: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 19. April 2005

Pretty dead in Pink

oder das Frühjahr ist immer eine gute Zeit für das Ende der Hoffnungen aus dem 4. Quartal



oder die Girlies auf der Schönhausener haben doch auch kein Geld
oder ja die Telekom wäre mir auch lieber gewesen
oder wer gründet sollte auch Umsatz machen
oder Modefarben allein reichen nicht
oder...

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Herr Miri, ich und the vanishing splendour of the Bourgeoisie

(Nichts gegen konservativ - aber zum Teufel mit der Reaktion der Konsumgesellschaft)

Herr Miri ist einer der Gründe, warum meine Touren über die Berliner Flohmärkte bis zu sechs Stunden dauern. Herr Miri und einige seiner Kollegen kennen mich inzwischen gut, und halten mich für immens reich, weil ich allmonatlich eine beträchtliche Summe bei ihnen lasse. Sie irren sich natürlich, denn mein "Reichtum" ist geborgt. Inzwischen hat es sich in meiner bayerischen Heimat herumgesprochen, an was für einer nimmer versiegenden Quelle der junge Porcamadonna da sitzt, und so bekomme ich Monat für Monat umfangreichere Listen und höheres Budget mit. Tatsächlich konnte ich das meiste in Wochenfrist beschaffen, mit dem Effekt, dass die Haushaltsauflöserszene in Berlin meiner baldigen Abreise mit aufrecht empfundener Trauer entgegen sieht.

Weshalb Herr Miri mich jeden Sonntag begrüsst, mir einen Platz auf irgendeinem seiner mitgebrachten Möbel anbietet, und mir schon mal berichtet, was an Preziosen in den nächsten Wochen und Monaten aus welchem Anwesen der westlichen Stadtbezirke des Slummolochs Berlin zu erwarten ist. Keine Frage, er will, dass ich noch lange bleibe. Da sitzen wir also auf Biedermeierstreifen oder Gründerzeitplüsch und teilen das Fell des verendeten Bären, und meistens nehme ich noch ein paar Silberlöffel mit. Die kleinen, die man eigentlich immer mal brauchen kann. Von denen ich inzwischen ein paar Hundert hätte, würden sie daheim in Bayern nicht sofort wieder in den Kreislauf des kleinen Stadtteils gelangen, in dem mein Clan lebt. Das wenigste landet in meinem Silberschrank in der Provinz:



Herr Miri kann viel erzählen über den Niedergang dessen, was man als Bürgertum bezeichnet. Er gehört zur Elite der Wohnungsauflöser, er macht nur die besseren Auflösungen und zahlt dafür relativ gut - 3000 Euro oder mehr. Die Erben bekommen das Geld bar auf die Hand, müssen sich um nichts kümmern, und Herr Miri kann auch gleich noch einen Maler empfehlen, der die Bude blitzschnell sauber macht, so dass sie sofort wieder vermietet oder verkauft werden kann. Die weniger guten Stücke gehen an andere Händler, die besseren landen in seinem Keller in der Bergmannstrasse, und am Wochenende auf dem Flohmarkt, wo sich der die 3000 Euro schnell verdreifachen. Trotzdem liegt der Preis für Tafelsilber oft unter dem Materialpreis, der im Moment um 170 Euro pro Kilo schwankt.

Für Kulturhistoriker ist es das Alarmsignal schlechthin. Kulturen, deren Sachkultur nicht einmal mehr den Materialwert erreicht, sind am Sterben. In dem Moment, da die Verarbeitung des Materials den Wert mindert, ist es unwahrscheinlich, dass die Sachkultur weiterentwickelt oder auch nur bewahrt wird. Das damit verbundene Handwerk ist in der Regel ebenfalls am Aussterben. Kleines Beispiel: Die Stämme der Völkerwanderungszeit, die von den Römern bezahlt wurden, hatten für das Gold keine andere Verwendung, als daraus massive Gürtelschliessen und Schuhschnallen zu machen - Tafelgeschirr wurde dafür ebenso eingeschmolzen wie Münzen, was zur Folge hatte, dass sie dann in rauer Wolle an groben Tischen sassen, auf tönernem Geschirr mit den Händen frassen, den Dreck aus dem Fenster warfen, und nur selten blinkte hier und da ein Batzen Gold. Dass durch diesen Goldabfluss die Wirtschaft vor die Hunde ging, dass die Welt der Römer kollabierte und in der Folge die europäische Kultur mal eben um 700 Jahre zurückkatapultiert wurde - mei, von Makroökonomie hatte so ein Ostgote in Rumänien keine Ahnung, dem kann man keine Vorwürfe machen. Ihm war nur wichtig, dass man ihn am Ende mit all dem Gold verbuddelte.

Was Herr Miri mikroökonomisch tut, ist nichts anderes als ein kleingotischer Plünderungszug mit der Einwilligung einer Kultur, die den Untergang will. Da sind Erben, denen es vollkommen egal ist, was aus dem alten Plunder wird. Warum sollte man Möbel für die Ewigkeit haben, wenn Ikea jedes Jahr eine neue Kollektion bringt. Warum muss etwas aus Holz sein, wenn Spanplatte den gleichen Zweck bei niedrigerem Gewicht erfüllt. Beständigkeit ist in dem Wandel, von dem alle Medien von Bild über RTL II bis Spiegel berichten, kein Wert, sondern ein Hindernis. Der Hunne änderte alle 30 Jahre seine Mode, wir tun es im gleichen Zeitraum 60 mal. Unsere Mauern sind keine Mauern mehr, wenn sie im Gebäude sind, sondern nur noch dünne Platten und Metallschienen und Farbe drüber, und weniger beständig als eine Holzhütte. Der angebliche "Kolonialstil" wird in Norwegen entworfen und in Polen hergestellt und ersetzt als Äquivalent den hörenden Hirschen der deutschen Kleingeister. Das feine Bayreuth-Porzellan mit 22 Teilen, 80 Jahre alt und praktisch wie neu, geht auf dem Flohmarkt noch nicht mal für 25 Euro weg - warum auch, das etwas teurere Starterpaket von Ikea kann man auch in die Spülmaschine stecken, oder 2 Monate in der Spüle gammeln lassen, ohne dass der nicht vorhandene Goldrand hässlich ausbleicht. Silber ist ganz schlecht, das muss man alle zwei Jahre putzen, wer soll das den tun, solange es so tolle Freizeitangebote in der Glotze und den Porno-, Tec-, Promi- und Astrologiechannels im Netz gibt? Und das Schönste: Man muss den Krempel noch nicht mal mitschleppen, wenn man weiterzieht wie die Hunnen vor 1700 Jahren: Auf den Müll damit, woanders holt man sich neues Zeug.

Herr Miri erzählt mir auch manchmal von den Leuten, die die 3000 Euro nehmen. Herr Miri ist bei denen zu Hause, um den Schlüssel zu holen, und er weiss, dass sein Beruf in spätstens 30 Jahren ebenso ausgestorben sein wird wie Silberschmiede, Lampenmacher, Schreiner und Polsterer. An manchen Orten wird sich das noch halten, aber die Verkäufer haben ganz andere Wertgegenstände in der Wohnung. Alles irgendwie elektronisch, interaktiv und nach 2, 3 Jahren Müll, den keiner mehr brauchen kann. Total veraltet, madig gemacht von einem Starsystem der Medien, das auf "Besitz" pfeift - heute wird alles geleast oder gemietet, das ist geil, das ist sofort und on demand, und wenn man es in fünf Jahren nicht mehr hat, was soll´s, ist sowieso nicht mehr brauchbar. Oder zu gross. Oder zu wenige Features. Oder es dauert 10 Sekunden zu lange. Was, eine Digicam macht erst nach 3 Sekunden das erste Bild? Zum Teufel damit, man will das Bild sofort, fuck Bildausschnitt, Komposition und Belichtung, Nachdenken ist da nicht. Drauf und rein auf den Chip, und danach alles auf den Müll, weil es hässlich aussieht.

Das ist die nächste Generation. Diese Leute bringen ihren Kindern bei, dass man auch aus Pappschachteln fressen kann. Auch in der Bild steht, dass sie McDonald lieben, weil man damit so schön viel Müll machen kann, Haha, wie toll politisch unkorrekt. Dass der Müll verdammt teuer ist, dass 1000 mal Müll jetzt hier sofort teurer ist als einmal Silber plus Porzellan plus ein ordentlicher Esstisch, sagt niemand. Diese Kinder werden viel in die Hände bekommen, sie werden viel gehabt haben, aber sie werden am Ende auf der gleichen Müllkippe sitzen, wie ihre Eltern auch schon, und es wird nichts bleiben, was Herr Miris Enkel abholen könnten. Ausser vielleicht bei ein paar wenigen Superreichen, die die Gewinner dieser Selbstvernichtung des Bürgertums sind. Die weiterhin Besitz haben werden. Die nicht nur zeitlich beschränkte Nutzungsrechte haben, wie all die iTunes- und Klingelton-Deppen, die später die Leere in ihrem Dasein mit Lebenshilfeangeboten wie Bakira dem indischen Fakir bekämpfen werden, via Hotline für 1,99 und mit Bonusmantra für 2,99 Euro. Die werden ihnen dann alles erzählen, vor allem aber, dass es gut so ist, und sie in der besten aller möglichen Welten leben.

Sie werden zurückgebombt sein in eine vorbürgerliche Epoche, Jahrhunderte vor der Aufklärung, in einer Art New Feudalism, in dem grösste Teil der Bevölkerung für immer einen digitalen Pachtzins und nachfrageorientiertem Frondienst erbringen wird. Das einzige geltende Gesetz für Besitz wird das Digital Rights Management sein, es wird keine demokratische Entscheidung darüber geben, sondern nur den despotischen Willen der Rechtebesitzer. Sie entscheiden allein mit einer kleinen Änderung, wer legal handelt, und wer ein Dieb ist. Nichts Dauerhaftes wird im Besitz der Unterschicht sein, ausser vielleicht einem versprochenen Himmelreich, das ihnen so lückenlos den Medien präsentiert wird, dass die Gehirnwäscher in chinesischen Arbeitslagern noch was davon lernen können.

Und schon Herr Miri selbst wird bald merken, dass er in manchen Bezirken einfach nichts mehr finden wird, jetzt und heute. Bezirke, in denen diese beliebige Lebenstillosigkeit so dominiert wie in weiten Teilen des Balkans nach dem Abzug der Römer. Wo die Lebenszyklen von ehemaligen "Wertgegenständen", von pervertiertem Bauhaus und Neuem Wohnen, keine 5 Jahre mehr umfassen. Wo die Menschen nur noch kurzfristig irgendwas kaufen und sofort wieder wegwerfen. Folgerichtig in den öffentlichen Raum, denn wer im Müll vegetiert, kann erst gar nicht verstehen, dass andere damit vielleicht ein Problem haben.



Es wird keine Geschichte mehr geben, die anhand von Kultur erzählt werden kann. Die Erinnerung wird weggewischt, weil sie nicht mehr up to date ist. Man wird schnell weiterziehen, mit leichtem Gepäck, und der ganze kulturelle Fortschritt seit den Hunnen wird sein, dass in ein Auto etwas mehr passt als auf einen Karren, dass es schneller und weiter geht. Mitgenommen wird vielleicht noch das, das platzsparend digital ist, aber sperrige Bücher haben keine Überlebenschance. Herr Miri auch nicht. Und meine gelebte Kultur auch nicht. Die Hunnen fahren auf der Strasse des 17. Juni an uns vorbei, und wundern sich vielleicht über die Gestalten, die da auf alten Möbeln Zeit vergeuden und ratschen, Tee trinken und Baklava essen. Wir sind für sie wahrscheinlich nur irgendwelche Penner, die auf den Trümmern einer kaputten Kultur sitzen, die untergegangen ist, weil das Staubsaugen und Putzen zu aufwändig ist. Sie sehen die Reste und erkennen nicht, dass die Sachkultur mehr ist als ein paar Brocken, sondern die Basis für eine gewisse Stabilität, eine Art Selbstachtung und auch Bereitschaft, für ein Bewahren einzutreten. Sie unterschätzen die Kraft und die Sicherheit, für die dieses Bürgertum stand, dessen Eingeweide auf dem Flohmarkt ausgebreitet werden. Ihnen, die vorbeifahren, gehört fraglos die Zukunft.

Eine Zukunft, auf die Herr Miri und ich und die Reste der letztlich doch diskret charmanten Bourgeoisie verzichten können. Ich nehme diesmal eine silberne Brotschale für meine Eltern, die, wie viele in ihrem Viertel, grün wählen, Stoiber verachten, Geld spenden und sich sozial engagieren. Nicht alle, aber doch viele. Neureiche und neuarme Hunnen werden wahrscheinlich eher FDP und CDU wählen, wenn sie bei ihrem Zug überhaupt die Zeit haben, sich irgendwo rechtzeitig anzumelden. Aber auf diese Zukunft setzen Medien, Industrie und reaktionäre Schweine - in dieser Zukunft können sie prächtig leben. Die Vorinfotainer der Hunnen haben die Postmoderne inzwischen leider soweit verstanden und durchexekutiert, dass man als Rebell schon wieder konservativ und bourgeoise sein muss. Und sei es mit einem nicht medientauglichen Beitrag mit über 1700 Wörtern auf einem Blog - danke für die Aufmerksamkeit.

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