L´Escargot

Unitalienisch sowieso, aber auch extrem unfranzösisch. Ganz gleich, wie sehr diese Stadt mit ihren neu gebrandeten Carreés und Quartiers angibt, sie bleibt so unpariserisch wie das langgezogene Fladenbrot, das die Türken hier als Baguette verkaufen. Allenfalls die Slums am Stadtrand von Paris ähneln den zentrumsnahen Teilen Berlins. Ansonsten ist Paris so sehr die Hauptstadt der Grande Nation, wie Berlin die ehemalige Frontstadt ist, die noch immer nicht weiss, wie sie mit dem Umstand umgehen soll, dass jetzt Friede ist und die Soldatenverpflegung nicht mehr kommt. Berlin wie Paris? Mais non, würden deine französischen Freunde sagen. Sie sind höflich. Und bald nicht mehr da.

Aber natürlich hat die Stadt schon früher versucht, sich nach Frankreich zu orientieren, schliesslich ist auch Potsdam an Versailles angelehnt, und auch die früher reichen Bürger leisteten sich französischen Schick, und auf dessen Spuren, bei den Wohnungsauflösern, Trödlern und Antiquitätenhändlern führt es dich in die noch intakten, fast idyllischen Wohngegenden des Weddings, wo die Strassen relativ sauber, die Wande nicht verschmiert und die Häuser halbwegs gepflegt sind. Mitunter hängen hier noch Kronleuchter statt der üblichen nackten Glühbirnen von der Decke, Marmor glänzt matt in den Hausfluren, die Gegend der Brüsseler Strasse war früher gar nicht schlecht.

Du kriechst langsam die Strasse runter, um ja keinen Laden zu übersehen, behutsam lauernd, denn du hast Zeit, und hier fährt sowieso keiner ausser dir. Die Hektik der Müllerstrasse gen Mitte verschweindet, es wird sehr bürgelich, rechts sitzen ein paar Leute auf der Strasse, und du siehst das Schild über dem Lokal, und da steht: L´Escargot, die Schnecke, na prima, denkst du dir, wer hier schon mit dieser wenig beliebten Spezialität wirbt, muss es wohl ernst meinen mit den französischen Ansprüchen - und du hast heute Abend ohnehin ein Date, und französisch, das wäre doch mal wieder schön...



Essen gibt´s bei Restaur.antville

Donnerstag, 19. Mai 2005, 05:52, von donalphons | |comment

 
Der Setzling?
sehr schöne Beschreibung der heimlichen Flaniermeile in diesem sehr speziellen Bezirk.
Für mich hat sich immer noch hartnäckig der alte Name eingeprägt.

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Danke für den formidablen Tipp, mais: Comme tu trouve quelquechose qu´est positive en Berlin, tu sais: C´est un exception, chaque découverte negatif est "typique".

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man ist immer wieder überrascht vom Wedding. Gut, das heisst nichts, Berlin überrascht mich auch jeden tag, aber leider nicht positiv....

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Was ist bloß los mit Berlin?
fragt man sich doch: ein Novell-Verkäufer aus Berlin, der gestern in Bonn seine Schäfchen (Kunden) heimsuchte, meinte, dass Bonn richtig boomt, im Vergleich zu Berlin ...

Ok, Bonn geht es nicht so schlecht, aber "Boom"? Wenn das der Boom ist, was muss da bloß in Berlin los sein ...

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Ich war heute Mittag gleich wieder dort, nach dem Antique-Shopping. Es ist so: man kann sich in Berlin eine grosse Oase billig freischaufeln. In keiner Hauptstadt der westlichen Welt bekommt man sonst für 150.000 Euro 120 m² mit kompletter, schlossartiger Einrichtung - in berlin ist das, ein wenig Suchen vorrausgesetzt, überhaupt kein Problem.

Aber: Aussenrzm, um die Oase, ist dann der Dreck und das Slum. Und es wird nie genug Leute geben, um eine Kette von Oasen zu schaffen, an denen sich dann ein Viertel hochziehen könnte, auch wenn das im Wedding gerade in dieser Ecke versucht wird - in fact, man kann in dieser Strasse einen guten Abend verbringen, Essen in diesem Restaurant, dann in Schraders, zwischendrin vielleicht noch Lesung im laine Art. Aber das sind so dicke Bretter, das macht keinen Spass, wirklich nicht.

Im Prinzip ist Berlin nur als Abbaugebiet für hochklassige Antiquitäten geeignet, zurück bleibt taubes Gestein.

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