Das nicht vorhandene Geräusch des Reichtums

Reichtum ist meistens lautlos. So auch hier, wo du gerade bist. Es ist ohnehin niemand da. Deine Eltern sind ein paar Tage im Süden, nettes Hotel mit gutem Restaurant, und schon vorher gebucht. Es ist nicht mehr so, wie es war, als sie dich und deine Schwester einfach in die Limousine gepackt haben und mit damals üppigem Tempo 180 Richtung Brenner sind, ohne Buchung, einfach los Richtung Meer oder Gebirge, und gehalten wurde nur, wenn deine Schwester nach der Überdosis Schokoeis mal wieder kotzen musste. Das ging oft so, und wahrscheinlich gibt es keinen Kilometer der von deinem Vater so heiss geliebten Brenner Staatsstrasse mit ihren Kurven, den deine Schwester nicht vollgekotzt hat. Jetzt fahren sie ohne Kinder, mit Vorbuchung. Du bist zu Hause und passt auf die Katze auf.

Und auf die turmversehenen Villen deiner ehemaligen Nachbarn. Die sind auch in Urlaub, ganz klassisch Malle die einen, Krisenprävention in Norddeutschland die anderen, weil die Ehe der Tochter sich rapide zu einem Scheidungsfall mit Gütertrennung entwickelt, und das wäre für diesen Clan ein eher unvorteilhafter Deal. Lieber nochmal soweit kitten, dass man einen Ehevertrag hinbekommt, und dann der Bruch. Aber das braucht Überredungskunst, und deshalb sind sie erst mal ein paar Tage im Norden. Nachdem sie sich ein paar Tage vorsorglicher Entspannung im Süden geleistet haben. Und auch in vielen anderen Häusern schaltet die Alarmanlage künstlich die Lichter ein. So ist das hier im Frühling - die Feriensaison hat begonnen, für die, die hier in den 70ern und 80ern sich architektonisch verewigt haben.



Aber es ist sehr still hier. Nur die Vögel, ganz selten mal der Kleinlaster der Gartenpfleger, hier ob ihrer universellen Einsetzbarkeit auch "Muckimänner" geheissen. Die meisten Restfamilien teilen sich hier jeweils einen Muckimann. Sonst rührt sich wenig. Die meisten Kinder sind längst erwachsen, studieren oder wohnen woanders. Einzige Ausnahme ist der Versager in der Parallelstrasse mit seinem Lotus und seinem Ferrari, der zwar eine Visitenkarte, aber keinen echten Beruf hat. Der ist hier manchmal laut.

Du hast dich inzwischen an die Abwesenheit von Geräuschen und Ereignissen gewöhnt. Dein Tagesablauf wird von der Katze bestimmt, die sechsmal was fressen und 30 mal rein und raus will. Das Leben hier erfüllt die Menschen mit Zufriedenheit und Ruhe, und du fragst dich, ob alle Dynamik und Anstrenung, Engagement und Speed in den anderen, grossen Städten nicht nur eine Folgeerscheinung des Zwangs ist, die Miete zusammenzukratzen und dauernd dem drohenden finanziellen Engpässen zu entgehen. Hier beeilt sich niemand. Hier gibt es keinen Grund, sich selbst oder irgendwas zu hinterfragen. Hier ist es ruhig, und von den Turmzimmern kann man hinüberblicken zum kräftigen Zinnoberrot des Tennisplatzes.

Montag, 4. April 2005, 22:21, von donalphons | |comment

 
Bei allem Respekt: Ungefähr so sieht für mich die Strasse zur Vorhölle aus - und der Daimler ist das Fahrzeug, dass einen direkt dort hin bringt. Kein Grund, sich selbst oder irgendwas zu hinterfragen. Genau.

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Herrner, det is Ironie. Verwechsle nicht den Menschen mit dem Avatar Don Alphonso.
Der eine ist ein sehr intellektueller, humorvoller und gesellschaftskritischer Mensch mit Selbstdistanz, der andere, je nachdem, in welcher Umgebung er sich gerade aufhält, blasierter NE-Yuppie oder verwöhnter, saturierter Bürgersohn.

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Schon klar, das mit der Ironie. Mein Beitrag ist dagegen ironiefrei: So stelle ich mir _wirklich_ die Strasse zur Vorhölle vor.

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Mit nem kleinen Unterschied: Dort gibt es bogenförmig über der Straße noch die Leuchtreklame "Lasst alle Hoffnungen fahren."

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Soll ich mal wieder ein bisschen Betonwüste Berlin posten?

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Halle Neustadt, meinethalben auch Marzahn, oder den Pogrom-Tagebau von Hoyerswerda.

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Ich hätte da was aus Wittenberg...

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Ich vermisse hier natuerlich noch Beitraege aus dem Ruhrgebiet oder dem Saarland. Im Prinzip überall da, wo vor dem Krieg bedeutende Industrie war, wurden mehr oder weniger häßliche Ersatzbauten aufgezogen. Das Bayern da eine Ausnahme ist, verwundert ob der Tatsache nicht, dass es ja vorher einer Ansammlung vereinzelter Gehöfte ohne größere Bedeutung glich.
Der Aufschwung ist doch im wesentlichen auf die Flucht vor den Roten aus den östlichen Gebieten gegründet. Dabei wurde natuerlich Geschick bewiesen.

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Nun, ganz so war bayern auch nicht - historisch gesehen war es seit dem frühen Mittelalter eine der Boomregionen schlechthin; im 13. Jahrhundert war der Wald bis auf die Berge und Flussniederungen weitgehend ausgerottet, die Stadtkultur war hier sehr ausgeprägt. Der Downturn kam erst mit der Industrialisierung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die an Bayern vorbeiging - und das hat man halt mangels Eisen und Kohle anderweitig nachgeholt.

Wir können nichts dafür, dass es bei uns keine Kohle gab. Und für Garzweiler 2 können wir auch nichts. Allenfalls Gorleben, aber hey, hauptsache das Plutonium ist erst mal weg.

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Dann sind bei Euch wohl aehnlich wie in Thueringen jahrhundertelang die Kraeuterhexen durch die Berge gezogen, ja, gewisse Parallelen gibt es schon in der Entwicklung.

ja klar, der Boom gruendet sich auf die Wegelagerei von armen Studenten auf dem Weg nach Prag. Diese konnten Ihre Reise mangels Semestergeld nicht fortsetzen und mussten dann den Wald abroden</genug gesponnen>

Nein, Bayern ist schon schick und sauber, keine Frage:
aber m.E. sterbenslangweilig.

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So richtig reich siehts aber nicht aus, ich darf mal zusammenfassen?

- Die Strassenlaternen koennten auch auf dem Hof des Grenzdurchgangslagers Friedland stehen.

- Die Tuermchenvilla ist architektonisch indiskutabel.

- Der am Strassenrand abgestellte Fuhrpark - na ja - wieso stehen da ueberhaupt Autos? Haben die keine Garagen?

- Was ist das da am Ende der Strasse? Ein Bauwagen mit Daueranbauten? Eine Frittenbude?

- Der Himmel koennte etwas blauer sein.

Hier ist also noch Platz um ueberhaengige Mittel sinnvoll zu investieren.

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Im ersten Moment dachte ich bei dem Gebilde am Ende der Straße wohlwollender an ein misslungenes Bauhaus-Experiment. Könnte aber auch ein Zwischenlager für Brennstäbe aus dem benachbarten AKW sein.

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Nein, nein - ein Zwischenlager kann das nicht sein, denn waere es eines, waere die haessliche Turmbauvilla der Eingangskoben zum Kontrollbereich - und bei diesen Kontrollbereichseingangskoben achtet man auf architektonische Ausgewogenheit damit das Wachpersonal auf Dauer nicht durchdreht.

Ausserdem faehrt man in Kontrollbereichen VW Golf.

(Aber sonst natuerlich schon ein Gedanken der was hat ....)

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Ganz hinten ist das postkonstruktivistische Anwesen eines Chefarztes. Einer von der Sorte, die das Nachbargrundstück auch noch kaufen, um Ruhe zu haben.

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ich könnte da fotografisch mit schlimmeren daherkommen. Blaue Dachziegel und nur noch "im amerikanischen Stil" gebaut mit Löwn an der Pforte und bauchigen völlig falschen Balkongeländer.
Aber eins haben die Bilder dieser Gegenden immer gemeinsam. Keine Kinder auf der Straße. Völlig ausgestorben. Ein hervorragender bericht, der genau das aussagt, was ich nicht zu beschreiben weiß.
Gruselig schön. Wie das Faszinosum von Endzeitfilmen.

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