: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 28. April 2005

Heim als Fremder

Von den Leuten, mit denen ich mich in der New Economy in der Munich Area blendend verstanden habe - allesamt ein weinig zynisch, witzig, auch in schlimmen Stunden noch gelassen und menschlich - sind vier inzwischen nicht mehr da; drei davon sogar im Ausland. Die andere Seite ist noch da, verbissen, verbittert, voller selbstgerechtem Schmerz, und immer noch uneinsichtig.

Vielleicht sollte ich ganz aus den Metropolen wegziehen. Im Prinzip kann man das, was ich tun muss, mit DSLund Telefon überall machen. Nichts gegen Cluster, nichts gegen Areas, aber ich denke, dass die verbliebenen Reste in München keine besonders schöne Lebensumgebung sind. Ganz München ist nur noch ein grosser OpenBC-Stammtisch. Extreme Schulterklopfing ist das Zukunftsgeschäft. Auf allen Freiberuflerseiten wird "wir" stehen, auch wenn der Boss gleichzeitig die Putzfrau ist und das Office nicht besucht werden sollte, weil es daheim ist.

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Real Life 27.04.2005 - in Herrn Miris Reich

So ganz hast du die Microökonomie des Kellers noch nicht verstanden. Von Aussen sieht es nach absolut nichts aus, kaum jemand, der es nicht kennt, verirrt sich hierher. Über eine enge Treppe geht es in ein schlecht beleuchtetes Souterrain. Mit dem, was hier unten steht, könnte man fünf Antiquitätenläden in bester Lage Münchens füllen. Wer das wohl alles kauft? Aber Woche für Woche verschwindet ein dir bekanntes Stück, und ein neues taucht auf. Es gibt nicht viele Käufer - aber wer kommt, sagt her Miri, nimmt immer etwas mit.

Du bist wegen deiner kleinen Schwester da, die ein Jahr lang eine Silbermenage wollte und sich jetzt endlich dazu durchgerungen hat, sie zu kaufen. Wie sich herrausstellt, bist du auch dazu da, später auch noch ein paar Biedermeier-Brotschalen zum Auto zu schleppen, Spiegel zu prüfen, in Uhrwerke zu schauen. Man kämpft sich Millimeter für Millimeter an den Vitrienen vorbei, die auch schon ein Vermögen kosten würden, wenn sie hier nicht banale Lagermöglichkeiten für weitere Schätze, klein und kostbar, wären.

Für jedes Teil, das sie nimmt, entdeckt sie drei andere, die sie haben will. Es ist viel, sehr viel. Du stehst daneben und unterdrückst ein Lachen - seit ein paar Stunden solltest du mit ihr beim Essen sitzen, aber Herr Miri lässt sich Zeit, erklärt, berät, und bietet Package Prices, die die Standhaftigkeit deiner kleinen Schwester so hart wie Marzipan werden lässt. Es wird mehr als vorgesehen. Du nimmst nichts, gibst nur Ratschläge, suchst nach Silberstempeln und Meistermarken. Und wenn sie lange feilschen, ziehst Du die Gemälde aus dem Stapel, findest eine Szene aus Sorrent, Mitte 18., aber auch Herr Miri weiss das, also ... vielleicht, wenn du aus Berlin gehst. Zum Abschied.



Zum Schluss zeigt er deiner Schwester noch ein Brilliantenkollier. Nicht so ein winziges mit einem Halbkaräter, sondern eines, das man im ersten Moment für Strass halten würde, denn das kann sich in echt kaum jemand leisten. Konnte es in diesem Fall wohl auch nicht. Herr Miri steckt den dazugehörigen Ring an seinen kleinen Finger, dreht ihn, erfreut sich am Glanz. Er weiss, dass es lang dauern wird, bis die richtige Kundin den Weg die enge Treppe herunter kommt. Zeit spielt für ihn keine allzu grosse Rolle, wie auch für seine Schätze.

Und wenn es dann weg ist, holt er etwas Neues. Es gibt genug gehobenes Bürgertum zum Auflösen. Er macht aber auch Schlösser - dafür hat er jetzt ein neues Lager. Er wird dir es mal zeigen, aber ihr sucht schon seit längerem einen Termin, und du hast den Verdacht, dass er gar nicht unbedingt verkaufen will, sondern sammeln und bewahren, was an verstreuten Trümmern von dem blieb, was man früher als die bessere Gesellschaft bezeichnete.

Zwischen all dem Prunk stehen auch ein paar Globen. Auf einem, aus den späten 20er Jahren, den du ganz zum Schluss entdeckst, sind noch alle damals ca. 100 Flugplätze der Welt mit kleinen Doppeldecker-Symbolen verzeichnet. Besonders abgegriffen sind die Regionen um Usedom, Biarritz und Ligurien. Da hatte jemand noch Träume, bevor alles Mitte des letzten Jahrhunderts unterging. Wer weiss, ob der Besitzer nicht auf den Kaukasus, Rumänien, Griechenland oder Nordafrika verreisen musste, und vielleicht in den Ardennen, Tunis oder im warmen, unendlich blauen Wasser vor Malta blieb.

Der Preis ist zu hoch, noch, aber nächste Woche wirst du auf einen Tee bei Herrn Miri vorbeischauen, mit ihm draussen auf der Bergmannstrasse sitzen, und noch mal ordentlich über den Preis reden. Wenn er ihn überhaupt her geben will.

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