem Crash, aber heute ist 2005, was wollen die hier und warum sind es so viele.
Richard III lässt seine Familie ermorden, da tritt von Links eine weitere Person auf, kein Zweifel, dass sie dazu gehört, aber es ist eine Frau. Jemand hätte ihr sagen sollen, dass ihr russischer Prinzessinnenmantel in Sauerkirschyogurthrosa nicht wirklich gut kommt. Jemand hätte ihr sagen sollen, dass die dunkle, gestreifte Hose zu affektiert ist, und vielleicht noch hinzufügen können, dass die Dose Haarspray in ihrer Businessfrisur nicht darüber hinwegtäuscht, dass sie nicht mehr ganz jung ist, so wie die meisten, die ihre besten Zeiten in der New Economy verplempert haben. Allerdings hätte dieser Jemand kein gutes Leben mehr gehabt, denn diese Frau ist die personifizierte Intrige, der Typ, der immer irgenwie nach oben kommt, um unter sich Unheil anzurichten. Und irgendwann so mächtig zu sein, dass sich keiner mehr was sagen traut.
Richard III und sein Gegner Richmond erhalten Besuch von den Geistern derer, die Richard mit Worten wie "If any spark of life be yet remaining, down down to hell and say I sent thee hither" um die Ecke gebracht hat, da hat sie die Schnauze voll vom Warten, zieht aus ihrer Handtasche Unterlagen und ein Handy, ruft jemand an und macht ihn mit nicht wirklich verschönernden, wütenden Gesichtszügen zur Sau; redet sich mit Worten wie Telco, Handy und Outsorcing in Rage, und schiebt die Lippen verächtlich nach vorne, als sie auflegt. Dann ist der nächste am Drannsten, aber dafür geht sie etwas weiter weg, weil die billigen Typen in ihren Anzügen schon etwas seltsam schauen. In einer Ecke hinter einem Werbeplakat setzt sie ihr Vernichtungswerk fort, und mir fällt auf, dass einer der übergrossen schwarzen Knöpfe an ihrer sauerkirschyogurthrosanen Oberbekleidung fehlt und durch einen anderen, kleineren, durchsichtigen ersetzt ist.
Richmond bringt Richard III um, ruft zum Frieden zwischen weisser und roter Rose auf, da landet das Flugzeug, und meine Bekannte kommt heraus. Hinter ihr ist ein Schwarm von schlecht frisierten, billig schwarz angezogenen, wenig ansprechenden Typen, deren Bilder viel Photoshop bräuchten, wenn sie mal auf die Vorstandsseiten sollen. Die anderen Männer, die gewartet haben, gehen ihnen entgegen. Sie verschmelzen zu einer homogenen Masse verlogener, routinierter Freundschaftsrituale. Einer der Neuankömmlinge, Typ braungebrannter Gebrauchtwagenhändler, bleibt stehen und schaut sich um, sieht die Frau in Rosa, die gerade im Schmutz kniet, und ihr Handy in der Tasche verstaut. Sie sieht ihn von unten an, ihr Gesicht ist ungesund rot, und lächelt berufsmässig.
Ich verlasse mit meiner Bekannten das Gate. Draussen stehen etliche schwarze Mittelklasse-Mercedeslimousinen, auf denen notdürftig "Call Center World VIP-Shuttle" aufgeklebt ist. In der Tat... Wir fahren zum Essen, und ich bin wie immer sehr angetan von ihrer ruhigen, höflichen Art und ihren kleinen, bitterbösen Bemerkungen.
donalphons, 19:47h
Montag, 21. Februar 2005, 19:47, von donalphons |
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che2001,
Montag, 21. Februar 2005, 20:11
Sowas gibt es also immer noch oder schon wieder? Bei uns war das damals etwas anders: Wir waren bei den Events richtig gut angezogen (Calvin Klein, Boss, Hechter, Cardin9, am Arbeitsplatz trugen wir Kapuzenshirts und Lederhosen. Niemand wäre so spießig gewesen, Mercedes zu fahren. Für die Vorstände gab es Dienstporsches, für das Fußvolk Boxter, TT, A 4 oder Passat. Unser VC waren Anteile von Partnerfirmen, kein Geld aus Fonds oder irgendwelchen Fördertöpfen. Und dann Die-Da: Die Schleimer der Geld sinnlos verbrennenden Unternehmen der Branche, die vor Betrug und Unterschlagung im Sinne des Strafrechts nicht zurückschreckten. Komische Fönfrisuren mit ins Gesicht hängender Schwuchtellocke, völlig affige Gucci-Schuhe, Anzüge aus Seide, die irgendwie halbseiden wirkten. Leute, die uns bei unserem IPO beraten wollten und die ganze Zeit den Eindruck machten, sie wären nur wegen der Caipi her. Und sie wirkten in ihren teuren Klamotten deplaziert, man merkte, dass sie nicht hineingehörten. Die fuhren auch Mercedes. SLK. Als Dienstwagen.
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donalphons,
Montag, 21. Februar 2005, 20:14
Call Center Entrepreneure leben nun mal von der Dummheit der staatlichen Fördervergabestellen und der Feigheit von Mittelständlern und IT-Firmen sowie von der Dreistigkeit dreckiger Marketingklitschen. Da passt K&L&Mercedes.
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donalphons,
Montag, 21. Februar 2005, 22:52
Normalerweise ist dafür die Putzfrau zuständig (die man sich in diesen Kreisen nicht mehr leisten kann).
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