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Dienstag, 21. März 2006
Langsamer, qualvoller Tod
Das Verrecken der Musikverblödungsindustrie geht weiter. Gut so.
donalphons, 22:28h
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Die Globalisierung des Imari Porzellans
ohne die Globalisierung des Geschmacks - eine kleine Abhandlung über den Welthandel, Raub, Produkt- und andere Piraterie, drittklassige Produkte sowie die unveränderliche Dummheit der Menschen - also dem einzigen Produkt, das nicht gehandelt werden muss, weil es überall in grossen Mengen gedeiht.
7 Jahre lang, von 1592–1598, versucht das kriegerische Japan, auf dem asiatischen Festland Fuss zu fassen. Ziel der Expansion ist Korea, wo es nach anfänglichen Erfolgen bald zu einem blutiger Guerillakrieg gegen die schlecht versorgten Invasoren kommt. Das bergige Land erweist sich als schwer zu kontrollieren, und als auch noch das China der Ming-Dynastie Korea unterstützt, geben die Japaner auf - allerdings nicht ohne vorher den technologischen Vorsprung der Koreaner hemmungslos zu kopieren und die Wissensträger nach Japan zu verschleppen.
Die Japaner interessieren sich dabei besonders für die hochentwickelte Töpferei. In Korea wurde zwei besondere Formen der Keramik entwickelt, das schreiend bunte Satsuma mit aufgesetzten Figuren, und ein mit aufwendigen Ornamenten in Blau, Rot, Grün und Gold bemaltes Porzellan, das es den Japanern sehr angetan hatte. Dieses Porzellan kam in Japan eine Weile in Mode, ohne dabei wirklich als erstklassig zu gelten. Ein Nippes, mehr nicht. Es wäre vielleicht bald wieder vergessen worden, hätte sich 1630 nicht die Vereinigte Ostindische Kompanie auf einer Insel vor Nagasaki festgesetzt, um Handel mit dem ansonsten abgeschlossenen Edo-Königreich zu führen. Und eben jene Holländer, bei denen daheim gerade die Formenpracht des Barock wucherte, waren von diesem bunten Porzellan begeistert.
Denn in Europa gab es nichts vergleichbares. Das bunte Porzellan war der fehlende Stein in einem luxuriösen Stilpuzzle, das im Manierismus Wände, Möbel und Bilder überwuchert hatte, aber in der Keramik noch keinen Ausdruck gefunden hatte. Dieses Porzellan hatte von Anfang an die genau richtige Formen- und Farbenpracht, um das europäische Manko stilsicher zu beheben, und die Holländer begannen sofort mit dem Export der Stücke, die nach dem japanischen Versandhafen Imari benannt wurden.
Bestes europäisches Silber gegen minderwertigen japanischen Kitsch - das war ein Geschäft, dem auch das isolierte Japan nicht widerstehen konnte. Um Imari herum entstanden eine Reihe von Töpfersiedlungen, die ausschliesslich für den Export nach Europa produzierten. Selbst, als in Japan niemand mehr das aufdringliche, wenig sauber bemalte Zeug sehen konnte, verharrte die Produktion in den Formen, die Japan schon in Korea geklaut hatte. Hauptsache, die Langnasen zahlten und blieben ansonsten aus Japan draussen.
Aber schon damals erwiesen sich abgeschottete Märkte als wenig sinnvoll. Aus Sicht des chinesischen Festlandes war das eher dicke, schlecht gebrannte Imari Porzellan mit seinem völlig veralteten Formenschatz noch inferiorer als in Japan. Aber China war vergleichsweise offen für europäische Händler, und die dortigen Keramikproduzenten, die seit Jahrhunderten weissblaue Ware für Europa herstellten, begriffen im 18. Jahrhundert, dass sie das Imari Porzellan problemlos kopieren konnten. Schon bald hatte das billige Imari aus China den japanischen Markt mit billigeren Preisen, grösseren Mengen und einem besseren Standort 1000 Meilen näher an Europa überholt.
Das war das ein schwerer Schlag für den japanischen Hafen Imari, aber nicht für das Porzellan, das in Europa eine beständige Karriere durch alle Stilepochen mitmachte. Imari findet sich auf den Prunkstilleben des frühen 17. Jahrhunderts, es wurde am Hof Ludwigs XIV begehrt, es ist bei Watteau auf den Gemälden zu sehen, und blieb auch im Biedermeier und im viktorianischen Zeitalter das bestimmende Produkt aus Fernasien. In China brannte man stoisch Imari als Zeug für die Europäer als reine Exportware immer weiter, denn daheim wäre Imari im 18. und 19. Jahrhundert so unverkäuflich gewesen wie bei uns heutigentags Eiche Rustikal.
Allein, der Markt interessiert sich nicht für Geschmack, sondern nur für Geld. Europas merkantilistisch eingestellte Fürstenhäuser sahen das schöne amerikanische Silber nach Osten fliessen, und versuchten, Imari daheim herzustellen. Das mündete in die Erfindung des europäischen Porzellans, das zu Beginn vor allem Imari zu kopieren versuchte. Meissen, Limoge, Nymphenburg sind nur die bekanntesten Vertreter einer Zunft, die ihren Aufstieg der Produktpiraterie an drittklassigem Kitsch verdanken, der zu diesem Zeitpunkt bereits schon zweimal aus Korea und Japan vorgeklaut war. Es mag die Asiaten getröstet haben, dass die Europäer dumm genug waren zu glauben, damit ein Stück echter asiatischer Lebenskultur eingeführt zu haben.
Da aber die Dummen weder zeitlich noch örtlich begrenzt sind, hat die Geschichte ein Nachspiel. Mit dem Ende der chinesischen Qing-Dynastie 1911 und den beginnenden Bürgerkriegen, sowie dem Ersten Weltkrieg und der anbrechenden industriellen Moderne geht auch die chinesische Produktion von Imari Porzellan zu Ende. Danach folgt ein für Asien extrem unglückliches Jahrhundert von Krieg, Unterdrückung, Diktaturen und Vernichtung aller kulturellen Traditionen. Japan wird zwangseuropäisiert, China unter der Kulturrevolution untergepflügt, Koreas Elite wird ausgelöscht, Thailand verkommt zum globalen Bordell, und die Hochkultur der Khmer wird auf den Killing Fields erschlagen. Die rasend schnelle digitale Moderne in Fernasien ist eine direkte Folge der Vernichtung der Vergangenheit, eine Suche nach neuer Identität auf der geistig-moralischen Tabula Rasa.
Ohne Geschichte und Herkunft in einer plattgemachten Gesellschaft, beginnen die neuen Eliten mit der Suche nach Werten und Traditionen. Das ist nichts zwingend Positives, ganz im Gegenteil; meist gleicht es den peinlichen Legitimationsversuchen mittelalterlicher Europäer, die partout von Hektor, Achill, Romulus oder Cäsar abstammen wollten. Und jeden Preis bezahlten, wenn man ihnen die passenden "Beweise" herbeischaffte. Die gleiche Suche findet gerade in den wirtschaftlich boomenden Riesenstädten Chinas und Koreas statt. Dort will eine neue Oberschicht weg vom Staub der Flussebenen, aus der Opa kam, wg von den Verbrechen der Kulturrevolution, an denen sich der Vater beteiligte. Man will wieder eine vorzeigbare Geschichte haben, schön bunt soll sie sein, sehr chinesisch aussehen, alt natürlich, um Tradition vorzutäuschen, und vorzeigbar.
Und so werden die Asiatika-Auktionen in Europa gerade leergekauft von Händlern, die verrückt nach dem Imari Porzellan sind. Der billige Dreck des Rokoko erlebt eine ungeahnte Renaissance, denn nichts erscheint in Schanghai, Shenzen und Peking chinesischer als grobe Keramik, die wenig dezenten Gold und Farbenpracht von Wohlstand und Luxus kündet - ganz im Gegensatz zu den wirklich guten, aber schlichten Stücken mit blauer Bemalung. Imari ist so "echt" wie ein heute in China produzierter Bierkrug mit Neuschwanstein drauf - aber es ist Zeichen einer altneuen Identität in der aufsteigenden Boomregion. Imari drückt für Chinesen, Japaner und Koreaner ein Asien aus, das es genauso wenig gegeben hat wie das erfundene Asien der Aufklärung, und das gerade durch seine Nichtexistenz zur Auffüllung mit Mythen taugt.
Wir Europäer in den Auktionsräumen können darüber nur lächeln, auch wenn es mitunter weh tut, wenn telefonisch die besten Stücke weggesteigert werden, und Imari für uns nicht mehr bezahlbar ist. Der globalisierte Handel geht aufgrund der Nachfrage in die andere Richting, können wir festhalten, und mit den Achseln zucken. Und dabei einen entscheidenden Fehler machen: Denn in unserer eigenen Dummheit übersehen wir, dass es nicht Europas in Amerika geklautes Silber ist, das durch den Handel zurückkommt, sondern das Geld, das wir für den Import unserer billigen Handies, der Digicams, wackligen Gericomlaptops oder der Bauteile des iPods nach China überweisen.
Man kann jetzt darüber diskutieren, wer dümmer ist: Ein Asiate, der Jahrhunderte alten billigen Kitsch für seine Identität hält, oder der Europäer, der mit neuem asiatischen Dreck seine Identität neu erfindet. Globalisierung rulez.
7 Jahre lang, von 1592–1598, versucht das kriegerische Japan, auf dem asiatischen Festland Fuss zu fassen. Ziel der Expansion ist Korea, wo es nach anfänglichen Erfolgen bald zu einem blutiger Guerillakrieg gegen die schlecht versorgten Invasoren kommt. Das bergige Land erweist sich als schwer zu kontrollieren, und als auch noch das China der Ming-Dynastie Korea unterstützt, geben die Japaner auf - allerdings nicht ohne vorher den technologischen Vorsprung der Koreaner hemmungslos zu kopieren und die Wissensträger nach Japan zu verschleppen.
Die Japaner interessieren sich dabei besonders für die hochentwickelte Töpferei. In Korea wurde zwei besondere Formen der Keramik entwickelt, das schreiend bunte Satsuma mit aufgesetzten Figuren, und ein mit aufwendigen Ornamenten in Blau, Rot, Grün und Gold bemaltes Porzellan, das es den Japanern sehr angetan hatte. Dieses Porzellan kam in Japan eine Weile in Mode, ohne dabei wirklich als erstklassig zu gelten. Ein Nippes, mehr nicht. Es wäre vielleicht bald wieder vergessen worden, hätte sich 1630 nicht die Vereinigte Ostindische Kompanie auf einer Insel vor Nagasaki festgesetzt, um Handel mit dem ansonsten abgeschlossenen Edo-Königreich zu führen. Und eben jene Holländer, bei denen daheim gerade die Formenpracht des Barock wucherte, waren von diesem bunten Porzellan begeistert.
Denn in Europa gab es nichts vergleichbares. Das bunte Porzellan war der fehlende Stein in einem luxuriösen Stilpuzzle, das im Manierismus Wände, Möbel und Bilder überwuchert hatte, aber in der Keramik noch keinen Ausdruck gefunden hatte. Dieses Porzellan hatte von Anfang an die genau richtige Formen- und Farbenpracht, um das europäische Manko stilsicher zu beheben, und die Holländer begannen sofort mit dem Export der Stücke, die nach dem japanischen Versandhafen Imari benannt wurden.
Bestes europäisches Silber gegen minderwertigen japanischen Kitsch - das war ein Geschäft, dem auch das isolierte Japan nicht widerstehen konnte. Um Imari herum entstanden eine Reihe von Töpfersiedlungen, die ausschliesslich für den Export nach Europa produzierten. Selbst, als in Japan niemand mehr das aufdringliche, wenig sauber bemalte Zeug sehen konnte, verharrte die Produktion in den Formen, die Japan schon in Korea geklaut hatte. Hauptsache, die Langnasen zahlten und blieben ansonsten aus Japan draussen.
Aber schon damals erwiesen sich abgeschottete Märkte als wenig sinnvoll. Aus Sicht des chinesischen Festlandes war das eher dicke, schlecht gebrannte Imari Porzellan mit seinem völlig veralteten Formenschatz noch inferiorer als in Japan. Aber China war vergleichsweise offen für europäische Händler, und die dortigen Keramikproduzenten, die seit Jahrhunderten weissblaue Ware für Europa herstellten, begriffen im 18. Jahrhundert, dass sie das Imari Porzellan problemlos kopieren konnten. Schon bald hatte das billige Imari aus China den japanischen Markt mit billigeren Preisen, grösseren Mengen und einem besseren Standort 1000 Meilen näher an Europa überholt.
Das war das ein schwerer Schlag für den japanischen Hafen Imari, aber nicht für das Porzellan, das in Europa eine beständige Karriere durch alle Stilepochen mitmachte. Imari findet sich auf den Prunkstilleben des frühen 17. Jahrhunderts, es wurde am Hof Ludwigs XIV begehrt, es ist bei Watteau auf den Gemälden zu sehen, und blieb auch im Biedermeier und im viktorianischen Zeitalter das bestimmende Produkt aus Fernasien. In China brannte man stoisch Imari als Zeug für die Europäer als reine Exportware immer weiter, denn daheim wäre Imari im 18. und 19. Jahrhundert so unverkäuflich gewesen wie bei uns heutigentags Eiche Rustikal.
Allein, der Markt interessiert sich nicht für Geschmack, sondern nur für Geld. Europas merkantilistisch eingestellte Fürstenhäuser sahen das schöne amerikanische Silber nach Osten fliessen, und versuchten, Imari daheim herzustellen. Das mündete in die Erfindung des europäischen Porzellans, das zu Beginn vor allem Imari zu kopieren versuchte. Meissen, Limoge, Nymphenburg sind nur die bekanntesten Vertreter einer Zunft, die ihren Aufstieg der Produktpiraterie an drittklassigem Kitsch verdanken, der zu diesem Zeitpunkt bereits schon zweimal aus Korea und Japan vorgeklaut war. Es mag die Asiaten getröstet haben, dass die Europäer dumm genug waren zu glauben, damit ein Stück echter asiatischer Lebenskultur eingeführt zu haben.
Da aber die Dummen weder zeitlich noch örtlich begrenzt sind, hat die Geschichte ein Nachspiel. Mit dem Ende der chinesischen Qing-Dynastie 1911 und den beginnenden Bürgerkriegen, sowie dem Ersten Weltkrieg und der anbrechenden industriellen Moderne geht auch die chinesische Produktion von Imari Porzellan zu Ende. Danach folgt ein für Asien extrem unglückliches Jahrhundert von Krieg, Unterdrückung, Diktaturen und Vernichtung aller kulturellen Traditionen. Japan wird zwangseuropäisiert, China unter der Kulturrevolution untergepflügt, Koreas Elite wird ausgelöscht, Thailand verkommt zum globalen Bordell, und die Hochkultur der Khmer wird auf den Killing Fields erschlagen. Die rasend schnelle digitale Moderne in Fernasien ist eine direkte Folge der Vernichtung der Vergangenheit, eine Suche nach neuer Identität auf der geistig-moralischen Tabula Rasa.
Ohne Geschichte und Herkunft in einer plattgemachten Gesellschaft, beginnen die neuen Eliten mit der Suche nach Werten und Traditionen. Das ist nichts zwingend Positives, ganz im Gegenteil; meist gleicht es den peinlichen Legitimationsversuchen mittelalterlicher Europäer, die partout von Hektor, Achill, Romulus oder Cäsar abstammen wollten. Und jeden Preis bezahlten, wenn man ihnen die passenden "Beweise" herbeischaffte. Die gleiche Suche findet gerade in den wirtschaftlich boomenden Riesenstädten Chinas und Koreas statt. Dort will eine neue Oberschicht weg vom Staub der Flussebenen, aus der Opa kam, wg von den Verbrechen der Kulturrevolution, an denen sich der Vater beteiligte. Man will wieder eine vorzeigbare Geschichte haben, schön bunt soll sie sein, sehr chinesisch aussehen, alt natürlich, um Tradition vorzutäuschen, und vorzeigbar.
Und so werden die Asiatika-Auktionen in Europa gerade leergekauft von Händlern, die verrückt nach dem Imari Porzellan sind. Der billige Dreck des Rokoko erlebt eine ungeahnte Renaissance, denn nichts erscheint in Schanghai, Shenzen und Peking chinesischer als grobe Keramik, die wenig dezenten Gold und Farbenpracht von Wohlstand und Luxus kündet - ganz im Gegensatz zu den wirklich guten, aber schlichten Stücken mit blauer Bemalung. Imari ist so "echt" wie ein heute in China produzierter Bierkrug mit Neuschwanstein drauf - aber es ist Zeichen einer altneuen Identität in der aufsteigenden Boomregion. Imari drückt für Chinesen, Japaner und Koreaner ein Asien aus, das es genauso wenig gegeben hat wie das erfundene Asien der Aufklärung, und das gerade durch seine Nichtexistenz zur Auffüllung mit Mythen taugt.
Wir Europäer in den Auktionsräumen können darüber nur lächeln, auch wenn es mitunter weh tut, wenn telefonisch die besten Stücke weggesteigert werden, und Imari für uns nicht mehr bezahlbar ist. Der globalisierte Handel geht aufgrund der Nachfrage in die andere Richting, können wir festhalten, und mit den Achseln zucken. Und dabei einen entscheidenden Fehler machen: Denn in unserer eigenen Dummheit übersehen wir, dass es nicht Europas in Amerika geklautes Silber ist, das durch den Handel zurückkommt, sondern das Geld, das wir für den Import unserer billigen Handies, der Digicams, wackligen Gericomlaptops oder der Bauteile des iPods nach China überweisen.
Man kann jetzt darüber diskutieren, wer dümmer ist: Ein Asiate, der Jahrhunderte alten billigen Kitsch für seine Identität hält, oder der Europäer, der mit neuem asiatischen Dreck seine Identität neu erfindet. Globalisierung rulez.
donalphons, 12:40h
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